"Über eine Million Menschen sind zu uns ins Land gekommen, und das hat natürlich Konsequenzen", sagte Bouffier. Die Länder müssten Deutschkurse für die Flüchtlinge organisieren und Wohnungen. "Wir müssen verhindern, dass Ghettos entstehen", betonte der CDU-Politiker. Zudem seien erhebliche Zusatz-Anstrengungen bei der Polizei nötig, etwa zur Überwachung von Salafisten.
Die Länder hatten gestern mit Kanzlerin Angela Merkel beraten, aber noch keine Einigung über die Kosten der Integration erzielt. Sie fordern mehrere Milliarden Euro vom Bund.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Wenn sich die Ministerpräsidenten auf zur Kanzlerin nach Berlin machen, dann kann es dort schon mal zünftig zugehen. Da wird mit Schwertern gerasselt, werden die Schilde präsentiert, soweit jedenfalls der bildhafte Vergleich mit King Arthurs "Tafelrunde". In die Moderne übertragen ist das Schwert vielleicht eher die Verfassungsklage und das Schild die Blockade neuer Gesetze im Bundesrat. Denn die Ministerpräsidenten von heute haben mit den Rittern von einst etwas gemeinsam: Ohne sie kann kein König, kann keine Kanzlerin regieren. So kommt es zu Kompromissen, normalerweise; am vergangenen Abend sah es anders aus.
Am Telefon begrüße ich Volker Bouffier von der CDU, Ministerpräsident von Hessen. Guten Morgen, Herr Bouffier.
Volker Bouffier: Ja, guten Morgen! Ich grüße Sie.
Dobovisek: Keine Einigung in der nicht gerade unwichtigen Flüchtlings-Finanzierungsfrage. Seit Monaten tobt Streit. Was sagt uns das über das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, dass wir nach wie vor keine Einigung haben?
"Wir haben einiges hinbekommen"
Bouffier: Na ja, das sagt zunächst einmal, dass es ein sehr, sehr schwieriges, aber auch wichtiges Thema ist. Es ist eine Herausforderung, wie wir sie noch nie hatten. Über eine Million Menschen sind zu uns ins Land gekommen und das hat natürlich Konsequenzen. Wir haben gestern - das haben Sie in Ihrem Vorbericht ja gesagt - einiges hinbekommen, einiges noch nicht, und bei den vielen Themen, die wir haben, die alle im Letzten zusammenhängen und die immer um die Frage gehen, wie teilen wir die finanziellen Kosten auf, und vor allen Dingen, wie machen wir etwas sinnvoll, finde ich das gar nicht ungewöhnlich, dieses Ringen. Und Sie haben es ja selbst gesagt: Wir haben einige Punkte hinbekommen. Wir haben das Teilhabegesetz und die entsprechende Förderung der Kommunen beschlossen. Wir haben die Regionalisierungsmittel endlich gemeinsam auf den Weg gebracht, die Nahverkehrsfragen. Wir haben - das ist sehr wichtig und hat sehr viel zu tun mit dem Thema Flüchtlinge - uns verständigt, was mit denen passiert, die keine eigenen Einkünfte haben, die dann nach SGB II zu behandeln sind, gemeinhin Hartz IV genannt. Dort haben wir eine Regelung für die nächsten drei Jahre, die für die Kommunen extrem wichtig ist. Das sind enorme Beträge. Aber richtig ist: Wir konnten uns nicht einigen bei den Fragen, was machen wir mit den Kosten der unbegleiteten Jugendlichen, ein sehr schwieriges Thema, und gelingt es uns, bei dem Thema Integrationspauschale eine Einigung zu finden. Dort sind wir noch auseinander und wir haben uns gestern verständigt, dass wir möglichst bis Mitte Juli auch das lösen wollen.
Dobovisek: Da sagt die Kanzlerin, da sagt die Bundesregierung ja ganz klar, wir beteiligen uns ja bereits an den Integrationskosten, indem wir zum Beispiel Integrationskurse finanzieren, viele tausend Stellen geschaffen haben beim BAMF, die Asylanträge prüfen. Das ist der Beitrag des Bundes.
Bouffier: Das ist nicht ausreichend. Schauen Sie, ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Wir haben in Hessen alleine seit September fast 30.000 neue Schüler bekommen. Wir haben über 1.000 Klassen aufgemacht nur für Integration, insbesondere Sprache. Das bedeutet rund 1.100 Lehrer auf einen Schlag. Das sind Kosten, die kann man nicht einfach wegzaubern. Aber es ist notwendig, dass wir das tun. Es macht ja doch keinen Sinn, wenn wir die Leute dort sitzen lassen, sondern wir müssen sie möglichst schnell wenigstens sprachfähig machen. - Das ist ein Beispiel. Dazu kommen eine ganze Fülle weiterer Kosten, die an den Ländern bleiben, und wir haben insgesamt in den Haushalten, die Länder in diesem Jahr 21 Milliarden bereits in den Haushalten vorgesehen für diese Aufgaben. Und wir sind in der Tat der Auffassung, dass der Bund sich zur Hälfte beteiligen sollte, und jetzt geht der Streit um die Frage, was rechnet man denn eigentlich alles an. Jetzt kommt der Bund an und sagt, ja dann müssen wir auch die Entwicklungshilfekosten rechnen, wir müssen die Kosten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mitrechnen. Das ist nicht unsere Aufgabe.
Dobovisek: Den Grenzschutz zum Beispiel.
"Wir müssen verhindern, dass Ghettos entstehen"
Bouffier: Letztlich müssen wir diese Sache hinbekommen, denn gelingende Integration macht eine Menge erforderlich. Wir haben eine Fülle von Menschen, die sprechen alle kein Deutsch, ein bisschen Englisch. Wir müssen viele überhaupt erst mal alphabetisieren. Wir brauchen Sozialarbeiter. Wir haben Dolmetscher-Kosten. Wir müssen sehen, dass wir verhindern, dass Ghettos entstehen. Das heißt, wir brauchen eine ganze Reihe von Initiativen, und das ist ohne Geld nicht zu machen.
Dobovisek: Aber gerade was die Sprachförderung angeht, da kommt ja das Geld vom Bund. Da kommt ja das Geld vom BAMF.
Bouffier: Nur zum Teil! - Nur zum Teil! - Das BAMF zahlt für diejenigen, die eine überwiegende Bleibeperspektive haben. Das schönste Beispiel ist für mich Afghanistan. Da ist die Anerkennungsquote knapp unter 50 Prozent. Davon wird abgeleitet, dass nur die, die über 50 Prozent liegen, aus einem Land kommend, dass es für die Sprachkurse gibt, für die anderen nicht. Das kann man so sehen, aber wir können die Leute doch nicht einfach da sitzen lassen. Das sind erhebliche Kosten und am Ende akzeptiere ich das Ringen. Das ist bei Geldfragen ja nichts Außergewöhnliches. Aber eins muss schon klar sein: Die Integration erfolgt vor Ort und sie gelingt nur, wenn wir jetzt richtig etwas tun. Und jetzt sage ich Ihnen mal: Sie brauchen zum Beispiel, wenn Sie in einer kleinen Gemeinde mit 4.000 Einwohnern 1.000 Flüchtlinge haben, eine Menge von Dingen, damit das dort gut geht. Das geht damit los, dass wir zusätzliches Wachpersonal haben. Das geht damit los, dass wir Fahrdienste organisieren und vieles andere mehr.
Dobovisek: Deshalb fließt ja jetzt auch Geld vom Bund an die Kommunen, um auch die Unterbringung zu finanzieren. Die Länder berufen sich immer auf ihre Kompetenzen. Wenn es ums Geld geht, geht es auch meistens um Kompetenzen, Macht und Einfluss und Entscheidungsmöglichkeiten. Warum sollte der Bund für etwas zahlen, für das er momentan gar keine Kompetenz hat?
"Die Länder haben diese Einwanderung nicht zu vertreten"
Bouffier: Schauen Sie, wenn man das brutal ausdrücken würde: Die Länder haben diese Einwanderung nicht zu vertreten. Das war eine Entscheidung des Bundes. Wir wollen sie gemeinsam stemmen und es ist eben so, dass nicht nur die Kommunen, sondern auch die Länder erhebliche Kosten haben. Ich habe Ihnen das Beispiel der Schulen gesagt. Es geht ja nicht nur um die Lehrer; es geht jetzt auch um die schlichte Frage, wir müssen in vielen Schulen anbauen. Es ist eine völlig falsche Vorstellung zu glauben, nur Kommune und nur Bund. Die Länder haben eine Fülle von Verpflichtungen. Ich habe jetzt noch kein Wort dazu gesagt, medizinische Kosten, Übertragungskosten. Das kommt alles zusammen. Und hier einen fairen Ausgleich zu finden, ist nicht unbillig oder eine Machtdemonstration, sondern das ist notwendig, dass wir das hinkriegen, denn für diese große Aufgabe muss jeder seinen Teil zu beitragen. Das tun wir ja auch. Und dann geht es am Ende um die Frage, wie teilen wir das auf.
Dobovisek: Ist Angela Merkel in dieser Hinsicht noch Ihre Partnerin oder Ihre Gegnerin?
Bouffier: Wir sind immer Partner.
Dobovisek: Klingt aber nicht so!
Bouffier: Na ja, schauen Sie. Ich verstehe ja Ihr journalistisches Interesse. Aber wenn wir eine Aufgabe haben, die uns mindestens noch 30 Jahre beschäftigt, von der wir ganz sicher sein können, dass es eine Herausforderung ist, von der bis vor Kurzem keiner sich richtig vorstellen konnte, was das eigentlich bedeutet, dann muss man auch in einer Partnerschaft die Dinge miteinander auswiegen. Ich will Ihnen mal ein Beispiel sagen: Wenn wir eine Fülle von Leuten haben hier im Lande, von denen wir nicht sicher sind, ob sie gegebenenfalls gefährlich sind, bedeutet das, dass wir erhebliche zusätzliche Anstrengungen bei der Polizei übernehmen müssen, beim Verfassungsschutz, alles Ländersache. Wir müssen an die Anti-Salafisten-Programme machen, wir müssen viel mehr überwachen. Das kann man nicht ohne Geld und man darf es nicht ignorieren. Allein dieser Punkt geht gewaltig ins Geld. Die Justiz: Alleine die Tatsache, dass wir bei den unbegleiteten Jugendlichen, die im Schnitt zwischen 50 und 60.000 im Jahr kosten, erhebliche Aufwendungen haben bei den Vormundschaftsgerichten, bei den Betreuern, das sind alles Dinge, die bleiben an den Ländern hängen. Und ich finde, das muss miteinander ausgewogen werden.
Dobovisek: Und all das ist zurückzuführen auf die Entscheidung der Bundeskanzlerin, das können wir ja ruhig namentlich festmachen. Das war ja nicht die gesamte Bundesregierung, sondern namentlich die Kanzlerin, die Anfang September sozusagen die Grenzen geöffnet hat. War das aus Ihrer Sicht jetzt im Nachhinein ein Fehler?
"Wir müssen uns ganz intensiv im Bereich der Sicherheit anstrengen"
Bouffier: Nein! Ich habe immer gesagt, diese Entscheidung in dieser Nacht damals, als sie ja über Ungarn nach Österreich kamen, wie hätte man anders entscheiden sollen. Außerdem: Das ist verschüttete Milch! Es interessiert doch keinen Mensch mehr, hätte man linksrum oder rechtsrum marschieren sollen. Die Menschen sind da und Diskussionen über zurückliegende Sachverhalte helfen uns vergleichsweise wenig. Ich habe Ihnen jetzt mal eine Reihe von Beispielen genannt, die alle in der öffentlichen Diskussion bundesweit selten vorkommen. Wenn aber dann zum Beispiel irgendwo festgestellt wird, dass Leute, die in Belgien oder in Frankreich Terroranschläge begehen, vorher als Flüchtlinge hierhergekommen sind, dann müssen wir doch etwas tun! Dann können wir doch uns nicht zurücklehnen, sondern wir müssen uns ganz intensiv zum Beispiel im Bereich der Sicherheit anstrengen. Das tun wir!
Dobovisek: Und sich zum Beispiel einigen, was nicht geschehen ist gestern.
Bouffier: Ich bin zuversichtlich, dass man sich findet. Das ist ja nichts Außergewöhnliches. Wir haben hier eine Jahrhundertaufgabe und die darf nicht daran scheitern, dass wir uns am Ende nicht einigen. Es sind ja durchaus alle kompromisswillig, aber bei solchen Sachverhalten geht es auch um die Frage, welche Weichen stellen wir. Nach meiner Überzeugung müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen. Es nützt nichts, wenn wir uns jetzt zusammentun und sagen, okay, das ist jetzt mal fürs nächste halbe Jahr. Das hilft niemand. Die Kommunen brauchen Planbarkeit, der Bund, aber auch die Länder. Und deshalb: Bei dieser Herausforderung geht es um was, und dass man dabei ringt, das halte ich nun wirklich nicht für außergewöhnlich. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen am Ende. Und jetzt muss man mal so sagen: Gehen Sie mal ein Jahr zurück. Da hat man nicht mal geahnt, was auf uns zukommt. Vor einem halben Jahr wussten wir nicht, was das eigentlich konkret bedeutet. Jetzt können wir die Dinge ein bisschen besser abschätzen und dabei wird auch deutlich, was notwendig ist, wenn Integration gelingen soll. Und das kann doch ernsthaft niemand bestreiten, wir wollen doch, dass sie gelingt. Also müssen wir uns auch so wechselweise ausstatten, dass wir in der Lage sind, diese Herausforderung zu stemmen. Und dann sind das eben Dinge wie Integrationspauschalen. Dann ist das eben eine Frage, was machen wir mit unbegleiteten Jugendlichen beziehungsweise wie gehen wir damit um. Dann ist das eine Frage, wie kriegen wir es hin, dass wir zum Beispiel auch bei den Wohnungen A verhindern, dass es Ghettos gibt, B erreichen, dass überhaupt gebaut wird. Das sind doch Dinge, die können wir nur gemeinsam stemmen, und gemeinsam bedeutet dann eben auch gemeinsame Finanzierung.
Dobovisek: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Herr Bouffier.
Bouffier: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.