Kinder, die in Afrika Kakao ernten, Näherinnen und Näher, die Hungerlöhne in Asien bekommen - Kinderarbeit und Ausbeutung sind alltäglich in der globalen Wirtschaft. Die so hergestellten Rohstoffe landen auch in den Lieferketten deutscher Unternehmen.
Eigentlich wollte die Bundesregierung bis Ende August Eckpunkte eines Gesetzes verabschieden, das Unternehmen verpflichtet, Menschenrechte und auch andere Standards einzuhalten. Nun soll es in der nächsten Woche wohl erneut Gespräche dazu geben. Denn die Wirtschaftsverbände laufen Sturm gegen die Entscheidung. Sie verlangen unter anderem, dass es keine zivilrechtliche Haftung gibt - und dass das Gesetz nicht für die gesamte Lieferkette gilt.
Wir haben darüber mit Carsten Linnemann gesprochen. Er ist Unions-Fraktionsvize und Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU.
Stephanie Rohde: Müssen deutsche Unternehmen schnellstens Nein sagen zu Kinderarbeit in den Lieferketten?
Carsten Linnemann: Ja, das machen sie ja auch. Auch die deutsche Bundesregierung fliegt ja seit vielen Jahren in die Welt nicht nur zu Kinderarmut. Es geht auch um chinesische Minen, um die Fabriken. Dort herrschen ja Bedingungen, da würde kein deutscher Arbeitnehmer arbeiten. Nur leider ist es so, dass selbst die Bundesregierung dort sich nicht durchsetzen kann, und deswegen setzt man sich weiter dafür ein, auch im Rahmen der WTO-Verhandlungen, und das ist, glaube ich, unstrittig.
Rohde: Sie sagen, dass Unternehmen das schon machen. Aber bisher ist es ja so, dass nur jedes fünfte Unternehmen freiwillig seine Sorgfaltspflichten bei den Menschenrechten tatsächlich auch erfüllt. Also passiert das doch nicht.
Linnemann: Ich glaube, der entscheidende Schritt, Frau Rohde, ist, dass es umsetzbar ist für diese Unternehmen. Ich war erst vor einem Jahr in China und habe dort auch deutsche Unternehmen besucht, die auch Joint Venture haben mit chinesischen Unternehmen, wo die Arbeitsbedingungen, die Sozialstandards voll eingehalten wurden nach unserem Recht, wo man gewissenhaft dort unterwegs ist – wollen sie auch machen, weil sie genau wissen, es ist ihre Verantwortung – auch, um die Produkte in Deutschland zu verkaufen. Das Problem ist nur: Wenn Sie dann in den Zulieferbereich gehen, dort wo Sie keinen Einfluss mehr haben, dort wo Sie die Transparenz nicht haben, dort wo Sie das nicht einhalten können, dort wird es schwierig für deutsche Unternehmen, diese Standards dann einzukassieren beziehungsweise einzuhalten.
Rohde: Aber die Wirtschaftsverbände fordern ja, dass das Gesetz auf eine zivilrechtliche Haftung verzichtet. Was würde ein Gesetz bringen, was Verstöße gar nicht bestraft?
Linnemann: Nee, nee! Die Verstöße sollen natürlich bestraft werden. Es gibt Bußgelder, es gibt Zwangsgelder. Die Frage ist, wie. Die Frage ist, wie. Die Frage ist, möchte man in Deutschland Schadensersatzklagen provozieren, private Betroffene an deutschen Gerichten für Vorgänge, wo der Mittelständler keinen Einfluss drauf hat.
Gesetz sollte sich auf ersten direkten Zulieferer konzentrieren
Rohde: Aber wenn jemand unter Kinderarbeit leidet und unter schlechten Bedingungen arbeiten muss, dann muss er doch auch in Deutschland klagen können.
Linnemann: Richtig! Grundsätzlich ja. Aber es muss auch praktikabel sein. Ich gebe Ihnen nur mal ein Beispiel. Wenn Sie nur mal die Firma BASF nehmen. Die haben 70.000 Zulieferer, direkte Zulieferer, und dann noch mal Millionen Zulieferer, die den jeweiligen Zulieferern zuarbeiten. Wie soll BASF auf die nächsten Zulieferer Einfluss nehmen? Oder ein Mittelständler, der rief mich letzte Woche erst noch an und meinte zu mir: Herr Linnemann, selbst meine Zulieferer sagen mir nicht, wo sie beispielsweise – das war jetzt ein Notebook-Produzent – die Hülle, die Hülse für dieses Notebook herbekommen, weil sie nicht wollen, dass der Wettbewerber weiß, wo das herkommt. – Es sind ganz einfache Beispiele.
Was ich Ihnen damit sagen will ist, Frau Rohde: Wenn man so ein Gesetz macht in dieser Zeit, sollte es meines Erachtens sich konzentrieren auf den ersten Zulieferer, das heißt auf den direkten, wo ich auch Einfluss habe. Dann sollte man es zweitens auf die europäische Ebene ziehen. Da arbeitet man ja bereits an Initiativen. Das macht ja viel mehr Sinn, wenn wir uns europaweit für diese Menschenrechte einsetzen und die durchsetzen, anstatt jetzt, wo wir kurz vor einer Insolvenzwelle stehen – ich sage das ziemlich klar; – ich glaube das wird immer noch unterschätzt in Deutschland. Das ist die größte Krise in der Nachkriegsgeschichte, und das ist jetzt keine Ablenkung, sondern ab dem 1. Oktober werden die Insolvenzen wieder scharf geschaltet. Die Anmeldepflicht wird scharf geschaltet, wenn ich zahlungsunfähig bin. Wir reden da über Unternehmen im sechsstelligen Bereich. Und in diesem Lichte würde ich nicht für diese Verunsicherung so sorgen, sondern wirklich sich ruhig an den Tisch setzen, um zu überlegen, was können wir praktikabel umsetzen und was nicht.
Rohde: Aber dazu muss man auch sagen, die EU ist da tatsächlich schon weiter. Und es gibt auch eine Studie der EU-Kommission, die sagt, dass dieses Umsetzen von Mindeststandards in der Produktion die Unternehmen 0,05 Prozent ihrer Gewinne kosten würde. Das wäre es doch tatsächlich wert, um gegen Kinderarbeit vorzugehen, oder?
Linnemann: Absolut! Es muss nur beim ersten Zulieferer sein. Nehmen Sie mal ein Beispiel: ein ganz normales Herrenhemd, ein Oberhemd, hat mehr als 100 Arbeitsschritte, extrem viele Zulieferer. Wenn wir beide jetzt dieses Herrenhemd in Deutschland verkaufen, dann wissen wir nicht, was der sechste Zulieferer für Arbeitsbedingungen hat. Wenn man uns jetzt dafür verantwortlich macht, Frau Rohde, wie sollen wir beide sicherstellen, dass der sechste Zulieferer die Arbeits- und Sozialstandards auch wirklich einhält? Das können wir beide nicht.
"Es gibt Mittelständler, die haben gar nicht die Chance"
Rohde: Aber es gibt ja verantwortungsbewusst handelnde Unternehmen und die werden ja gerade in dem Ausbeutungsmodell benachteiligt.
Linnemann: Im Gegenteil! So würde ich es gar nicht sehen. Ich sehe es eher so: Wenn man jetzt überzieht und man nimmt Unternehmen in die Verantwortung, was Dritte machen, wo sie selbst keinen Einfluss drauf haben, dann führt das gegebenenfalls sogar dazu, dass sich diese Unternehmen dann aus den Ländern sogar zurückziehen. Dann hätte man einen Bärendienst den Menschenrechten erwiesen, die in Lateinamerika, die in Asien, in Afrika oder sonst wo stattfinden. Ich würde diesen Schritt sogar noch weitergehen.
Rohde: Aber viele Unternehmen, zum Beispiel Tchibo oder auch BMW und Daimler, begrüßen dieses Lieferkettengesetz, und zwar für die gesamte Lieferkette. Warum gibt es dann einige Unternehmen, die das einfach nicht hinkriegen wollen?
Linnemann: Es gibt Mittelständler, die haben gar nicht die Chance. Die haben unterschiedliche Tiefen auch bei den Wertschöpfungsketten. Es gibt natürlich Wertschöpfungsketten, die haben eine Tiefe von ein, zwei Zulieferern. Und dann gibt es Wertschöpfungsketten – ich habe Ihnen gerade dieses Beispiel mit dem Oberhemd genannt -, die haben extrem viele Zulieferer. Ich glaube, da muss man genau unterscheiden.
"Mittelständler können nicht Verantwortung für Dritte übernehmen"
Rohde: Aber BMW hat im Zweifel auch sehr viele Zulieferer und viele Ebenen und kriegt das offenbar auch hin.
Linnemann: BMW, glaube ich, bin ich mir auch sicher, wenn Sie die jetzt kontaktieren und fragen, ob für die gesamte Zulieferkette eines zivilrechtliche Haftung eingeführt werden soll, werden die sagen, grundsätzlich bin ich dafür, dass ich Verantwortung übernehme, aber in diesem Bereich kann ich nicht sicherstellen, dass der siebte Zulieferer auch unter den gewissen Bedingungen dort arbeitet. Das ist einfach nicht möglich!
Rohde: Und was passiert, wenn man dieses Gesetz jetzt etwas aufweicht? Heißt das dann nicht letztlich, dass man die Verantwortung auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzt?
Linnemann: Was heißt Aufweichen? Ich würde, Frau Rohde, Gesetze immer so machen, die auch durchsetzbar sind. Ich glaube, wir in Deutschland brauchen uns wirklich nicht verstecken, was Arbeitsstandards, was Sozialstandards, Einhaltung im Ausland anbelangt. Wenn Sie die 20-, 30jährige Geschichte der WTO sehen, da waren die Deutschen es, die Europäer es, die sich dafür eingesetzt haben. Es muss nur durchsetzbar sein – insofern, dass die Menschen, dass die Mittelständler gerne Verantwortung übernehmen für das, was sie direkt tun. Aber sie können nicht Verantwortung für das übernehmen, was Dritte tun, wo sie keinen Einfluss drauf haben. Ich glaube, darum geht es in der nächsten Woche mit den Ministern, dass man darüber redet. Um es klar zu sagen: Ich würde den Bezug nur auf die direkten Zulieferer nehmen. Ich würde es möglichst europäisch machen, übrigens auch zügig. Da würde ich auch Druck machen, Frau Rohde. Es ist kein Ablenkungsmanöver. Und ich würde es drittens wirklich auf ganz große Unternehmen beziehen. Wenn Sie Unternehmen haben mit 500 Mitarbeitern, mit tausend Mitarbeitern – ich sage mal, selbst die Franzosen beginnen bei 5000 Beschäftigten. Deswegen würde ich es so umsetzen, dass es praktikabel ist, und nichts anderes.
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