Jasper Barenberg: Wer viele Jahre lang gearbeitet hat, aber trotzdem am Ende nur eine geringe Rente bekommt, der soll endlich einen staatlichen Zuschuss bekommen. Über dieses Grundprinzip sind sich im Grunde alle einig. Dringend und wichtig finden das auch Union und SPD. Trotzdem sperren sich CDU und CSU gerade kategorisch gegen den Vorschlag von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Die Koalitionspartner haben sich ganz offenkundig völlig überworfen. Im Kern sind vor allem zwei Punkte strittig: Wer soll die Grundrente bekommen? Und: Woher soll das Geld dafür kommen?
Am Telefon ist der CDU-Politiker Hermann Gröhe, als stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag für die Themen Arbeit und Soziales verantwortlich. Schönen guten Morgen, Herr Gröhe.
Hermann Gröhe: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Der Wahlkampf ist ja durchaus auch immer eine Chance, Unterschiede deutlich zu machen. Heißt das für die Grundrente, Sie wollen, dass viel weniger Menschen die Grundrente bekommen als die SPD?
Gröhe: Nein, wir wollen vor allen Dingen schnell denen eine Grundrente geben, die sie wirklich brauchen. Und wenn ich immer höre, einigt euch, dann sage ich, wir haben uns geeinigt, denn der Koalitionsvertrag hat das Projekt Grundrente gemeinsam beschrieben und darin sehr deutlich gemacht, wir wollen langes Arbeiten, Pflege, Erziehung besonders würdigen, wenn Menschen darauf angewiesen sind, weil es beispielsweise keine weiteren Einkünfte gibt. Das ist zielgenau, das hilft, Altersarmut zu vermeiden, und würdigt Arbeit. Aber es ist nicht einzusehen, warum man beispielsweise gar nicht auf andere Einkünfte oder das Einkommen des Ehepartners schaut und dann nicht unterscheidet zwischen Vollzeit und Teilzeit. Hier wird milliardenschwer Geld verteilt an Menschen, die nicht darauf angewiesen sind, das vorher eingesammelt wird von Menschen, die selbst häufig kein Rieseneinkommen haben. Deswegen ist es vor allen Dingen ungerecht, milliardenschwere Gießkannenpolitik zu machen.
"Denen helfen, die es wirklich brauchen"
Barenberg: Sie halten an der Bedürftigkeitsprüfung fest, die im Koalitionsvertrag ja auch vereinbart wurde. Da sind Sie nicht flexibel. Aber was anderes ist das als ein Hebel, um mögliche Bezieher auszuschließen?
Gröhe: Nein! Es geht darum, dass Menschen, die einen besonderen Bedarf haben, damit sie nicht bedürftig werden, gezielt gefördert werden. Vor wenigen Wochen hat noch Franz Müntefering sehr deutlich gesagt, wir haben nichts zu verschenken, selbstverständlich muss es bei der Bedürftigkeitsprüfung bleiben. Und wir haben uns darauf explizit im Koalitionsvertrag geeinigt. Jetzt so zu tun, nachdem man das Projekt zehnmal so teuer macht, aber dafür nicht weiß, woher das Geld kommt, es läge an uns, dass nicht denen geholfen wird, die es wirklich brauchen, ist nicht überzeugendes Wahlkampfgeklingel. Wir sagen: Lieber heute als morgen zügig denen helfen, die es wirklich brauchen.
Barenberg: Aber, um das noch mal zu klären: Bedürftigkeitsprüfung würde heißen, dass sehr viel weniger Menschen davon profitieren und dass es damit billiger für den Staat wird?
Gröhe: Es geht ja nicht ums billiger werden. Es geht auch darum, Gerechtigkeit …
Barenberg: Ich frage ja nur nach dem Effekt, Herr Gröhe. Sie haben gesagt, Gerechtigkeit und Bedürftigkeitsprüfung, und ich frage Sie, ist der Effekt, ist die Folge einer Bedürftigkeitsprüfung, die viele als Demütigung wahrnehmen, dass sehr viel weniger Menschen davon profitieren werden?
Gröhe: Es werden viel genauer die davon profitieren, die es brauchen, und es werden dadurch Ungerechtigkeiten vermieden, dass Menschen einen Zuschuss bekommen, die darauf gar nicht angewiesen sind.
SPD-Pläne sind "ungerecht und unseriös"
Barenberg: Wer ist das?
Gröhe: Das sind beispielsweise Menschen, bei denen es andere Formen der Alterssicherung noch gibt, bei denen Vermögen oder Einkommen des Ehepartners vorhanden sind, die dann beispielsweise in Teilzeit gearbeitet haben. Und es ist doch aberwitzig, dass jemand, der 36 Jahre Teilzeit gearbeitet hat, einen Zuschuss bekommt, den jemand, der 34 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, nicht bekommen hat. Sie müssen dann Menschen erklären, dass Sie Geld denen nicht geben, die es wirklich brauchen, sondern darüber hinaus anderen Personen. Und deswegen ist das ja auch keine Idee der Union, sondern etwas, worauf wir uns in der Koalition geeinigt haben. Deswegen ist dieser Vorschlag auch seriös finanzierbar. Denn das Problem ist doch, dass hier ein milliardenschwerer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag nicht seriös finanziert werden kann. Es stimmt auch nicht, dass er überwiegend aus Steuern - übrigens solchen, die es noch gar nicht gibt - finanziert werden soll, sondern überwiegend durch einen Griff in die Sozialkassen, also in die Beitragsmittel erneut von Menschen, die zum Teil niedrigeres Einkommen haben als nach SPD-Plänen zukünftige Grundsicherungsempfänger. Ungerecht und unseriös ist das.
Barenberg: Ich würde noch mal gerne bei den Voraussetzungen bleiben. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles fragt etwas zugespitzt: Wollen Sie drei Millionen Leute, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, zum Sozialamt schicken. Wollen Sie?
Gröhe: Nein, natürlich nicht!
"Niveau des Gesetzentwurfes gleicht einem Wahlkampf-Flyer"
Barenberg: Aber Bedürftigkeitsprüfung heißt doch Sozialamt?
Gröhe: Nein, das heißt es nicht! Lassen Sie es mich erklären. Von den Menschen, die über 35 Jahre gearbeitet haben, geht heute ein Prozent zum Sozialamt, um Zusätzliches zu erhalten.
Barenberg: Viele schämen sich und gehen deshalb nicht.
Gröhe: Das heißt, sie verteilen milliardenschwer an Menschen, die es nicht brauchen. Und wenn Sie sagen, die Bedürftigkeitsprüfung ist unangemessen; sehen Sie: Die, die Solidarität leisten, beispielsweise wir beide als Steuerzahler, wir werden gegenüber dem Finanzamt natürlich unsere Vermögensverhältnisse offenlegen. Andere Einkünfte, wenn eine Ehe besteht, offenlegen. Das heißt: Das, was der Solidaritätsgeber, der Steuer- und Beitragszahler, selbstverständlich macht, Auskunft über seine materielle Situation zu geben, dass man das auch erwartet von dem, der von der Gemeinschaft eine zusätzliche Unterstützung erhält, ist, glaube ich, richtig und im Übrigen - noch einmal - auch verabredet worden. Und milliardenschwer Geld zu verteilen, ist noch keine soziale Großtat, wenn man vor allen Dingen die trifft, die es nicht brauchen.
Barenberg: Verabredungen kann man ja auch ändern, wenn beide Seiten möglicherweise erkennen, dass sie vielleicht nicht richtig waren.
Gröhe: Das kann man machen. Aber wissen Sie: Herr Heil hat mit uns darüber gesprochen, indem er Interviews gegeben hat, in denen er das Versprechen verzehnfacht hat. Er hat nicht eine seriöse Verhandlung mit uns geführt und das Niveau des Gesetzentwurfes gleicht teilweise eher einem Wahlkampf-Flyer. Den lohnt es sich nicht einmal abzuheften.
"Es ist sinnvoll, das über die Steuer zu finanzieren"
Barenberg: Die Betroffenen sollen nach Ihrer Vorstellung alle Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen. Das erwarten Sie jetzt für die Grundrente. Bei der Mütterrente sind Sie sehr viel großzügiger. Da gibt es keine Bedürftigkeitsprüfung. Ist das nicht mit zweierlei Maß gemessen? Das kostet zehn Milliarden im Jahr.
Gröhe: Nein, das ist nicht mit zweierlei Maß gemessen, denn da geht es um die gleiche Leistung einer Anerkennung von Kindererziehung, die als Leistung erbracht wurde, unabhängig davon, was es an weiteren Einkommen gibt. Es gibt da eine gleiche Erziehungsleistung nach Lebensjahren. Und da wäre es in der Tat unsinnig zu sagen, wer was weiß ich, eine Rente unter 800 hat, dem wird Erziehungsleistung honoriert, und wer eine von 850 hat, da sagen wir plötzlich, Deine Erziehungsleistung ist jetzt der Gemeinschaft nichts mehr wert. Da geht es um Anerkennung einer gleichen Leistung. Bei der Grundrente geht es darum, da, wo Niedrigeinkommen sich in niedriger Rente niederschlagen, aufzustocken. Das ist in Sonderheit bei denen gerecht, die dies auch zum Beispiel in Vollzeit getan haben und die dann häufig bedürftig sind. Wer in Teilzeit 35 Jahre gearbeitet hat, hat in aller Regel andere Alterseinkünfte, und dann ist es unangemessen, auch dort milliardenschwer eine Unterstützung zu gewähren.
Barenberg: Jetzt haben Sie lange geschimpft über die unzureichenden Finanzierungsvorschläge der Sozialdemokraten. Wie ist denn Ihr Finanzierungsvorschlag?
Gröhe: Es ist sinnvoll, das über die Steuer zu finanzieren. Das hat übrigens Herr Heil immer gesagt. Der Unterschied ist, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrages an dieser Stelle geschätzt wird auf 500 Millionen. Dann können wir jetzt noch darüber streiten, in welchem Umfang Schonvermögen, Vermögen, auf das nicht zugegriffen wird, das Auto, das Eigenheim, eine weitere Verteuerung auslöst. Wir sind sicher, dass man den Koalitionsvertrag für Kosten unter einer Milliarde umsetzen kann, während die 3,8 Milliarden aufsteigend bei Herrn Heil eher schöngerechnet sind. Insofern: Das ist eine Leistung, zu der ist der Bundesetat in der Lage, und deswegen ist es klug, jetzt nicht lange zu streiten. Die Menschen, die wirklich diese Unterstützung brauchen, haben nichts von einem Streit. Deswegen: Lasst uns schnell umsetzen, helfen statt Wahlkampfsprüche klopfen.
Barenberg: Hermann Gröhe, Sie waren notiert als einer in der Union, der noch versucht, Brücken zu bauen – etwa, wenn es um den Umfang der Bedürftigkeitsprüfung als Voraussetzung für eine solche Grundrente geht. Ist das für Sie erledigt, oder suchen Sie noch weiter nach einem Kompromiss, oder sagen Sie jetzt schon, das Ding wird wahrscheinlich auch im dritten Anlauf jetzt erst mal scheitern, weil wir uns mit den Sozialdemokraten nicht einigen können?
Gröhe: Wir haben uns geeinigt und die SPD hat diese Einigung verlassen. Wenn Herr Heil einen Vorschlag, der dem Koalitionsvertrag entspricht, vorlegt, werden wir uns über die sicher auch nicht einfachen Fragen, beispielsweise der Zusammenarbeit eines Grundsicherungsamtes mit der Rentenversicherung, verständigen können. Und wir haben im Koalitionsvertrag übrigens auch bereits gesagt, wir wollen, dass das selbstgenutzte Wohneigentum unangetastet bleibt. Da sind wir beim sogenannten Schonvermögen. Da legt der Koalitionsvertrag selbst eine großzügigere Regelung als in der geltenden Rechtslage fest. Und wenn wir das zeitnah umsetzen und das der SPD als ein tauglicher Kompromiss erscheint - lieber heute als morgen.
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