Dicht gedrängt stehen und knien Journalisten vor Kristina Hänel, einige strecken ihr die Mikrofone entgegen. "Dass es jetzt so voll ist, das ist ja eigentlich ein gutes Zeichen", sagte sie Mitte Dezember bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Es war der vorerst letzte öffentliche Auftritt der Gießener Ärztin nach Wochen der Aufmerksamkeit. Das Amtsgericht Gießen hatte sie im November zu 6.000 Euro Strafe verurteilt, nach Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft.
"Die Anzeigen haben im Jahr 2005/2006 angefangen und ich bin ja nicht die einzige Ärztin. Ich hatte zwei Anzeigen, die eingestellt worden sind. Im Jahr 2015 bin ich dann wieder angezeigt worden. Und jetzt ist das Besondere passiert, dass Anklage erhoben worden ist und ich auch vor Gericht musste. Und dann bin ich vor Gericht sogar noch verurteilt worden."
Der Vorwurf: Die Ärztin hatte darüber informiert, dass sie Abtreibungen vornimmt, sachlich Methoden und Ablauf beschrieben – auf ihrer Homepage oder automatisiert auf Anfrage.
Paragraf im Schatten
Es war dieser Fall, der auch Abgeordnete in Berlin auf den Plan rief und jetzt Anlass für die Diskussion im Bundestag ist – allerdings nicht dieser Fall allein.
Jahrzehntelang hatte Paragraf 219 a ein Schattendasein geführt. In den letzten Jahren aber sei er gezielt instrumentalisiert worden, sagt etwa die Grüne Ulle Schauws: "Die Anzeigen sind aus den Reihen der sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützer, die vermehrt einfach auch gezielt nach Internetseiten von Ärztinnen und Ärzten suchen."
"Ja, wir haben Belege, das ist eine ganz gezielte, konzertierte Aktion", sagt auch SPD-Fraktionsvize Eva Högl. Nur geht es eben nicht mehr nur um diejenigen, die abtreibungswillige Ärzte bei Polizei und Staatsanwaltschaft melden.
Frauenthema über Fraktionsgrenzen hinweg
Seit dem Gießener Fall ist klar: Es gibt auch Staatsanwälte und Gerichte, die das Anliegen verfolgen. Eva Högl sieht deshalb Handlungsbedarf: "Ich finde, der Gesetzgeber ist gefragt, wenn man feststellt, dass eine Vorschrift im Strafrecht nicht so ausgelegt wird, wie sie eigentlich gedacht ist."
Ein Frauenthema – fanden unter anderem Ulle Schauws und Eva Högl. Und dafür gibt es spätestens seit der vergangenen Legislaturperiode ein Netzwerk von Frauen- und Rechtspolitikerinnen, die sich über Fraktionsgrenzen hinweg verständigen, etwa bei den Themen Quote, Sexualstrafrecht oder Kinderehen.
"Erstens sind wir uns, glaube ich, persönlich auch sympathisch und können auch gut miteinander und wir orientieren uns wirklich ganz klar auf die Sachthemen", sagt die Sozialdemokratin Eva Högl. "Also wir diskutieren rein fachlich und lassen alles, was sonst so im politischen Betrieb auch eine Rolle spielt mal außen vor."
Das Frauen-Netzwerk im Bundestag ist kein linkes Bündnis. Auch Elisabeth Winkelmeier-Becker, die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, sagt: "Es geht darum, auszuloten, ob es gemeinsame Anliegen gerade in der Frauenpolitik gibt und das ist sicher ein Themenbereich, wo es Verbindungen gibt, und wo Frauen dann auch zusammenhalten müssen."
"Blick auf das Ungeborene"
Wie weit das diesmal funktionieren wird, ist allerdings offen. Klar ist: Den großen, übergreifenden Kompromiss wird es nicht geben.
Denn Elisabeth Winkelmeier-Becker verteidigt Paragraph 219a: "Das Verbot der Werbung für Abtreibung ist ein wichtiger Teil des Schutzkonzeptes zugunsten des Ungeborenen. Der Blick auf das Ungeborene kommt aus meiner Sicht in der Diskussion zu wenig vor."
Denn immerhin ist die Abtreibung in Deutschland in der Regel rechtswidrig – auch wenn sie innerhalb von Fristen und nach Beratung nicht bestraft wird. An diesem 20 Jahre alten Kompromiss, der eine erbitterte Diskussion befriedet hatte, wollen auch diejenigen Politiker nicht rühren, die jetzt das Werbeverbot reformieren wollen.
Nur – hier zeigt sich, dass der Kompromiss bis heute verschiedene Lesarten ermöglicht. Paragraph 219 a verbietet das Anpreisen der Abtreibung, aber nicht nur das. In einer – stark gekürzten – Variante besagt er auch: "Wer seines Vermögensvorteils wegen eigene Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs anbietet, wird bestraft."
Reißerische Werbung oder sachliche Information
Es ist diese Variante, die Grüne, Linke, SPD und auch die FDP abgeschafft sehen wollen. Die FDP aber will, dass wenigstens die reißerische Werbung für Abtreibung unter Strafe verboten bleibt. Der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae: "Es geht hier immerhin um einen Straftatbestand. Und hier ist es sinnvoll, auch die Sanktionierung einer reißerischen Werbung im Strafrecht verankert zu lassen."
Deshalb genügt es ihm auch nicht, dass die Ärztekammern solche Werbung ohnehin unterbinden müssten. Was Stephan Thomae als möglichen Kompromiss sieht, genügt allerdings der CDU-Politikerin Winkelmeier-Becker nicht.
Nicht nur die reißerische Werbung sei ein Problem. Sondern: "Das Werbeverbot soll ein Stück weit auch verhindern, dass Abtreibung als normale ärztliche Leistung angesehen wird. Und das wäre eben der Fall, wenn man auch sachliches Anbieten zulässt – da wäre eben die Abgrenzung sehr, sehr schwierig."
Abstimmung aus Gewissensgründen?
Etwa, wenn Ärzte aus dem Ausland mit zufriedenen Kundenwertungen im Internet aufwarten.
Die AfD war bei den Netzwerkgesprächen nicht eingeladen. Die Fraktion antwortet zwar nicht auf die Frage nach Ihrer Position, wendet sich aber insgesamt gegen Abtreibungen.
In der kommenden Woche diskutiert der Bundestag erst einmal Anträge von Grünen, Linken und wahrscheinlich auch der SPD, die Strafdrohung abzuschaffen und über den einschränkenden Vorschlag der FDP.
Später kann es dann sein, dass sich fraktionsübergreifende Gruppen bilden - wenn die Abstimmung aus Gewissensgründen freigegeben würde.