Sandra Schulz: Positives zuerst - das ist eine der Feedback-Regeln, die wohl jeder schon mal gehört hat, der ein Kommunikationsseminar gemacht hat. Und mit dem Satz „Der Brief aus Athen ist kein substanzieller Lösungsvorschlag", da hat das Berliner Finanzministerium diese Feedback-Regel ziemlich konsequent ignoriert - ein weiteres Beispiel dafür, wie schroff es in diesem Konflikt inzwischen zugeht. Im Fokus steht natürlich nach wie vor die Frage vor dem nächsten Treffen der Finanzminister heute nachmittag: Wie kann ein griechischer Staatsbankrott abgewendet werden? Wir wollen noch beim Thema bleiben. Bei uns am Telefon ist Joachim Fritz-Vannahme, der Leiter des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung. Guten Tag!
Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Tag.
Schulz: Sind das noch Verhandlungen, oder ist das ein Showdown? Ist das jetzt ein verbissener Machtkampf zwischen zwei Männern?
Fritz-Vannahme: Ein bisschen von beidem. Vielleicht erst mal zu dem letzten Punkt. Vor allem die griechische Seite hat das natürlich als einen Machtkampf zwischen zwei Männern erscheinen lassen. Wir wissen spätestens seit Montag und dem Treffen der Finanzminister, dass es hier 18 gegen eins heißt. Da stehen 18 Männer und Frauen gegen einen Mann, der versucht, hier zu retten, was für sein Land noch zu retten ist.
Zurück vielleicht zu dem, was wir eben in der Reportage gehört haben. Ich glaube, dass sowohl Sigmar Gabriel als auch Sven Giegold mit dem, was sie gerade gesagt haben, ein bisschen recht haben. Natürlich ist das der Anfang von Gesprächen, was die Griechen da per Brief vorgelegt haben, und natürlich ist die Antwort aus Berlin gänzlich unbefriedigend (wenn da von einem trojanischen Pferd gesprochen wird in Berlin, dann würde ich vor dem Bild dringend warnen). Troja ist untergegangen, die Griechen haben am Ende gesiegt, wir wissen das alle.
Zurück vielleicht zu dem, was wir eben in der Reportage gehört haben. Ich glaube, dass sowohl Sigmar Gabriel als auch Sven Giegold mit dem, was sie gerade gesagt haben, ein bisschen recht haben. Natürlich ist das der Anfang von Gesprächen, was die Griechen da per Brief vorgelegt haben, und natürlich ist die Antwort aus Berlin gänzlich unbefriedigend (wenn da von einem trojanischen Pferd gesprochen wird in Berlin, dann würde ich vor dem Bild dringend warnen). Troja ist untergegangen, die Griechen haben am Ende gesiegt, wir wissen das alle.
Schulz: Wenn jetzt die Kommunikation so schiefgeht in diesem Fall, in diesem Konflikt, wie tief geht die Krise dann in Europa?
Fritz-Vannahme: Die Krise ist im Augenblick noch durchaus zu bewältigen, wie ich eben angedeutet habe. Tsipras und sein Finanzminister sind ja einen Schritt von dem abgewichen, was sie in der letzten Woche wiederholt haben, wir wollen keine Troika, wir wollen keine Intervention, wir reden über das Hilfsprogramm eigentlich überhaupt nicht. Jetzt heißt es, wir akzeptieren die Troika, wir reden über das Hilfsprogramm. Aber - und da hat Gabriel völlig recht - Reformen, na ja, Genaues weiß man nach dem Brief nicht. Wollen sie weitermachen mit ihren Reformen oder nicht? Das ist die offene Frage. Das ist aber praktisch die Einladung für die nächste Gesprächsrunde. So sind in der Tat, wie Herr Giegold sagt, die Spielregeln bei diesen harten europäischen Verhandlungen, und wir haben ja schon Verhandlungen gesehen, die noch viel, viel härter waren. Ich erinnere mal an die Aushandlung des Vertrags von Nizza, vier Tage und vier Nächte, und dann war das Ergebnis da. Ich wünsche den Finanzministern heute nachmittag keinen solchen Marathon, aber noch ist hier nicht aller Tage Abend.
Schulz: Das wollte ich Sie gerade fragen. Können Sie sich denn an eine ähnliche Zuspitzung erinnern? Sie sagen jetzt gerade, vier Tage, vier Nächte, aber die Diskussionen um Griechenland, die sind ja in der Sache wirklich nur um einen, wenn überhaupt Trippelschritt vorangekommen, und wir sprechen jetzt schon seit Wochen alle paar Tage über Gipfel. Hat es so was schon mal gegeben?
Fritz-Vannahme: Ja, das hat es wie gesagt schon durchaus gegeben. Ich erinnere da an die Aushandlung des Vertrags von Nizza. Das war ein fürchterlicher Marathon. Damals ging es darum, wer will hier eigentlich bezahlen und wer soll wie viel bezahlen. Hier geht es, glaube ich, nicht so sehr um diese Frage, sondern es geht um die Frage, wird ein Hilfsprogramm fortgesetzt, wenn konkrete Reformversprechen gemacht werden ja oder nein, und die Griechen möchten eigentlich ganz gerne bei den Reformzusagen so vage bleiben, wie sie können, damit sie gegenüber ihrer eigenen Wahlklientel - dafür sind sie ja gewählt worden - nicht plötzlich blank und bloß dastehen.
Auf der anderen Seite sind alle anderen Mitglieder im Euro heftig daran interessiert, dass die Griechen ihre Reformen fortsetzen, an allererster Stelle übrigens noch nicht einmal Berlin - das ist ein bisschen der Showdown, den wir jetzt medial hier erleben -, sondern wenn wir auf die Spanier hören, auf die Slowaken hören, auf die Portugiesen, auf die Balten hören, da kommen identische Stimmen, die sagen: Wir haben uns ja angestrengt, wir sind durch dieses Jammertal, durch diese ganze Pein hindurchgegangen, wenn ihr uns jetzt hier bloßstellt gegenüber unserer eigenen Wählerschaft, dann bereitet ihr unseren eigenen Sturz vor und macht eigentlich unsere Politik, die wir in den letzten Jahren mit durchaus vorweisbaren Erfolgen geführt haben, unmöglich.
Auf der anderen Seite sind alle anderen Mitglieder im Euro heftig daran interessiert, dass die Griechen ihre Reformen fortsetzen, an allererster Stelle übrigens noch nicht einmal Berlin - das ist ein bisschen der Showdown, den wir jetzt medial hier erleben -, sondern wenn wir auf die Spanier hören, auf die Slowaken hören, auf die Portugiesen, auf die Balten hören, da kommen identische Stimmen, die sagen: Wir haben uns ja angestrengt, wir sind durch dieses Jammertal, durch diese ganze Pein hindurchgegangen, wenn ihr uns jetzt hier bloßstellt gegenüber unserer eigenen Wählerschaft, dann bereitet ihr unseren eigenen Sturz vor und macht eigentlich unsere Politik, die wir in den letzten Jahren mit durchaus vorweisbaren Erfolgen geführt haben, unmöglich.
Schulz: Das heißt aber, in Europa regieren nach wie vor die Interessen der Nationalstaaten?
Fritz-Vannahme: Nein! Man hat sich ja gemeinsam auf Spielregeln und auf Anforderungen und auch auf Leistungsanforderungen geeinigt. Nichts anderes enthält ja der Vertrag über den Euro. Und wenn nun aufgrund von Schwierigkeiten, die ganz unterschiedlicher Natur sind - man sollte da Irland und Spanien und Portugal und Griechenland nicht immer in einen Topf werfen -, auf einmal die Schwierigkeiten so groß geworden sind, die Zusagen, die man ja selber als Nationalstaat an die Gemeinschaft gemacht hat, nicht so ohne Weiteres einzuhalten sind, dann muss man dafür Lösungen finden. Das ist der Prozess, den wir im Moment, ganz nüchtern gesprochen, erleben. Der Prozess nervt. Nerven ist aber, Pardon, keine politische Kategorie. Da muss man schauen, dass man anders miteinander umgeht. Der Kompromiss ist eine politische Kategorie und an der Ausgestaltung dieses Kompromisses müssen alle beteiligt werden und alle beteiligt sein. Der kleine Schritt, von dem Sie gesprochen haben, den haben die Griechen, die griechische Regierung jetzt getan. Man muss jetzt mal schauen, ob es von der Gegenseite einen kleinen Schritt gibt, oder das Beharren darauf, dass man sagt, wir haben euch eigentlich in Verdacht, dass ihr den kleinen Schritt nur gemacht habt, damit ihr den großen hinterher nicht weiter machen müsst und von diesem Weg, auf den ihr eigentlich mal eingegangen seid, wieder abweichen könnt.
Schulz: Was heißt das denn aber für diesen gesamten Konflikt? Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland nach diesen harten Verhandlungen, die wir gesehen haben, knapp gesagt, damit durchkommt, die ist doch klein, oder?
Fritz-Vannahme: Ja, die ist klein. Ich glaube auch, das sollten die Griechen durchaus einsehen. Aber die portugiesische Finanzministerin Albuquerque hat in den letzten Tagen mehrfach daran erinnert, dass innerhalb dieses Hilfs- und Reformprogramms - das enthält ja beide Kapitel - sehr wohl Gestaltungsmöglichkeiten existieren, und sie hat auch ein paar Beispiele genannt, wie das in ihrem Land gelaufen ist. Solange der Rahmen eingehalten wird, ist eine Regierung nicht dazu verdammt, einfach nur auszuführen, was die internationalen Institutionen ihr sagen. Man kann mit denen dann auch verhandeln, welchen Schritt machen wir zuerst und welchen macht man danach, aber dafür bedarf es schriftlicher Zusagen und Verpflichtungen und die verweigert genau die Regierung in Athen im Augenblick.
Schulz: Und wie die Sache ausgeht, das weiß im Moment keiner. Es ist immer wieder gesagt worden, wirtschaftlich wäre ein Grexit inzwischen verkraftbar. Wäre der auch politisch verkraftbar für die Europäische Union?
Fritz-Vannahme: Nein. Ich halte den für politisch nicht verkraftbar, und zwar aus zwei Gründen. Der eine Grund liegt nach innen, ist nach innen gelagert. Wir haben einen Vertrag von Lissabon, wo sich alle Beteiligten Solidarität zugesagt haben. Der Begriff steht im Vertrag drin und das wäre ein unsolidarischer Akt, hier anhand von einer Konflikt- und Krisenlage etwas anderes zu versuchen. Was viel zu wenig gesehen wird, ist die Außenwirkung. Der Euro ist inzwischen die zweite Reservewährung weltweit, nach dem Dollar. 30 Prozent der Währungsreserven weltweit sind da angelegt. Die Chinesen haben ein Interesse, die Südafrikaner, die Brasilianer, dass der Euro bestehen bleibt. Und wenn die Europäer nun in einem Bereich, in dem sie selber entscheiden, so dumm sind, diese Entscheidung in negativer Hinsicht zuzulassen oder gar zu fällen, dann schneiden sie sich zunächst erst mal ins eigene Fleisch und müssen sich hinterher rechtfertigen, welche Auswirkungen das auf die Weltwirtschaft hat. Wir sind in eine Weltwirtschaft eingebunden, ob es uns gefällt oder nicht.
Schulz: Griechenland steht im Moment gegen alle anderen Euroländer. Ist das jetzt eine Konstellation, die uns zeigt, dass Europa zusammenwächst oder wachsen kann über Krisen, oder dokumentiert der Fall jetzt doch eine Spaltung?
Fritz-Vannahme: Bisher würde ich immer noch behaupten, dass diese Eurokrise, die ja vielfältige Ursachen hat, durchaus den Zusammenhalt der Europäischen Union und der Euroländer nicht infrage gestellt hat. Aber ein negativer Ausgang wäre natürlich das Dementi dessen, was ich gerade behaupte, und deswegen würde ich auch immer sagen, jede Anstrengung sollte gemacht werden. Die Anstrengung muss aber von allen Seiten erfolgen. Die Anstrengungen von griechischer Seite sind auch mir im Augenblick noch zu gering, aber sie haben die Anstrengung unternommen, sie haben sich bewegt, und jetzt muss man doch mal schauen, auf welcher Grundlage man heute, heute Nacht wahrscheinlich den nächsten Schritt anvisieren kann. Ich glaube nicht, dass wir heute schon abschließend ein Ergebnis bekommen, aber vielleicht ist der nächste Schritt dann getan und man kann im Laufe der kommenden Woche, wenn die Temperatur ihren Siedepunkt erreicht, auch die wirklich probate Lösung finden, um diese Krise auszuräumen. Noch mal: Griechenland steht für zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Euroländer, Deutschland für 30 Prozent, hier kämpft natürlich David auch gegen Goliath, und ich wünsche nicht, dass David am Ende gehen muss, und ich wünsche auch nicht, dass Goliath da tot liegen bleibt. Beides wäre eine Katastrophe für das kleine Griechenland genauso wie für das große Deutschland.
Schulz: Joachim Fritz-Vannahme, der Leiter des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung. Wir haben ihn per Mobiltelefon erreicht. Vielen Dank für das Gespräch.
Fritz-Vannahme: Danke sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.