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Streit um Sprachen in der Grundschule
"Fremdsprachenunterricht nicht zulasten des Deutscherwerbs"

Die Idee, das frühe Englischlernen in der Grundschule zugunsten von mehr Deutschunterricht aufzugeben, sieht der Sprachwissenschaftler Holger Hopp skeptisch. Dies bringe keine Vorteile bei der Deutschkompetenz, sagte Hopp im Dlf. Stattdessen leide die Fremdsprachenkompetenz.

Regina Brinkmann im Gespräch mit Holger Hopp |
    Willkommen in mehreren Sprachen
    Früher Unterricht in mehreren Sprachen willkommen? Für KMK-Präsident Lorz offenbar eher nicht (imago/Geisser)
    Regina Brinkmann: Wann sollen Kinder eigentlich die erste Fremdsprache in der Schule lernen – da galt ja vor einigen Jahren die Devise, am besten so früh wie möglich. Viele Bundesländer führten daraufhin Englischunterricht schon ab der ersten Klasse ein. Doch inzwischen macht sich vielerorts Ernüchterung breit. Baden-Württemberg hat zum Beispiel das Ganze von vier Jahren Unterricht auf nur noch einem Jahr in der vierten Klasse eingedampft. Der Präsident der Kultusministerkonferenz Alexander Lorz möchte auch lieber andere Prioritäten setzen und sagte jetzt in einem Interview, er sehe Fremdsprachenvermittlung nicht als primäre Aufgabe der Grundschule. Der Fokus müsse ganz klar auf dem Deutschen liegen, sagte Lorz. Daher sei es auch nötig, wieder mehr Deutsch zu unterrichten.
    Ist das ein kluger Vorschlag? – Frage an Holger Hopp, er ist Anglist und Sprachwissenschaftler an der TU Braunschweig.
    Holger Hopp: Nun, zum einen ist es natürlich richtig, dass Deutschkenntnisse für die gesellschaftliche Teilhabe absolut essenziell sind. Und es ist die zentrale Aufgabe der Grundschule, dort die Grundlagen zu legen beziehungsweise insbesondere die Annäherung zur Bildungssprache zu unternehmen. Und das ist die Hauptaufgabe, das ist sie auch bereits. Der Fremdsprachenunterricht findet ja in den meisten Bundesländern mit zwei Stunden in der Woche eher am Rande statt. Das heißt, die Prämisse, dass die Hauptaufgabe der Grundschule ist, die Kompetenzen im Deutschen und in der Bildungssprache Deutsch zu stärken, ist vollkommen unumstritten. Die Frage ist, ob die Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts zu einer Verbesserung der Deutschkompetenzen von Schülerinnen und Schülern, gerade von denen mit Migrationshintergrund, führen kann. Das sehe ich eher skeptisch.
    Frühes Englisch in jetziger Form bringt später wenig Verbesserungen
    Brinkmann: Ist dieser Schritt nicht vielleicht auch konsequent, weil viele Eltern und auch Lehrer beklagen, dass dieser Stundenumfang für die Fremdsprachenunterrichtseinheiten viel zu kurz sind und man da im Grunde genommen eh nichts von abbringen kann?
    Hopp: Das ist die andere Seite der Medaille. Also viele internationale Studien zeigen, dass der Umfang und die Art und Weise, wie früher Fremdsprachenunterricht im Moment stattfindet, nicht nahhaltig zu einer Verbesserung der Englischleistung hinten raus, das heißt am Ende der Schulzeit, beiträgt. Das heißt, aus Sicht der Fremdsprachendidaktik wäre es natürlich wünschenswert, mehr Englisch zu haben oder mehr Fremdsprachen in der Grundschule zu haben, was den Zeitumfang angeht und insbesondere die Qualität des frühen Fremdsprachenunterrichts zu steigern. Das wäre aber sozusagen ein Schrauben an der Qualität des Fremdsprachenunterrichts. Und zu sagen, wir können den Fremdsprachenunterricht einfach aufgeben, weil so wie wir ihn derzeit machen funktioniert er nicht, halte ich für eine vorschnelle Lösung. Sinnvoller wäre es, den Fremdsprachenunterricht, auch den frühen Fremdsprachenunterricht so zu gestalten, dass er seine Ziele erreichen kann.
    Brinkmann: Wie müsste das Ihrer Meinung nach geschehen?
    Hopp: Nun ja, es hat sich schon viel getan. Es sind jetzt verbesserte Materialien erschienen, immer mehr Lehrerinnen und Lehrer unterrichten die frühe Fremdsprache nicht mehr fachfremd, sondern haben eine Ausbildung oder zumindest eine Weiterbildung. Das heißt, die Qualität hat sich gesteigert. Auch das Bewusstsein muss sich noch ändern, dass die frühen Fremdsprachen nicht nur erlebnisorientiert unterrichtet werden, das heißt, dann früher Kontakt mit anderen Sprachen und Kulturen angestrebt wird, sondern auch ergebnisorientiert gedacht werden. Das heißt, dass hier die wichtigen Grundlagen für Kompetenzen, die dann in der Sekundarstufe weitergeführt werden, gelegt werden. Durch diesen Bewusstseinswandel und die Qualitätsverbesserung durch die Ausbildung des Lehrpersonals, durch die Verwendung der Materialien, durch die Verknüpfung der Inhalte auch mit anderen Fächern, kann sehr viel erreicht werden. Das zeigt uns, der frühe bilinguale Unterricht, der ja an vielen Modellschulen in Deutschland stattfindet und sehr gute Ergebnisse sowohl, was die Fremdsprachenleistungen anbetrifft, aufzeigt als auch zeigt, dass diese erhöhten Kompetenzen in der Fremdsprache nicht zulasten der Leistungen in der Mehrheitssprache, in unserem Fall dem Deutschen, gehen.
    "Deutsch wird nicht besser, wenn Englischunterricht umgwidmet wird"
    Brinkmann: Also damit könnte man sozusagen die Argumentation von Herrn Lorz aushebeln, wenn man den Fremdsprachenunterricht vernünftig aufstellt, dann geht der auch nicht zulasten des Deutscherwerbs.
    Hopp: Der Fremdsprachenunterricht geht auch jetzt nicht zulasten des Deutscherwerbs. Dafür gibt es überhaupt keine Evidenz. Und umgekehrt gibt es eben keinen Anhalt dafür, dass wenn man diese zwei Stunden jetzt sozusagen umwidmet, sich automatisch die Deutschkompetenzen verbessern. Meine Vorhersage wäre, die Deutschkompetenz wird nicht besser, aber die Fremdsprachenkompetenzen leiden, und insbesondere eben auch die Mitnahmeeffekte des frühen Fremdsprachenunterrichts. Das heißt, das Kennenlernen und das Öffnen gegenüber anderen Sprachen und Kulturen, der spielerische Umgang mit der eigenen Mehrsprachigkeit und, gerade ganz wichtig für Kinder mit Migrationshintergrund, die Wertschätzung, die sie auch als mehrsprachige Sprecherinnen und Sprecher im Englischen erfahren. Und dass sie auch sehen, dass sie, weil der frühe Fremdsprachenunterricht eben nicht so stark an die Deutschkompetenzen gekoppelt ist, dass sie dort nicht immer automatisch einen Nachteil haben, wenn ihre Deutschkompetenzen eingeschränkt sind. Das heißt, ich glaube, den frühen Fremdsprachenunterricht rein kompetenzorientiert zu denken, was das Sprachniveau angeht, ist viel zu kurzgegriffen. Das zeigen ja auch viele Studien, dass es viele Facetten gibt, die wir berücksichtigen. Und wenn wir das aufgeben, gehen uns nicht nur Kompetenzen in der Fremdsprache verloren, sondern eben auch noch andere wichtige Güter.
    Brinkmann: Sagt Holger Hopp, Sprachwissenschaftler an der TU Braunschweig zum Fremdsprachenunterricht an Grundschulen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.