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Streit um Pumpspeicherkraftwerk am Jochberg

Am Jochberg in den bayerischen Alpen soll ein Pumpspeicherkraftwerk entstehen - ein wichtiger Baustein in der Energiewende. Doch Naturschützer wollen das Mammutprojekt verhindern. Bayerns neue Superministerin Ilse Aigner, zuständig für Wirtschaft und Energie, steckt in der Zwickmühle.

Von Michael Watzke |
    Hoch oben, auf der Jocheralm in Oberbayern, lebt der Senner Hans Oswald.

    "I bin da dahoam. Schon von Kindesbeinen an, bei meiner Großmutter. Die war die erste Sennerin. Da war ich schon als Kuhbub heroben. So lebt man sich hinein."

    In jedem Frühjahr kommen 50 Kühe auf Oswalds Almen, im Sommer kommen die Wandertouristen, und diesen Herbst kommt - Ilse Aigner.

    "Ich will mir das vor Ort anschauen, und auch mit den Beteiligten. Das ist auch schon in Auftrag gegeben. Das wird nicht heute sein, weil ich jetzt erst mal nach Berlin fliege. Aber ich werde es mir vor Ort anschauen, mit den Beteiligten."

    Es wird kein Sonntagsspaziergang für die neue bayerische Wirtschaftsministerin. Hans Oswald, der Senner auf dem Jochberg, ist schon gespannt auf den Besuch der früheren Bundeslandwirtschaftsministerin aus Oberbayern.

    "Sie ist uns immer herzlich willkommen. Sie ist uns auch sehr sympathisch. Was Ilse Aigner bis jetzt bewerkstelligt hat, finden wir gut. Sie hat sich wirklich bewährt. Mal sehen, was sie zu dem Thema spricht."

    Das Thema ist ein Pumpspeicherkraftwerk, das ein Konsortium mehrerer Energiefirmen auf der Jocheralm bauen will. Ein Stausee, dessen Wasser durch Fallrohre aus 1600 Metern Höhe auf Turbinen trifft und so Strom erzeugt. Vor allem dann, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint. Ohne Pumpspeicherkraftwerke wird die Energiewende nicht gelingen, sagt Ilse Aigner, die als Wirtschaftsministerin für eben diese Energiewende zuständig ist. Sie verweist auf den Sylvenstein-Speichersee, der in Sichtweite des Jochbergs seit 54 Jahren Wasserkraft nutzt:

    "So ein Sylvenstein-Stausee ist heute eine totale Touristenattraktion. Da fahren die Leute extra rauf. Er muss halt eingepasst und vernünftig gestaltet werden. In meiner Heimatgemeinde gibt's zum Beispiel oberhalb den Seehamer See, der im Landkreis Miesbach ist. Und unterhalb sind die Stauweiher von Fargen, die gibt's seit 100 Jahren. Die versorgen München mit Spitzenlaststrom. Es gibt immer Weiterentwicklungen."

    Ilse Aigner kann sich ein Pumpspeicherkraftwerk auf dem Jochberg grundsätzlich vorstellen. Und will sich von Protesten örtlicher Umweltschützer nicht beirren lassen. Die laufen nämlich Sturm gegen die Pläne. Und sie kämpfen mit harten Bandagen: Zwei Vogelkundler vom Naturschutzbund haben dem Jochberg-Senner Hans Oswald sogar angeboten, Vogelkot von seltenen Fledermausarten auf der Jocheralm zu verstreuen. Aigner kann also jede Unterstützung brauchen. Zumal die Umsetzung der Energiewende zu Aigners Nagelprobe wird, wenn Sie Horst Seehofer in fünf Jahren als Ministerpräsident beerben will. Doch ihr Kollege aus dem Umweltministerium, Marcel Huber, kündigt bereits an, beim Pumpspeicherkraftwerken ein gewichtiges Wort mitzureden:

    "Die Landschafts-, Natur- und Immissionsschutzbelange - also die menschschutzrechtlichen Dinge - die liegen immer noch bei mir! Da sind jede Menge Naturverträglichkeits- und Landschaftsverträglichkeitsaspekte enthalten, das ist etwas, das mich weiterhin berührt. Außerdem geht es um Wasserrecht, und Wasserrecht residiert weiterhin in meinem Ministerium. Wir müssen und werden dabei also eine gemeinsame Bewertung anstreben."

    Und Ministerpräsident Horst Seehofer? Stärkt wenigstens er seiner Wirtschaftsministerin und designierten Kronprinzessin den Rücken? Von wegen! Der CSU-Chef legt Aigner bei der Energiewende zusätzliche Steine in den Weg:

    "Ich sage immer: mit den Menschen und mit der Natur. Das machen wir nicht über die Köpfe der Menschen. Das gilt für jedes Windrad, für jedes Sonnenmodul, für jedes Biomasse-Kraftwerk. Als Möglichkeit bestehen solche Dinge natürlich, die müssen diskutiert werden. Aber was man dann realisiert, ist eine zweite Frage."

    Unterstützung für Aigner sieht anders aus. Denn eines ist klar: Ein Pumpspeicherkraftwerk ist immer ein Eingriff in die Natur. Und man wird es nie mit der Zustimmung aller Menschen bauen können. Das weiß niemand besser als Hans Oswald, der Senner von der Jocheralm:

    "Jeder denkt nach dem Sankt-Florians-Prinzip! Erneuerbare Energien? Ja gerne! Aber ein Windrad vor meiner Haustür? Bitte nicht! Ein Pumpspeicherkraftwerk, eine Fotovoltaikanlage? Nicht vor meiner Haustür!"

    Almwirt Hans Oswald, der sein ganzes Leben auf dem Jochberg verbracht hat, ist erstaunlicherweise ein Befürworter des Pumpspeicherkraftwerks. Wenn es so gebaut wird, dass er seine Alm weiter bewirtschaften kann.

    "Ich find's eigentlich logisch, denn wir sind umgeben von Wasserkraftwerken: das Walchensee-Kraftwerk, das [Kraftwerk] Obernach und das Niedernach. Wenn man jetzt noch so einen Tümpel dazubauen würde - ich sehe nicht das große Problem. Die Almhütte könnte man versetzen, auf einen etwas höher gelegenen Standpunkt. Wir leben auch mit Strom. Und wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen."

    Ilse Aigner, so scheint es, hat in der Almhütte des Jochbergs überraschenderweise einen engeren Verbündeten als in der Staatskanzlei in München. Der Senner Hans Oswald, dem der größte Teil des Grundes auf der Jocheralm gehört, freut sich schon jetzt auf den Besuch der jungen Dame. Er fragt sich, ob sie zu Fuß heraufwandert. Und ob er sie in Lederhosen oder Jackett empfangen soll. Das hängt davon ab, was Aigner trägt, lacht er:

    "Ich glaub nicht, dass sie im Dirndl kommt. Das wär' ein bisschen Fantasterei!""

    Gut möglich, dass die Oberbayerin Ilse Aigner genau die Richtige ist, um mit ihrem mädchenhaften Charme auch unangenehme Entscheidungen durchzuboxen:

    "Ich weiß nicht, ob es mein Plus ist, aber bisher ist es mir ganz gut gelungen, die Menschen an einen Tisch zu holen und unterschiedliche Vorstellungen auszugleichen. Das wird immer so sein. Und irgendwann muss man entscheiden. Das ist der Schlusspunkt."

    Ilse Aigner muss schon bald entscheiden. 2022 soll der letzte deutsche Atommeiler vom Netz gehen. Die Bauzeit für ein Pumpspeicherkraftwerk beträgt rund sieben Jahre.