Osterholz-Tenever, der westlichste Stadtteil Bremens, findet sich in Statistiken meist am unrühmlichen Ende wieder. Wenn Bremen mit 33 Prozent Kinderarmut schon bundesweit die Negativ-Statistik anführt, dann sind es in Tenever noch mal 20 Prozent mehr.
Der Stadtteil – eine Landschaft aus Wohntürmen– auf einem winzigen Platz dazwischen ein umgitterter Fußballplatz. Hier sitzt Denis allein und wartet. Er ist zehn Jahre alt und schon ein großer Realist, was seine Wünsche angeht.
"Das kann man nicht so richtig finanzieren, was ich machen möchte, so was mit Lötkolben und Motoren und so weiter. Das habe ich alles im MINT-Projekt im Universum gelernt."
Aber Denis Mutter ist alleinerziehend und sein Vater zahlt nicht, also ist das mit den Wünschen und deren Erfüllung so eine Sache.
Eine Geschichte, die Heike Groth nur allzu gut kennt. Sie leitet die Kita im Mütterzentrum und hört ständig Geschichten von Elternteilen, die sich ihrer finanziellen Verantwortung entziehen. Meist sind es die Väter.
"Ich würde fast davon ausgehen 50 Prozent, mit Sicherheit hier im Stadtteil, wenn nicht noch mehr."
Jahrelanger Kampf mit Anträgen, Behörden, Unsicherheiten
Die Forderung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, säumigen Vätern ihren Führerschein zu entziehen, wurde hier im Stadtteil durchaus gehört und diskutiert:
"Die müssen eine Strafe kriegen, sie kommen zu leicht raus. Es wird nicht gezahlt, der Staat zahlt, zahlt ja nur 'ne gewisse Zeit. Dann stehen die Mütter da und die Kinder müssen vom Jobcenter Geld bekommen, weil die Mutter selbst es auch nicht hat. Und ich finde schon dass man das nicht als Kavaliersdelikt behandeln sollte, man sollte da schon auch mal ne Grenze setzen."
Die meisten Frauen, sagt Heike Groth, die im Mütterzentrum Hilfe suchen, kämpfen jahrelang mit Anträgen, Behörden, Unsicherheiten:
"Und die Männer reagieren nicht, machen nichts und tun nichts. Ich glaub man kriegt die nicht anders, als dass man ihnen irgendwas wegnimmt, woran sie hängen."
Und das ist eben allzu oft das Auto – und damit verbunden der Führerschein. Klar.
"Weil da haben sie Energie und Geld reingesteckt in den Führerschein und vielleicht wird ihnen dann bewusst, dass 'ne Grenze da ist."
Knapp 20 km von Bremen entfernt, in Weyhe, war die Reaktion auf den Vorstoß von Sigmar Gabriel bei Ivonne Beneke eine total andere als bei Heike Groth:
"Als Fachanwältin für Familienrecht, die ich ja nun schon jahrelang so tätig bin, war ich natürlich leicht erheitert."
Juristin: Populistischer Umgang mit hochsensiblem Thema
Was nur die halbe Wahrheit ist, eigentlich war sie sogar mehr als das – sie war erbost:
"Das muss ich ganz klar sagen, weil ich gedacht habe, das ist ganz klar im Zeichen eines Wahlkampfes geschehen eine derartige Äußerung, anders kann man sich das als Jurist kaum erklären."
Das mit einem derart sensiblen, hochemotionalen Thema so populistisch umgegangen wird. Sagt sie. Und dass hier Strafrecht und Zivilrecht vermischt werden würde und dass aber auch:
"Der Kindesvater oder derjenige, der leistungsverpflichtet ist, der muss natürlich auch leistungsfähig sein."
Das ist in den meisten Fällen, in den es um fehlende Unterhaltszahlungen geht, nicht der Fall. Und da springt ja auch der Staat ein.
Wenn Unterhaltszahlungen ausbleiben auf die ein Kind eigentlich Anspruch hätte, kann der Unterhaltsvorschuss helfen. Er wird bis zu 72 Monate gezahlt aber höchstens jedoch bis zum 12. Geburtstag des Kindes.
Er beträgt für Kinder bis fünf Jahre 145 Euro - für Kinder bis 11 Jahre 194 Euro.
"Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind griffiger"
Etwa 900 Millionen Euro stellen Jugendämter jährlich bereit, um für den Unterhalt von Kindern aufzukommen, deren Väter nicht genug Geld haben, um ihren Nachwuchs finanziell zu versorgen. Die Unterhaltsvorschüsse sollen Alleinerziehenden und ihren Kindern helfen, wenn der andere Elternteil nicht zahlen will oder kann. In Bremen gibt es im Schnitt jährlich knapp 6.500 solcher Fälle, in denen der Staat einspringt und später versucht, sich das Geld zurückzuholen. Das Problem: Von dem ausgelegten Geld, ein zweistelliger Millionenbetrag, bekommen die Behörden in Bremen gerade einmal elf Prozent wieder zurück.
"Ich denke mal, es ist gar nicht so das Problem, dass der Unterhaltsschuldner nicht leisten will, meistens kann er nicht leisten oder es wird auch nicht vollstreckt und es wird sich nicht bemüht darum zu vollstrecken."
Da müssen wir besser werden, das hatte auch Bremens grüne Sozialsenatorin vor Kurzem in der Bürgerschaft eingeräumt. Über das Wie schwieg sie jedoch.
"Ich mach ja nun ganz viel Unterhalt und sehe genau die gleichen Probleme, die Herr Gabriel da auch sieht, die müssen nur anders angefasst werden, die fasst man nicht damit an, indem man mit Führerscheinentzug Meinungsmache macht."
Viel mehr sagt die Anwältin müsste man darüber nachdenken, den Leistungsanspruch zu verlängern – denn das kostet viel Geld – was aber wieder reinkommen kann, wenn die Behörden die vorgeschossenen Gelder bei den Vätern effektiver eintreiben würden.
"Da denke ich sind andere Maßnahmen griffiger - Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind griffiger", wenn Lohn gepfändet werden kann, kann ja auch das Auto gepfändet werden - zum Beispiel.
"UVG Leistungen auszudehnen kann auch griffiger sein - all das ist mit Sicherheit besser als … das. Geld kommt davon nicht aufs Konto."