Eigentlich sollte das Buch erst in der kommenden Woche erscheinen, so hatte es der zur Bertelsmann-Gruppe gehörende Heyne Verlag noch heute angekündigt. Zur gleichen Zeit aber waren die Buchhandlungen bereits bundesweit mit dem Titel beliefert worden. So waren Fakten geschaffen, bevor Helmut Kohl und seine Anwälte die Veröffentlichung auf dem Rechtsweg wirksam angreifen konnten. Und die Rechnung scheint aufgegangen zu sein:
"Der Verkauf und Handel - da steht gar nichts im Wege und ich höre aus München vom Heyne Verlag, dass man schon dabei ist wieder nachzudrucken, weil die Bücher den Händlern aus der Hand gerissen werden."
Freut sich Heribert Schwan, in den 70er-Jahren Deutschlandfunk-Redakteur, später Ghostwriter im Dienste Helmut Kohls. 600 Stunden Gespräch hatte er mit dem Altkanzler aufgezeichnet. Kohl wollte damit eigentlich Inhalte, Erinnerungen und das eine oder andere persönliche Angriffsziel seiner Memoiren vorzeichnen.
Nach einem Zerwürfnis mit seinem Auftraggeber nutzt Schwan das Material nun, um eigene publizistische Wege zu gehen:
"Es geht natürlich darum, dass man so ein bisschen seine Denke darstellt, wie er über Menschen denkt, wie er über Sachen denkt, sein Wertesystem insgesamt, das soll in dem Buch rauskommen",
sagt Schwan und hält rechtlichen Einwänden gegen die von Kohl nicht gestatte Nutzung der Tonbandaufzeichnungen das angeblich überwiegende öffentliche Interesse an den Äußerungen des Altkanzlers entgegen. Vor allem Kohls Sticheleien gegen einstige Opponenten und Weggefährten bis hin zur heutigen Kanzlerin machen erwartungsgemäß Schlagzeilen: Norbert Blüm ein Verräter, Richard von Weizsäcker undankbar und eitel, Angela Merkel ahnungslos, einst habe er seiner Nach-Nachfolgerin im Parteivorsitz erst einmal Tischmanieren bei Staatsbanketts beibringen müssen, wird Kohl aus den 2001 und 2002 aufgezeichneten Gesprächen zitiert.
Keine Überraschung bei den Kohl-Kennern
Wie Kohl über sein einstiges Umfeld dachte, war indes nicht unbekannt. Langjährige Kenner des Altkanzlers wie der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, Bernhard Vogel, geben sich deshalb wenig überrascht. Kohl Äußerungen stammten zudem aus einer Zeit, in der er sich nach der Parteispendenaffäre und dem Suizid seiner Frau in einer persönlichen Extremlage befunden habe, sagte Vogel im Deutschlandfunk:
"Und im Übrigen: Ich glaube, dass Herr Kohl über Frau Merkel heute völlig anders urteilen würde, nach den Erfahrungen, die wir mit den bemerkenswerten Fähigkeiten von Frau Merkel in den letzten zwölf Jahren gemacht haben."
Vogel lenkte das Augenmerk zugleich auf die noch nicht veröffentlichten Teile des Kohl-Nachlasses. Zuletzt hatte Kohls heutige Frau Maike Kohl-Richter in einem Zeitungsinterview den Anspruch erhoben, nach Kohls Tod allein über dessen Nachlass zu verfügen - und damit in der Union für Unruhe gesorgt. Auch Bernhard Vogel, der nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik Vorsitzender der CDU Nahen Adenauer Stiftung war, sieht den Streit um Kohls Privatarchiv mit Sorge:
"Deswegen plädiere ich dafür, dass man rechtzeitig Vorsorge trifft, dass die Wissenschaft auch in Zukunft den freien und ungehinderten Zugang zu diesen Akten hat, die zum Teil von Helmut Kohl selbst in die Verwahrung der Adenauer-Stiftung gegeben worden sind, die allerdings zum Teil auch zurückgegeben worden sind: zur Bearbeitung eben der Memoiren von Helmut Kohl."
Eine Möglichkeit, den Nachlass Helmut Kohls in öffentliche Hände zu geben, wäre die Errichtung einer Bundesstiftung, wie sie für ehemalige Politiker wie Friedrich Ebert, Theodor Heuss und Willy Brandt neben den parteinahen Stiftungen eingerichtet wurden. Regierungssprecher Steffen Seibert wies heute darauf hin, dass es dafür keine Pläne gebe. Derartige Stiftungen seien auch in anderen Fällen erst nach dem Tod der Staatsmänner errichtet worden.