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Streit um Militärseelsorge

30 Millionen Euro kostet den Steuerzahler die Militärseelsorge jährlich. Schluss damit, fordert eine ökumenische Initiative und verlangt ein Ende der Zusammenarbeit von Bundeswehr und Kirchen. Die Miltärseelsorger sehen ihre Tätigkeit dagegen als Dienst am Menschen, nicht am Soldaten.

Von Johannes Nichelmann | 08.11.2012
    "Kein Segen für‘s Militär" - Es ist ein Streit entbrannt, zwischen Friedenspfarrern auf der einen Seite…

    "Die Kirche soll sich zurückziehen aus der Militärseelsorge!"

    Und Militärseelsorgern auf der anderen Seite.

    "Also ich lass mir von nichts und niemandem absprechen, dass ich durch meine Tätigkeit nicht auch am Frieden in der Welt auch teilnehme und arbeite!"

    Die "Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge" fordert ein Ende der Zusammenarbeit von Bundeswehr und den christlichen Kirchen. Pastor Rainer Schmid aus Friedrichshafen am Bodensee sah vor über einem Jahr einen Fernsehgottesdienst, in dem ihm die Zusammenarbeit von Kirche und Staat zu eng erschien.

    Gemeinsam mit dem "Dietrich-Bonhoeffer-Verein" und dem "Internationalen Versöhnungsbund" hat er nun einen Forderungskatalog aufgestellt. Darin heißt es: Die Kirchen sollten dem gewaltfreien Jesus Christus nachfolgen. Die rund 30 Millionen Euro, die die Seelsorge bei der Bundeswehr den Steuerzahler kostet, müssten zur frühzeitigen Konflikterkennung verwendet werden. Außerdem habe das Militär in den Räumen der Kirche nicht mehr zu werben und zu informieren.

    "Höchstens Kontaktcafés sollen wir aufmachen für die Soldaten. Beratungstelefon. Aber bitte in Gemeinderäumen und nicht in der Kaserne. Von außen sieht man, dass wenn ein Pfarrer mitgeht, mit Soldaten in den Krieg, dass der diesen Kriegszug unterstützt, praktisch legitimiert."

    "Behüte und beschütze die Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen. Behüte und beschütze Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sie begleiten."

    Gottesdienst in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Direkt hinter der Kirche starten Ferien- und Bundeswehrflieger auf dem Rollfeld von Tegel. An diesem Sonntagmorgen hören knapp 30 Soldatinnen und Soldaten sowie einige Angehörige der Predigt von Militärdekan Bernd Schaller zu. Der große Mann mit Halbglatze wirkt autoritär. Die Gruppe scheint in der Kirche etwas verloren. Als Schaller über die Initiative zur Abschaffung der Seelsorge bei der Armee spricht, geht ein Raunen durch die Bankreihen.

    "Militärseelsorge ist Kirche unter Soldaten. Und wenn wir Soldaten ersetzen durch den Begriff 'Menschen', dann treffen wir das. Ganz genau. Ich erlebe in meinem Alltag Soldatinnen und Soldaten, die als Menschen mehr nachfragen, als das viele übrige tun …"

    Klar könne man über alles reden, sagt er weiter. Allerdings gefalle ihm der Ton in der Diskussion um die Abschaffung nicht. Die Anschuldigungen, er und seine Kollegen würden sich dem Bundesverteidigungsministerium unterwerfen und als Kirchenvertreter in Uniform auftreten, machen den Dekan wütend.

    "Der Militärseelsorger ist kein Soldat. Der unterliegt keiner Befehlsgewalt in irgendeiner Form des Staates. Das muss festgehalten werden. Wir sind Zivilisten!"

    Nur tragen die Seelsorger im Auslandseinsatz sandfarbene Kleidung, wie die Soldatinnen und Soldaten. Allerdings ohne Abzeichen und Dienstgrad. Für die Zeit bei der Armee sind die Geistlichen aber von der Kirche freigestellt und werden vom Bund bezahlt. Bernd Schaller hat mehrmals – übrigens freiwillig - Einsätze der Truppe in Afghanistan begleitet.

    "Wir hatten in diesem Kontingent am Karfreitag 2010 ja einen Anschlag, wo drei Soldaten ums Leben kamen und vierzehn Tage später noch mal vier. Das macht natürlich mit der Gemeinschaft, aber auch mit einem selber natürlich eine ganze Menge. Und da werden dann natürlich auch viele, viele Fragen gestellt."

    Wie kann man mit dem Tod der Kameraden umgehen? Wie soll der Alltag hier weitergehen? Einige der Fragen. Die meist jungen Menschen kommen aber auch zu ihm, wenn sie Heimweh haben oder ihnen eine Fernbeziehung nach Deutschland vielleicht zu schaffen macht. Sehr persönliche Probleme, die sie mit ihren Vorgesetzten nur schwer bereden können.

    Schaller: "So, Oberst!"
    Oberst: ""Herzlichen Dank, kann ich nur sagen."
    Schaller: "Ja."
    Oberst: "Herzlichen Dank! Ich werde irgendwann auf Sie zukommen, wenn Sie mögen …""

    Der Gottesdienst in der Kaserne ist vorüber. Bernd Schaller steht am Ausgang der Kirche und führt noch einige Gespräche. Oberstleutnant Markus Slomka ist einer der Besucher. Seit 24 Jahren ist er Soldat, dient bei den Feldjägern in Hannover. Sechs Mal war er bisher im Ausland - in Afghanistan, auf dem Balkan, im Sudan und im Kongo. Militärseelsorge hat für ihn einen wichtigen Stellenwert.

    "Tendenziell auch stärker im Ausland als im Inland. Weil der Pfarrer ist ja 24 Stunden, sieben Tage die Woche verfügbar, und da ist ein sehr starkes Miteinander. Im Inland ist man eher auf Distanz. Gerade im Krieg, wo eine besondere Situation besteht, braucht der Soldat einen besonderen moralischen Rückhalt, und die Kirche kann das ganz besonders vermitteln. Also jedenfalls stärker, als vielleicht jede andere Institution, weil sie da vielleicht glaubwürdiger ist."

    Würde die Kirche das nicht mehr leisten, sagt der Oberstleutnant, dann müsste sich die Bundeswehr eben etwas Neues einfallen lassen. Für Markus Slomka ist aber klar, dass die Soldatinnen und Soldaten im Ausland jemanden brauchen, mit dem sie auf dem kurzen Dienstweg reden können. Dies passiere übrigens unabhängig von der Glaubenszugehörigkeit. Die "Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge" sieht in all dem dennoch ein Dilemma. Eine "Religion des Friedens" mache sich unglaubwürdig, wenn sie "Kriegspfarrer" entsendet, meint Pfarrer Rainer Schmid:

    "Also ein Überrest aus der Vergangenheit, diese Militärseelsorge. Sie passt nicht mehr zu einer modernen, heutigen Kirche, die Jesus nachfolgen möchte. Dem gewaltfreien Jesus Christus."

    Der Sprecher der Militärseelsorge, erzählt der 49-Jährige, habe ihm viel Glück gewünscht. Zehn Jahre gibt sich die Initiative Zeit, ihr Ziel zu erreichen.