Archiv

Streit um Konzertprojekt
"Völkermord muss man auch Völkermord nennen"

Ein von der EU gefördertes Projekt der Dresdner Sinfoniker sorgt für Ärger: Mit "Aghet" wollen die Musiker an den Völkermord an den Armeniern durch die Türken erinnern. Nach Protest aus Ankara war ein strittiger Text verschwunden. Jetzt ist er wieder online - mit kleiner Distanzierung.

Von Annette Riedel, Studio Brüssel |
    Armenier demonstrieren vor dem Konsulat der Türkei in Jerusalem und fordern, die Türkei möge den Völkermord an den Armeniern gestehen.
    Armenier demonstrieren vor dem Konsulat der Türkei in Jerusalem und fordern, die Türkei möge den Völkermord an den Armeniern gestehen. (imago / ZUMA Press)
    Kuscht die Europäische Kommission im Zusammenhang mit dem Dresdner Konzertprojekt vor Ankara? Vielleicht weil sie die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise braucht?
    Nein, heißt es in Brüssel und man beeilte sich zu versichern, dass man sich von Ankara nicht hineinreden lasse, welche Kulturprojekte im Rahmen des Programms Creative Europe gefördert würden und welche nicht. Die Kriterien seien transparent, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas, und hätten nichts mit politischen Betrachtungsweisen zu tun.
    "Die EU-Kommission finanziert das Projekt mit, weil es Versöhnung und das Schlagen von Brücken fördert, wofür wir uns stark einsetzen."
    Ankara jedoch fühlt sich düpiert durch die Förderung des musikalischen Projekts, das den Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich von 1915 thematisiert. Die Ereignisse, die von den Armeniern selbst mit dem Begriff "Aghet" – "Katastrophe" – bezeichnet werden, haben dem musikalischen Projekt der Dresdner Symphoniker den Namen gegeben.

    Türkei wehrt sich gegen Bezeichnung "Völkermord"

    Die Türkei wehrt sich dagegen, das damalige massenhafte Töten als Völkermord einzustufen und wehrt sich entsprechend gegen die Förderung des Vorhabens der Dresdner Symphoniker im Rahmen des EU-Programms Creative Europe, an dem auch die Türkei teilnimmt.
    Der türkische Botschafter bei der EU hat mindestens einen offiziellen Beschwerde-Brief an die zuständige Generaldirektion Erziehung und Kultur geschickt und die Einstellung der Förderung verlangt. Dem und auch dem Anliegen, zumindest dafür zu sorgen, dass das sensible Wort "Genozid" aus der Projektbeschreibung von der offiziellen EU-Internet-Seite verschwindet, beugte sich die EU-Kommission nicht. Aber:
    "Die türkischen Offiziellen glaubten, dass die Projektbeschreibung die Meinung der EU-Kommission zum Thema wiedergibt, was nicht der Fall ist. Wir haben dem türkischen Botschafter auch schriftlich klar gemacht, dass wir uns weder in den künstlerischen Inhalt subventionierter Projekte einmischen können, noch in deren Titel, noch in die Projekte-Beschreibung, wie wir sie im Internet veröffentlichen - solange sie sich im Rahmen der künstlerischen Freiheit derer bewegen, die jedes Projekt umsetzen."
    Vorübergehend war der Text zum Konzert-Vorhaben "Aghet", das zwei Jahre lang mit insgesamt 200.000 Euro europäisch gefördert wird, dann tatsächlich von der offiziellen Seite verschwunden. Jetzt steht er nach ein paar Tagen wieder da. Genau wie zuvor. Da heißt es, übersetzt aus dem Englischen:
    Gedenkstätte an den Völkermord an den Armeniern in Jerewan, Hauptstadt von Armenien
    Gedenkstätte an den Völkermord an den Armeniern in Jerewan (picture alliance / dpa / Foto: Abaca 106804)
    "2015 markierte den 100. Jahrestag der ethnischen Säuberung der Armenier im Osmanischen Reich. Dieser Genozid, immer noch geleugnet von der türkischen Regierung, demonstriert auf furchtbare Weise die Anpassung des Osmanischen Reichs an westliche Moderne, angeführt von den 'Jungtürken'."

    EU-Kommission weist Verantwortung zurück

    Das Reizwort "Genozid" - es stand und steht also im Text zum Projekt, bei dem Partner aus Istanbul, Jerewan, Belgrad und Madrid eingebunden waren. Die Türkei nicht brüsk vollkommen zurückzuweisen und sie damit entsprechend zu verärgern einerseits, sich gleichzeitig nicht von Ankara reinreden lassen - die EU-Kommission hat dieses Problem nunmehr so gelöst, wie deren Sprecher es gestern beschrieb:
    "Wir akzeptieren, dass der Eindruck entstehen konnte, dass der Text zur Beschreibung des künstlerischen Projekts, die Meinung der EU-Kommission wiedergibt. Um Unklarheiten auszuräumen, haben wir jetzt dem Text, der unverändert bleibt, einen Hinweis hinzugestellt, dass wir nicht für die Inhalte verantwortlich sind. Nicht wir schreiben und verantworten sie, sondern die Autoren der Projekte."
    Die EU-Kommission muss bei diesem Thema "Massenmord an den Armeniern" Rücksicht auf Befindlichkeiten nehmen – nicht nur auf die der Türkei.
    "Wir akzeptieren, dass es bei diesem Thema Unterschiede unter unseren Mitgliedsstaaten gibt. Wir konzentrieren uns darauf, Wege zur Versöhnung und Einheit der EU-Mitgliedsländer zu finden."
    Und deshalb macht sich die EU-Kommission das Wort "Genozid" im Zusammenhang mit dem Massenmord an den Armeniern nicht selbst zu eigen, obwohl, heute erneut zitiert, EU-Kommissions-Vizepräsidentin Georgieva im April 2015 bei der Gedenkveranstaltung im Europäischen Parlament davon sprach, dass sich "historische Tatsachen nicht leugnen lassen, unabhängig davon, mit welchen Worten man die schrecklichen Ereignisse beschreibt."
    Die europäischen Volksvertreter ihrerseits – egal welcher politischen Coleur – scheuten sich vor einem Jahr nicht, unumwunden von Genozid und Völkermord zu sprechen, wie der SPD-Europaparlamentarier Knut Fleckenstein:
    "Ich weiß, dass es einige Kollegen gibt, die es nicht gern hören wollen, aber Völkermord muss man auch Völkermord nennen. Das gilt für uns alle – auch für die Türkei."