Archiv

Streit um Truppenbesuch in Konya
"Stoltenberg tritt zu defensiv gegenüber Erdogan auf"

Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) hat im Streit um Besuche auf dem NATO-Stützpunkt Konya mehr Härte von der Bundesregierung und der NATO gegenüber der Türkei gefordert. Es brauche Wirtschaftssanktionen und ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen, sagte er im Dlf.

Volker Rühe im Gespräch mit Christine Heuer | 19.07.2017
    Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU)
    Wenn die größten und wichtigsten NATO-Nationen gemeinsam auftreten, könne man bei Erdogan sicher etwas erreichen, meint der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU). (imago / photothek)
    Christine Heuer: Ich begrüße Volker Rühe, CDU-Außenpolitiker. Er war von 1992 bis 1998 deutscher Verteidigungsminister. Guten Morgen, Herr Rühe.
    Volker Rühe: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Auch an Sie als erstes die Frage nach dem richtigen Umgang Berlins mit Ankara. Die Opposition wirft der Bundesregierung einen Kuschelkurs vor. Zurecht?
    Rühe: Ich glaube, dass, was die Perspektive EU angeht, in der Tat es gut wäre, wenn die Bundesregierung einen gemeinsamen Kurs steuern würde, und zwar nicht nur verbale Empörung, sondern Handeln, ein Stoppschild errichten würde. Und ich sage das als jemand, der vor 15 Jahren, als der Prozess begann, dafür war, dass die Türkei eine Perspektive der Mitgliedschaft in der EU hat, im Unterschied auch zu den jetzt politisch Verantwortlichen. Aber wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit. Es sind sich alle einig, falls die Todesstrafe eingeführt würde, dass dann Schluss wäre mit dieser Perspektive. Aber Sie haben es ja eben auch gehört: Ein Land, in dem man fünf Jahre lang in Untersuchungshaft eingesperrt werden kann, ohne eine Anklage, das ist doch kein Partner. Und deswegen mein Appell an die Beteiligten in der Bundesregierung, zu gemeinsamem Handeln gegenüber der Türkei zu kommen, aber im ökonomischen Bereich, denn das würde Erdogan auch treffen.
    "Wichtig als Signal gegenüber dem türkischen Volk"
    Heuer: Fordern Sie Wirtschaftssanktionen?
    Rühe: Wirtschaftssanktionen und ein Ende der Verhandlungen über die Perspektive Europäische Union. Gleichzeitig muss man dem türkischen Volk deutlich machen, dass die Hand ausgestreckt bleibt, aber nicht gegenüber dieser Regierung. Ich meine, auch die Sprache Erdogans ist die Sprache eines Despoten, und da kann es nicht dabei bleiben, dass man nur sagt, wir fordern, wir sind empört und wir nehmen nicht hin und wir erwarten, sondern die Bundesregierung muss sich zusammensetzen und sie muss konkrete Maßnahmen des Handelns beschließen. Das ist übrigens auch wichtig als Signal gegenüber dem türkischen Volk, denn da ist ja vielleicht gerade mal die Hälfte für Erdogan, und auch wichtig gegenüber den Türken und Türkischstämmigen bei uns im Lande, dass wir hier eine klare Haltung einnehmen und die Dinge nicht so verschwimmen, wie das im Augenblick der Fall ist.
    Heuer: Ich möchte das noch mal zusammenfassen mit Ihnen zusammen, Herr Rühe. Angela Merkel, wenn ich Sie richtig verstehe, macht da gerade eine falsche Politik. Das sagen Sie?
    Rühe: Ich war ja im Unterschied zu Angela Merkel für eine wirkliche Perspektive der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Aber dann hat man auch gesagt, einerseits als Parteivorsitzende gegen, als Kanzlerin dafür. Ich glaube, wir hätten eine bessere Türkei, wenn wir einen klaren, ehrlichen Kurs gesteuert hätten. Das ist aber der Schnee von gestern und jetzt, finde ich, müssen wir auch einen klaren Kurs steuern, und das sage ich als jemand, der für die EU-Mitgliedschaft der Türkei war. Wir müssen jetzt ein klares Stoppschild errichten, und da ist auch die Kanzlerin gefordert.
    Abzug würde andere handlungsunfähig machen
    Heuer: Die SPD fordert jetzt den Abzug der deutschen Soldaten auch vom NATO-Stützpunkt Konya nach dem neuerlichen Besuchsverbot. Wäre auch das nach Ihrer Maxime, ein Stoppschild aufzustellen, der richtige Schritt? Sind Sie auch dafür, die Soldaten dort abzuziehen?
    Rühe: Nein, das ist falsch. Das würde uns treffen und die Zukunft der NATO, aber es würde nicht Erdogan treffen. Diese AWACS-Flugzeuge dienen ja der bündnisgemeinsamen Luftaufklärung. Ein Drittel der Soldaten sind deutsche Soldaten. Und wenn man AWACS verlässt, dann macht man die anderen handlungsunfähig.
    Heuer: Muss man denn AWACS verlassen? Kann man denn nicht einfach die Türkei verlassen und woanders hin umziehen?
    Rühe: Das müsste die NATO ja insgesamt gemeinsam beschließen. Es kann jedenfalls keinen deutschen Alleingang geben. Und ich sehe im Augenblick nicht die Bereitschaft der NATO, dort wegzugehen. Man sollte vielleicht auch mal versuchen, Abgeordnete aus den anderen NATO-Staaten, die Soldaten an Bord der AWACS haben, zu einer gemeinsamen Delegation zusammenzufassen, um dort zu einem Besuch zu kommen. Das Besuchsrecht ist wichtig, ist unbestritten, aber wir dürfen nicht zu einer Renationalisierung kommen. Sehen Sie, die NATO plant für die Zukunft auch Bodenüberwachung aus der Luft, Alliance Ground Surveillance Systeme. Auch hier sind wir voneinander abhängig. Und wenn dann einer ohne den anderen handelt, die Deutschen wegen des Besuchsrechts die AWACS verlassen, dann zerstören wir die wichtige Zukunft der NATO und kommen zu einer Renationalisierung. Das hat eigentlich wenig mit Erdogan zu tun, sondern es hat damit zu tun, dass wir einfach die Gefahr einer Renationalisierung bannen müssen, und in Zukunft brauchen wir auch bei den Drohnen und bei anderem gemeinsame Systeme, wo man nur gemeinsam handeln kann. Also gemeinsamer Besuch von Abgeordneten aus NATO-Ländern, die an Bord der AWACS sind, wäre eine Möglichkeit, und ansonsten auf jeden Fall gemeinsames Handeln, kein deutscher Alleingang, auch wenn bei uns es dieses besondere Besuchsrecht gibt.
    "Ich würde mir etwas mehr Härte und Durchlasskraft versprechen"
    Heuer: Wer müsste so eine gemeinsame Reise organisieren? Ist das ein Appell an die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen?
    Rühe: Nein, an den NATO-Generalsekretär. Ich finde ja im Übrigen auch die Sprache und auch die Körpersprache im Unterschied zu Erdogan des NATO-Generalsekretärs, die ist nicht so, dass er ein mächtiges Bündnis vertritt. Ich würde mir schon etwas mehr Härte und Durchlasskraft versprechen. Und warum sollte nicht die NATO in Verbindung mit den Ländern, deren Soldaten an Bord der AWACS sind, sagen, jetzt reisen Abgeordnete aus diesen Ländern dort hin, und dann möchte ich mal sehen, was die Türkei dazu sagt, wenn es eine solche NATO-Delegation gibt, eben auch mit Parlamentariern aus dem Deutschen Bundestag.
    Heuer: Nach dem NATO-Generalsekretär, Herr Rühe, wollte ich Sie in der Tat auch noch mal gezielt fragen. Jens Stoltenberg empfiehlt ja jetzt im Wesentlichen der Türkei und Deutschland gleichermaßen, vertragt euch doch bitte. Da kommt er seiner Führungsaufgabe nicht nach?
    Rühe: Das haben Sie richtig formuliert.
    Heuer: War eine Frage an Sie. Aber Sie sagen, so ist es.
    Rühe: Ja, natürlich! Das ist so. Ich habe es ja eben gesagt. Das ist ein mächtiges Bündnis. Im Übrigen hat das Bündnis früher auch Portugal als Mitglied gehabt, als es eine Diktatur war. Die Türkei ist drin geblieben, als die Militärs dort geherrscht haben. Es hat immer schwierige Situationen gegeben. Aber man muss einfach von dem NATO-Generalsekretär erwarten, dass er nicht so tut, als ob das ein überflüssiger Streit bilateral zwischen Deutschland und der Türkei ist, sondern er muss klar machen, hier geht es um ein NATO-Instrument der gemeinsamen Luftüberwachung, und das ist ein NATO-Anliegen, dass auch Abgeordnete aus den Ländern, die dort Soldaten an Bord haben, das besuchen können. Das muss er mit aller Entschlossenheit gegenüber der Türkei vortragen, und das habe ich bisher von ihm nicht erlebt.
    "Mit den Amerikanern eine gemeinsame Position finden"
    Heuer: Nun ist es ja auch so: Deutschland ist ja der eine Fall, aber der türkische Präsident Erdogan trägt seinen Streit mit verschiedenen europäischen Staaten immer wieder gerne in die NATO rein. Er hat das ja auch schon mit Österreich gemacht, weil Wien gegen den Türkei-Beitritt ist. Gibt es ein Mittel, das die NATO ergreifen könnte, diesen Alleingängen grundsätzlich einen Riegel vorzuschieben und die Türkei in die Gemeinschaft sozusagen zurückzuholen?
    Rühe: Wir müssen vor allen Dingen natürlich, auch wenn das schwierig ist, mit den Amerikanern eine gemeinsame Position finden. Die haben sich jetzt erfreulicherweise auch bei der Verhaftung der Menschenrechtsbeauftragten deutlich geäußert. Wenn die größten und wichtigsten NATO-Nationen, also die Deutschen, die Engländer, die Franzosen in Europa und die Amerikaner hier gemeinsam auftreten, dann bin ich auch sicher, dass man etwas erreichen kann bei dem Herrn Erdogan, denn die Türkei braucht auch die NATO, sie braucht auch die Gemeinschaft dieser Staaten. Aber es fängt an mit dem NATO-Generalsekretär, der viel zu defensiv auftritt gegenüber dem Herrn Erdogan.
    Heuer: Der CDU-Außenpolitiker und frühere Verteidigungsminister Deutschlands, Volker Rühe, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Rühe, haben Sie vielen Dank dafür.
    Rühe: Tschüss! Da nicht für!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.