Die Fliege – ein Insekt von zweifelhaftem Ruf. Manchen gilt sie gar als Symbol des Bösen, als Tier des Teufels. Was also hat es zu bedeuten, wenn bald in Hannover um ein Porträt von Martin Luther fünf Fliegen kreisen?
"Über die Nähe Luthers zum Bösen in Gestalt der Fliege nachzudenken, finde ich eine durchaus lohnende und interessante Aufgabe - und zwar durchaus als evangelischer Theologe sage ich das, weil ich an Luther Elemente wahrnehme, die ich für abgründig böse halte."
Thomas Kaufmann ist Professor für Kirchengeschichte in Göttingen.
"Die Art und Weise, wie Luther mit einigen seiner Gegner umgegangen ist - Müntzer, Karlstadt - über die er Gerüchte in die Welt gesetzt hat, von denen er wusste, dass sie falsch sind, um sie zu schädigen - die Art und Weise, wie Luther Juden ans Messer zu liefern versucht hat, war abgründig böse."
Thomas Kaufmann sitzt in seinem fliegenfreien Esszimmer, vor ihm auf dem Tisch liegt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auf Seite drei ein Foto: Es zeigt den Entwurf eines Fensters – ein Fenster, das bald in die Marktkirche in Hannover eingebaut werden soll. Zumindest wenn es nach Gerhard Schröder geht. Der Altkanzler will das Fenster stiften. Er lebt in Hannover und fühlt sich der Marktkirche sehr verbunden. Der Kirchenvorstand will das Geschenk gerne annehmen, auch wenn es in der Gemeinde viel Kritik an dem Kunstwerk gibt. Entworfen hat es im Auftrag Schröders ein Freund von ihm: der Künstler Markus Lüpertz.
Beelzebub, der Herr der Fliegen
"Vielleicht geht dieses Fenster - wenn es denn mal passiert - als 'Fliegenfenster' in die Geschichte ein", sagt Lüpertz.
Fünf fette Fliegen hocken auf dem Entwurf des Fensters. Keine echten Fliegen, aber echt eklige Fliegen: einen knappen Meter groß sollen sie werden und entsprechend detailreich. Schröders Auftrag an Lüpertz lautete allerdings nicht: Mal mal fünf Fliegen! Sondern: Setz‘ Dich mit Luther auseinander! Und so soll im unteren Teil des 13 Meter hohen Fensters dann auch Luther zu sehen sein – ein gespensterhafter Luther. Fünf Meter groß und schlanker, als man ihn kennt. Mit weißem Gewand, erhobenen Händen und erschrockenem Blick.
"Sie kennen alle die Legende, wie er die Bibel übersetzt, und Satan stört ihn in Form einer Fliege. Und er nimmt ein Tintenfass und schmeißt es nach der Fliege - und weiß, das ist Beelzebub", sagt Lüpertz.
Beelzebub – einer der vielen Namen des Teufels. Beelzebub übersetzt bedeutet: "Herr der Fliegen". Diese Legende will Markus Lüpertz auf dem Fenster also künstlerisch umsetzen. Das erzählte er bereits im vergangenen Sommer in der Marktkirche, als er seinen Entwurf präsentierte. Die Sache hat nur einen kleinen Haken: In der Legende von Luther und dem Tintenfass kommen eigentlich gar keine Fliegen vor. Luther hört den Teufel kratzen und schaben – nicht summen und brummen. Auch ausgewiesene Luther-Experten, wie Thomas Kaufmann, wissen nichts von Fliegen oder anderen Insekten.
Fliegenlose Luther-Legende
"Es gibt keinen besonders engen Bezug Luthers zu Fliegen, soweit ich sehe. Es gibt Äußerungen Luthers über Schwärmer, Schwarmgeister. Aber da denkt man eher an Bienen, die so herumsurren und Geräusche machen. Da ist auch nicht eindeutig, dass es Bienen sind, das mögen auch Fliegen sein."
Ob nun Fliegen oder nicht – irgendwie sind diese Insekten also bei Lüpertz in der Legende um Luther und das Tintenfass gelandet.
"Luther ist mir vertraut aus meiner Jugend, aus dem Konfirmationsunterricht, und ich kenne alle Legenden von Luther."
Irgendwann kehrte Lüpertz seinem Luther allerdings den Rücken und wurde katholisch. Trotzdem fasziniert ihn der Reformator nach wie vor.
"Diese doch sehr liebenswürdige Szene, wie er mit dem Tintenfass nach der Fliege schmeißt, ist natürlich eine sehr - finde ich - spannende Vermittlung von dem, was er ist und was er vorhat - von auch einer gewissen Menschlichkeit. Und deswegen war die Fliege in diesem Ornament des Fensters für mich ein - ja, um es nett zu sagen: ein Muss."
Fliegen, Kot und Kadaver - das passt gut
Ein Muss – wenn auch kein historischer Fakt. Der Wurf Luthers mit dem Tintenfass nach dem Teufel, er ist historisch ohnehin nicht zu belegen. In der Freiheit eines Künstlermenschen verwandelt Lüpertz den Teufel nun also in fünf Fliegen. Das passt, findet der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann:
"Die Fliege wird von Kot und Kadaver angezogen. Insofern ist die Fliege in tiefen traditionsgeschichtlichen Verbindungen mit dem Bösen und dem Teufel konnotiert."
"Wenn ich heute also mich mit der Fliege, mit diesem Begriff Beelzebub auseinandersetze, dann ist das ein Angebot", sagt Lüpertz.
Ein gutes Angebot, meint Thomas Kaufmann, denn der evangelische Theologe schaut sehr kritisch auf Martin Luther.
"Die Luther-Darstellungen zeitgenössischer Künstler sind dadurch interessant, dass sie den Menschen Luther, die Umstrittenheit Luthers, das Problematische an Luther sehr viel offener thematisieren als dieser unnahbare Heros, der nach wie vor auf doch sehr vielen öffentlichen Marktplätzen steht", sagt Kaufmann.
"Er kämpft den Teufel permanent nieder"
Auch in Hannover steht so ein übermenschlich-großer Luther auf dem Marktplatz – direkt neben der Marktkirche, an der nun also bald ein deutlich weniger heroischer Luther zu sehen sein soll – einer dem der Teufel im Nacken sitzt. Lüpertz will in seinem Fenster diesen Teufel als ein glühendes Skelett darstellen.
"Also hinter Luther - das Dunkle, das Flammende - ist der Teufel, mit dem er also - wenn Sie Luther lesen - mit dem er eine permanente Auseinandersetzung hat. Der sah ihn überall und wähnt ihn überall."
"Luther und der Böse, der Teufel, ist ja kein abseitiges Thema, sondern das ist ein zentrales Thema seiner Theologie. Luther hat sich in der Nähe, in der Bedrohung, in der Anfechtung durch den Teufel gewusst. Er kämpft den Teufel permanent nieder. Sein ganzes religiöses Leben ist auch ein Kampf gegen den Teufel", sagt Kaufmann.
Klage gegen Fliegenfenster?
Luther und der Herr der Fliegen - aus Kaufmanns Sicht also eine gelungene Kombination, die da bald in Hannover zu sehen sein könnte. Verhindern kann das wohl nur noch ein Rechtsanwalt aus Tokio. Er heißt Georg Bissen und ist Stiefsohn des Architekten Dieter Oesterlen. Der hatte die Marktkirche nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert – und das Urheberrecht daran seinem Stiefsohn vererbt. Der wiederum hält so gar nichts davon, dass eines der zehn weißen Milchglasfenster bald bunt werden könnte mit Teufel und Tintenfass. Das passe nicht ins Konzept der Kirche. Seit Monaten scheitern die Gespräche zwischen Kirchenvorstand und dem Erben. Auch eine Mediation hat er abgelehnt. Gut möglich also, dass das Fliegen-Fenster bald vor Gericht landet. Aber vielleicht können die Argumente des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann den Erben ja noch umstimmen.
"Es ist immer gut, wenn Kunstwerke, die zum Denken, zur Diskussion Anstoß geben, im Kirchenraum stattfinden. Und meines Erachtens ist es ein großartiger Ausdruck von Stärke und Souveränität, wenn man Kunstwerken, die nicht stromlinienförmig Erwartbares bieten, in der Kirche ihren Ort gibt."
Hier der vollständige Entwurf des "Fliegenfensters":