Es sei egal, wie sich Einwanderer in Deutschland verhalten, immer wieder werde ein neues deutsches Ich-Ideal geschaffen, dem Migranten nicht gerecht werden könnten, sagte "taz"-Kolumnist Deniz Yücel. Es sei aber auch wichtig zu betonen, dass sich viele Menschen hinter den muslimischen Schützenkönig Mithat Gedik in Werl gestellt hätten. In Deutschland schwankten die Menschen zwischen Akzeptanz und Ablehnung der Einwanderung.
Der Dachverband hatte dem Schützenkönig die Teilnahme am Bezirksschützenfest untersagt und auf die katholische Orientierung verwiesen. Ein Muslim hätte demnach gar nicht in den Schützenverein aufgenommen werden dürfen. Anscheinend sei der türkischstämmige Schützenkönig so gut integriert gewesen, dass man ihn im Verein nicht nach seiner Religion gefragt habe, hieß es von einem Sprecher des Dachverbandes.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Auf der Internetseite der Schützenbruderschaft Sankt Georg Sönnern-Pröbsting in Westfalen ist die Welt noch in Ordnung. Glückwünsche finden sich dort für Mithat Gedik, der 33-Jährige mit Wurzeln in der Türkei lacht auf einem Foto herzlich. Gerade hat er das Wettschießen seines Vereins gewonnen und wurde zum neuen Schützenkönig gekürt. Ein Muslim als Schützenkönig in einem christlichen Verein? Geht nicht, sagt der Dachverband, der Bund Historischer Deutscher Schützenbruderschaften pocht auf die Satzung, die von einer Vereinigung christlicher Menschen spricht, und untersagt die Teilnahme am Bezirksschützenfest. Mehr oder weniger empört melden sich inzwischen Minister zu Wort und der Zentralrat der Muslime, der Dachverband verteidigt sich. Ist das nun eine Provinzposse oder steckt doch mehr dahinter?
Und am Telefon begrüße ich Deniz Yücel von der "tageszeitung", schönen guten Morgen!
Deniz Yücel: Guten Morgen!
Barenberg: Für Ihre parodistische Kolumne "Vuvuzela" zur Fußball-WM vor vier Jahren wurden Sie mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet für literarische Publizistik. Und da hieß es in der Begründung unter anderem, dass Sie den deutschen Spießer und die deutsche Spießerin auf angenehme Art entlarven. Bietet Ihnen diese Geschichte jetzt neues Futter?
Yücel: Da bin ich mir nicht ganz sicher, aber das ist ja eine Form von einem Spießertum, wo man ja gar nicht mehr geglaubt hat, dass das in dieser Form noch existiert, das ist wirklich eine Parallelgesellschaft, wo man denkt, das ist vielleicht das wahre Deutschland. Das wahre Deutschland ist nicht das, was im Feuilleton der "Zeit" steht, sondern das ist das Schützenfest im Sauerland, wo der muslimische Schützenkönig nicht zum Bezirkswettbewerb kommen darf. Vielleicht ist das das wahre Deutschland, auf jeden Fall ist es eine Parallelgesellschaft und ... interessant!
Yücel: Dachverband hat auf ein Tabu in der Integrationsdebatte hingewiesen
Barenberg: Zum Lachen oder zum Heulen?
Yücel: Ich weiß nicht, beides natürlich. Man kann das ja auch so sehen: Vielleicht hat dieser Dachverband ja auch was Gutes getan, nämlich auf ein Tabu in der Integrationsdebatte hingewiesen, nämlich, man darf es mit der Integration auch nicht übertreiben! Denn die Einwanderer in Deutschland, die kamen ja nicht zum Vergnügen hierher, sondern hatten einen bestimmten Auftrag, nämlich zusammen mit der Popkultur und der kritischen Theorie dafür zu sorgen, dass Deutschland ein etwas zivilisierteres, humanistischeres, sprich: weniger deutsches Land wird. Und wenn jetzt plötzlich Einwandererkinder in Schützenvereinen mitmachen, dann stellt man sich die Frage, was kommt demnächst! Muslime in der NPD? Nee, das darf natürlich nicht sein, von daher hat der Dachverband wirklich eine große Tat geleistet durch sein mutiges Eingreifen!
Parallelgesellschaft
Barenberg: Dieser Dachverband wird sich ja jetzt zusammensetzen müssen mit dem Verein selber, der natürlich zu seinem Schützenkönig steht. Wenn Sie um Rat gefragt würden, würden Sie dann sagen, lasst diese Spielregeln als Refugium für eine Parallelgesellschaft, wie Sie es ausgedrückt haben, oder ist das Ausgrenzung, ist das Diskriminierung? Diese Kritik gibt es ja jetzt auch!
Yücel: Na ja, Ausgrenzung, Diskriminierung ... Ich glaube, das ist ein bisschen ... Es gibt keinen Anspruch darauf. Grundsätzlich kann jeder Verein sich seine Mitglieder selber aussuchen. Wenn ich einen Verein gründe zur Pflege des Fleischessertums, darf ich Vegetarier ausschließen, das ist rechtlich völlig okay. Deswegen kann man so betrachtet diesem Dachverband nichts vorwerfen. Aber ich glaube, wenn man im Sauerland lebt, ist das keine Parallelgesellschaft, das hört sich nur für mich aus Berlin betrachtet an wie eine Mitteilung aus einer fernen Parallelgesellschaft. Im Sauerland selbst ist das nicht Parallelgesellschaft, da ist die – so stelle ich mir das vor – gesellschaftliche Mitte, der Schützenverein.
Und wenn dort eine solche Form von Ausgrenzung betrieben wird, dann zeigt das, wo wir in Deutschland mit der Integration vielleicht wirklich stehen. So könnte man das nämlich auch interpretieren, dass, egal, was die Einwanderer tun, sie können sogar in den Schützenverein gehen und in die freiwillige Feuerwehr, wie es dieser Schützenkönig offenbar getan hat, ein Abitur im Fach katholische Theologie ablegen, egal, was sie tun, es wird immer wieder ein neues deutsches Ich-Ideal formuliert, dem die Einwanderer gar nicht gerecht werden können. So könnte man diese Geschichte auch lesen. Aber es gibt ja zum Glück auch ... Der Verein selbst stellt sich ja hinter seinen Schützen. Und zu dem, was ich so mitbekommen habe in Internetformen und so, habe ich den Eindruck, dass mehr Leute sagen: Ihr spinnt ja wohl!
"Es gibt beide Tendenzen"
Barenberg: Sie sehen das dann ein klein bisschen anders offenbar als der Arbeitsminister beispielsweise von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider. Der hat ja gesagt, das ist ein Stück aus dem Tollhaus, das ist Provinzialität, eine Peinlichkeit, die aus der Welt zu schaffen ist, also eher eine Ausnahme als eine doch eher verbreitete Gewohnheit!
Yücel: Na ja, diesen Prozess gibt es immer wieder, da heißt es, okay, die Einwanderer sollen für Deutschland spielen, dann spielen sie für Deutschland, dann wird darüber diskutiert, warum sie die Hymne nicht mitsingen. Also sozusagen dieses Phänomen, dass immer wieder neue Ansprüche formuliert werden, das sieht man immer wieder. Aber es gibt halt beide Tendenzen, es gibt auch die Gegentendenz, dass viele Leute sagen, die spinnen ja wohl. Und auch wenn die Politik sich einmischt und sagt, das ist ein Stück aus dem Tollhaus, das ist provinziell – natürlich ist das provinziell! –, dann zeigt das, dass es auch noch eine Gegenbewegung gibt. Und ich glaube, in Deutschland existieren dann beide Bewegungen, die Schwierigkeit, sich mit der Einwanderung abzufinden auf der einen Seite, und auf der anderen Seite tatsächlich die Bereitschaft dazu, das existiert beides nebeneinander.
"Autoritäre Maßnahmen, Eingriffe in die Gesellschaft, die führen meistens zu nichts Gutem"
Barenberg: Einige fordern ja jetzt, man solle den Verein zwingen, möglicherweise auch den Dachverband und die Satzung, die dann für alle gilt, ausschließlich christliche Schützenvereine zu öffnen, zum Beispiel auch für Muslime. Auf der Internetseite des Vereins merkt jemand an, dass im eigenen Verein ein Hindu Schützenkönig geworden ist. Sollte man das machen, darauf drängen, zwingen, am Ende die Satzung zu ändern?
Yücel: Auf keinen Fall! Grundsätzlich, wenn autoritäre Maßnahmen, Eingriffe in die Gesellschaft, die führen meistens zu nichts Gutem. Und diese Bruderschaft, das ist ja nicht nur dieser eine, der Dachverband, dessen Motto lautet: Glaube, Sitte, Heimat. Glaube, Sitte, Heimat, und dazu noch rumballern! Das könnte auch das Motto von der ISIS im Nordirak sein oder der Hamas. Und wenn die für Glaube, Sitte, Heimat stehen und für Rumballern, dann sollen sie das dürfen. Und ich glaube, das Einzige ... Also nicht, auf keinen Fall von außen eingreifen. Aber wenn es jetzt innerhalb dieses Verbandes zu einer Diskussion kommt und jetzt dieser Verein im Dorf zu seinem Schützenkönig steht und sagt, wir wollen Glaube, Sitte, Heimat und wir wollen rumballern, aber der Mustafa und der Mehmet dürfen auch mit rumballern, wenn da was entsteht ...
Barenberg: Wir müssen zum Schluss kommen, vielen Dank! Deniz Yücel von der "tageszeitung", vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.