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Streit um Rente mit 63
"100 Milliarden Kosten" - "Hier wird völlig schräg argumentiert"

Was kostet die Rente mit 63? Was bringt sie? Ein Streitgespräch zwischen Marian Wendt und Klaus Barthel. Der CDU-Politiker Wendt sieht den Generationenvertrag "durchbrochen". Sein SPD-Gegner in der Frage, Barthel, wundert sich über die Argumentation.

Marian Wendt und Klaus Barthel im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Ein riesiges Werbeplakat zum sogenannten Rentenpaket des Ministeriums für Arbeit und Soziales hängt am in Berlin an einer Häuserwand.
    Das Arbeitsministerium wirbt für das Rentenpaket - doch es bleibt umstritten. (picture-alliance/ dpa / Jens Kalaene)
    In dem Gespräch kritisiert der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Wendt, dass die Rente mit 63 über eine Kreditaufnahme finanziert "zu Lasten kommender Generationen" würde.
    Porträtbild des SPD-Politikers Klaus Barthel
    Klaus Barthel (SPD) (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    Die Kosten von 100 Milliarden würden über Beitragszahlungen und so "in der Zukunft" finanziert. "Die Kosten so aufzublasen entspricht nicht der Realität unseres Rentensystems", erwidert Klaus Barthel. "Wir haben nicht vor, dass die jüngere Generation immer weniger kriegt", so der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels. Doch wer 45 Jahre gearbeitet hat, habe den Anspruch, "abschlagsfrei in Rente zu gehen".
    Die Sorge vor einer Welle der Frühverrentung hält der Sozialdemokrat für unberechtigt. Es müsse für die Unternehmen unattraktiv gemacht werden, ihre Beschäftigten früher in die Arbeitslosigkeit zu schicken, damit diese dann mit 63 die abschlagsfreie Rente in Anspruch nehmen können.
    Der CDU-Abgeordnete Marian Wendt bei einer Rede vor dem Deutschen Bundestag
    Marian Wendt (CDU) (Deutscher Bundestag/ Achim Melde)
    Barthel brachte erneut die Möglichkeit ins Gespräch, den Unternehmern eine "Erstattungspflicht" für die Sozialabgaben aufzuerlegen, die der Sozialversicherung durch die künstlich erzeugte Arbeitslosigkeit der Betroffenen entgehen.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wendt sieht bei den SPD-Plänen den "Generationenvertrag durchbrochen". Er hätte sich eine längere Debatte über die Frage einer gerechten Finanzierung des Alters gewünscht, sagte der Unionspolitiker im DLF.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Selten war die öffentliche Kritik an einer Sozialreform gleichzeitig so hart und so umfassend wie an den Rentenplänen der Großen Koalition und so folgenlos. Vor allem Ökonomen, Arbeitgeber und Jüngere kritisieren die Rentenpläne der Großen Koalition. Einwände kommen aber auch aus dem Wirtschaftsflügel der Union und vor allem von jüngeren Parlamentariern. Zur sogenannten Jungen Gruppe in der Fraktion gehört auch Marian Wendt. Er ist jetzt im Studio heute Morgen. Guten Morgen und danke für den Besuch.
    Marian Wendt: Guten Morgen!
    Barenberg: Und am Telefon ist der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Schönen guten Morgen auch nach Berlin.
    Klaus Barthel: Ja! Schönen guten Morgen nach Köln.
    Barenberg: Wir wollen noch mal die Argumente austauschen, Marian Wendt vielleicht zuerst. Sie sagen, die Reform widerspricht dem Gedanken der Generationengerechtigkeit. Was sind da die drei wichtigsten Argumente?
    Wendt: Für uns ist zum einen ganz wichtig, dass das Rentenpaket nicht generationengerecht finanziert ist. Das heißt, wir haben hier eine Kreditaufnahme zu Lasten der kommenden Beitragszahler-Generation in der Zukunft. Auch bereits die Beitragszahler, die jetzt bereits eingezahlt haben, werden belastet. Das ist für uns ein Hauptpunkt. Das heißt, hier wird nicht aktuell finanziert, sondern in der Zukunft. Und es wird natürlich der Frage nicht gerecht, wie können wir ein Rentensystem aufbauen, was der sinkenden Einwohnerzahl in Deutschland, auch der arbeitsfähigen Einwohnerzahl gerecht wird. Das sind für uns zwei große Hauptpunkte.
    Barenberg: Klaus Barthel, ungerecht, weil die junge Generation viel mehr zahlen muss, Beiträge, Steuern, aber viel weniger bekommen wird. Was halten Sie dagegen?
    Barthel: Wir halten erst mal dagegen, dass wir nicht vorhaben, dass die jetzige jüngere Generation immer weniger kriegt, sondern wir wollen ja genau das System der gesetzlichen Rente stärken, zum Beispiel durch diese Maßnahme. Und wenn ich da höre, es ginge hier um Kreditaufnahme zu Lasten der jüngeren Generation, dann kann ich nur sagen, wer 45 Jahre gearbeitet hat und dafür Beiträge gezahlt hat, der hat den Anspruch darauf, dass er abschlagsfrei oder sie abschlagsfrei dann in Rente gehen kann. Das gebietet wirklich auch die Gerechtigkeit. Das gebietet auch das Äquivalenzprinzip, also das Prinzip von einer angemessenen Balance zwischen Beitragsleistung und dann Auszahlung in Rente, dass man dann auch wirklich, wenn man so lange gearbeitet hat, nicht noch Abschläge zum Schluss zur Strafe draufbekommt, wenn man früher aufhören muss zu arbeiten.
    Der Streit um die Gerechtigkeitsfrage
    Barenberg: Das Paket schließt eine Gerechtigkeitslücke und ist keine ungerechte Variante?
    Barthel: So ist es.
    Wendt: Nein, das sehe ich ehrlicherweise nicht so. Wenn wir uns die Finanzierung ganz konkret anschauen, dann sehen wir, dass sie aus den Beiträgen zu über 100 Milliarden Euro der Beitragszahler finanziert wird. Zum einen hätten wir eigentlich zum 1. Januar alle 0,3 Prozent mehr auf unserem Lohnzettel haben müssen. Da haben wir schon was dazubezahlt. Dann wird eine Rücklage von 32 Milliarden Euro zunächst sehr stark aufgebraucht und dann werden die Beiträge sukzessive erhöht, obwohl sie sinken müssten. Wir haben in der Spitze einen Rentenbeitragssatz von 22 Prozent prognostiziert. Das heißt, diejenigen, die davon profitieren, das ist heute, und wir finanzieren das in der Zukunft.
    Es wäre gerecht gewesen, wenn wir sagen würden, okay, wir geben das unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, eine Rente mit 63, weil sie hart gearbeitet haben, ihr ganzes Leben lang. Gerade die Generation, die jetzt in Rente geht, hat mit jungen Jahren angefangen zu arbeiten, und deswegen ist es uns ganz wichtig, dass wir dort was zurückgeben, uns als Land, und deswegen wäre es besser gewesen, wenn wir das direkt aus den Steuermitteln von heute finanziert hätten und nicht zu Lasten einer sinkenden jungen Generation erst in fünf, zehn, 15 Jahren durchfinanzieren würden. Das ist nicht ganz gerecht.
    Klaus Barthel (SPD: Kosten werden aufgeblasen
    Barenberg: Klaus Barthel, können Sie mit diesem Argument was anfangen, dass es zwar okay ist, dieser speziellen Generation Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem man ihre Arbeitsleistung honoriert, aber dass es ungerecht ist, die Kosten dafür den nachwachsenden Generationen, den zukünftigen Beitragszahlern aufzubrummen?
    Barthel: Mich überrascht diese Argumentation vor allen Dingen von Seiten der CDU/CSU, denn die SPD ist ja dafür eingetreten, die Steuerfinanzierung im Rentensystem zu erhöhen und vor allen Dingen die sogenannte Mütterrente, also die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, aus Steuern zu bezahlen. Diese Maßnahme kostet mehr als das Dreifache dieser 45er-Regelung. Hier haben wir ganz klar gesagt, das wollen wir aus den Steuern finanzieren, weil es keine beitragsgedeckte Leistung ist und weil es wirklich eine Allgemeinverpflichtung der Gesellschaft ist. Aber die Union hat sich da mit Händen und Füßen dagegen gewehrt und nimmt diesen großen Betrag aus den Beiträgen heraus. Mit uns ließe sich über mehr Steuerfinanzierung schon reden, aber ich meine, diese Horrorzahlen, mit denen hier gearbeitet wird, 100 Milliarden würde das kosten, na ja, gut, wenn man alles zusammenzählt bis in alle Ewigkeit, dann mag das sein. Aber hier diese Kosten so aufzublasen, entspricht ja wirklich nicht der Realität unseres Rentensystems. Und wir reden hier immer über Beiträge von Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben.
    Barenberg: Hysterie wäre das Stichwort, das ja auch die Arbeitsministerin Nahles angeführt hat. Marian Wendt, regen Sie sich über etwas auf, über das man sich nicht so aufregen sollte?
    Wendt: Ich rege mich nicht auf. Ich finde es aber richtig, dass wir bei diesem ganz, ganz wichtigen Thema uns grundsätzlich überlegen sollten, wie wir über dieses Thema Rente und wie wir im Alter leben und auch dieses Alter finanzieren wollen debattieren. Deswegen wäre uns wichtig gewesen, wenn wir grundsätzlich jetzt nicht so eine schnelle Debatte geführt hätten von wenigen Monaten, sondern uns grundsätzlich überlegt hätten, wie können wir das Alter finanzieren, generationengerechter vor allen Dingen, wie können wir auch berücksichtigen, dass wir länger leben, dass die Bezugszeiten von Rente länger werden. 1990 waren das 15 Jahre, aktuell 19 Jahre. Das würde natürlich mit einer auch Frühverrentung bei einigen auf 21 Jahre im Schnitt in dieser Gruppe ansteigen. Das ist schön, dass wir lange leben, aber wir hätten uns überlegen müssen, wie wollen wir das ausfinanzieren, wie wollen wir unser Leben hier gestalten im Wechsel von Nehmerzeiten als Kind, Geberzeiten als Arbeiter, als Erwachsener und dann wieder auch Nehmer, wenn ich älter geworden bin. Diesen Generationenvertrag, den wir haben, dass wir gleichzeitig immer auch was uns geben und nehmen aktuell und ja nichts aufsparen im Endeffekt, den sehe ich hier schon durchbrochen.
    Und bei den Kosten muss man noch dazu kommen, dass wir durch eine mögliche Frühverrentung auch mit 63, dass jeder dann statt mit 65 mit 63 geht, da fehlen die Beiträge. Das wechselt ja von der Einzahlerseite auf die Auszahlerseite, und das muss man dabei noch zusätzlich berechnen. Das heißt, wir haben hohe volkswirtschaftliche Kosten nicht nur direkt bei fehlenden Steuereinnahmen und Beitragseinnahmen in der Arbeitslosenversicherung, auch in der Pflegeversicherung, sondern auch bei dem Thema Fachkräfte. Die Menschen fehlen uns einfach als Fachkraft und viele Unternehmen können dann plötzlich nicht mehr ihre Aufträge ausführen zum 1. Juli, und das ist die Gefahr, die wir sehen, wenn wir uns das Rentenpaket nicht nur anschauen auf eine Gruppe, die das wahrnehmen kann, der ich das auch sicherlich im Einzelfall gönne und wo ich das gut nachvollziehen kann, aber im groben Komplex und auf die Zukunft orientiert ist das sehr schädlich. Hysterisch wollen wir nicht sagen, wir wollen da auch nicht drüber diskutieren, dafür ist das Thema zu wichtig.
    Welle der Frühverrentung befürchtet
    Barenberg: Klaus Barthel, ich möchte noch mal ein Stichwort aufgreifen, was Marian Wendt gerade gebracht hat: diese Sorge vor einer Welle der Frühverrentung. Da wird ja jetzt noch drüber verhandelt, es soll ein Kompromiss gefunden werden. Da geht es um Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit. Was ist denn da für Sie die Schmerzgrenze, wenn es jetzt um letzte Änderungen an den Plänen geht?
    Barthel: Ich kann mir da eine Lösung nur so vorstellen: Wer vermeiden will, dass jetzt mit 61 in Arbeitslosigkeit und in Rente gegangen wird, der muss wieder die Erstattungspflicht der Arbeitgeber einführen. Das heißt, wenn Arbeitgeber ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, müssen sie dann die Kosten dafür, die den Sozialversicherungen und der Allgemeinheit entstehen, erstatten. Dann ist die Sache sehr schnell erledigt, denn für die Beschäftigten selber ist das ein absolutes Verlustgeschäft, weil wenn sie von sich aus kündigen würden zum Beispiel, hätten sie Sperrzeiten, hätten sie niedrigere Beiträge in den Zeiten der Arbeitslosigkeit. Das wird von sich aus kein Arbeitnehmer freiwillig machen. Und wenn die Arbeitgeber darauf setzen sollten, dann müssen sie eben die Kosten bezahlen.
    Im Übrigen will ich noch was sagen zu der Frage ausfallende Beiträge. Ja, natürlich fallen für die Jahre 63 bis 65 Beiträge aus, aber dafür entsteht auch kein zusätzlicher Rentenanspruch. Auch das muss man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagen. Wer mit 63 nach 45 Versicherungsjahren jetzt in Rente geht, könnte auch weiterarbeiten, und wenn er für die Zeit Beiträge bezahlen würde oder sie Beiträge bezahlen würde, dann würde seine oder ihre Rente auch entsprechend höher ausfallen. Das heißt, hier entstehen keine zusätzlichen Kosten. Hier wird zum Teil auch völlig schräg argumentiert.
    Möglichkeiten der sogenannten Flexirente
    Barenberg: Das Stichwort Weiterarbeiten würde ich gerne zum Schluss unserer Runde noch mal aufgreifen. Gerade aus dem Wirtschaftsflügel der Union kommt jetzt sehr stark das Argument, wir brauchen noch ein Signal in diesem Gesamtpaket, das Älteren die Möglichkeit gibt, länger als bis 65 zu arbeiten. Wie essentiell, Marian Wendt, ist das für Ihre Zustimmung? Sie haben ja öffentlich schon erklärt, so wie es derzeit ist können Sie dem Paket jedenfalls nicht zustimmen.
    Wendt: Das ist ja dieses Stichwort Flexirente. Das ist genau das Thema, was ich angesprochen habe: Wie kann man auch flexibel in die Rente gehen, wie kann ich mich auch weiter verwirklichen über das Alter hinaus? Es ist ja nicht so, dass wir einfach Schlag Bumm herausgehen aus dem Arbeitsleben und dann uns zurücklehnen, sondern viele Menschen wollen weiterhin aktiv sein. Sie wollen auch gebraucht werden, sie wollen sich einbringen mit ihrem Wissen, mit ihrem Können, und das müssen wir auch ermöglichen. Wir hätten das Thema – und das ist das Problem, weil wir jetzt alles so kurzfristig machen – viel länger diskutieren müssen und über Lösungsmöglichkeiten nachdenken müssen. Für mich ist wichtig, dass wir das jetzt reinschreiben, dass wir das ermöglichen in dem Gesetzentwurf, und vor allen Dingen, dass wir dann auch noch mal bedenken, auch mit unseren europäischen Partnerlösungen, die wir finden, denn wir verstoßen eigentlich in unseren selbst gesetzten Regeln mit diesem Rentenpaket in Gänze, in dem wir unsere Rente nicht zukunftsgerecht aufstellen.
    Barenberg: Zum Schluss an Sie die Frage, Klaus Barthel. Flexirente, die Möglichkeit, länger als bis 65 zu arbeiten, gehen Sie da mit?
    Barthel: Man muss sicher über diese Frage diskutieren. Aber zunächst mal – und das muss man ja vor allen Dingen auch den Arbeitgebern zurufen – muss es doch darum gehen, überhaupt mal die Beschäftigungsquote der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen, wenigstens bis 65 arbeiten zu können. Dazu brauchen wir stärkere Anstrengungen im Bereich der Qualifizierung, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, und dazu brauchen wir andere Arbeitsbedingungen und betriebliche Strategien, dass überhaupt Ältere bis 65 wenigstens mal arbeiten können. Da sind die Arbeitgeber gefordert, zum Beispiel zusammen mit Gewerkschaften und Betriebsräten Strategien zu entwickeln, und da wäre uns schon mal unheimlich viel geholfen, weil es ist und bleibt Tatsache, dass im Alter zwischen 60 und 65 nur ein Drittel noch jetzt regulär beschäftigt ist, und da muss man einfach Arbeitsplätze anbieten, anstatt über Fachkräftemangel zu jammern.
    Barenberg: ..., sagt Klaus Barthel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD. Vielen Dank, dass Sie heute sich Zeit genommen haben. Vielen Dank auch Marian Wendt, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Jungen Gruppe in der Unions-Fraktion, für den Besuch im Studio. Danke.
    Wendt: Bitte! – Gerne.