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Streit zwischen Bund und Ländern
Der Digitalpakt als Prüfstein für den Föderalismus

Mit Tablets, Clouds und Smartboards sollen die deutschen Schulen digitaler werden. Damit das Geld dafür vom Bund an die Länder fließen kann, muss das Kooperationsverbot in der Bildung gelockert werden. Doch der Preis ist den Ländern zu hoch. Kann der Vermittlungsausschuss den Digitalpakt noch retten?

Von Christiane Habermalz und Peggy Fiebig |
    Die Hände eines Mädchens tippen auf einem Tablet, neben ihr liegt ein Mäppchen mit Stiften
    Mit schnellem Internetanschluss und einer Schulcloud, mit Tablets, Smartboards und Notebooks sollen deutsche Schulen ins digitale Zeitalter gehievt werden (picture alliance/dpa/Armin Weigel)
    Dass das John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte zur digitalen Avantgarde gehört, sieht man ihm von außen nicht an. Ein gelb gestrichener Altbau, der schon lange keine Renovierungsarbeiten mehr gesehen hat. Doch die Schule ist im vergangenen Jahr als erste "Smart School" Berlins ausgezeichnet worden.
    Schulleiterin Doris Hellmuth sitzt in ihrem Büro und erzählt von der digitalen Revolution, die ihre Schule erfasst hat:
    "Ich kann jeden meiner Schüler jederzeit über "It's learning" erreichen. Weil das auch eine App ist, die haben sie auf ihrem Smartphone. Und die Schüler haben auch Chatrooms, selber. Das heißt, das ist wirklich so eine virtuelle Schule geworden."
    Über die Cloud-basierte Plattform "It’s learning" können Lehrer Unterrichtsmaterialien einstellen und Schüler ihre Hausaufgaben digital abgeben, die dann in der nächsten Unterrichtsstunde auf das Smartboard projiziert und gemeinsam diskutiert werden. Fast jedes Klassenzimmer ist damit ausgestattet.
    Smartboards mit Lottoeinnahmen finanziert
    Dass die Schule so weit gekommen ist, wo andere Schulen noch buchstäblich in der Kreidezeit leben, hat sie nicht der Berliner Schulpolitik zu verdanken, sondern vor allem der eigenen Initiative. Für die Smartboards seien Mittel aus Lottoeinnahmen beantragt worden.
    "Alle Lehrer haben dann wahnsinnig viel Arbeit da reingesteckt. Und dass wir jetzt iPads kaufen können, das verdanken wir zum Teil unserem Förderverein."
    Doch an der technischen Ausstattung der Schule mangelt es immer noch vorne und hinten. Die Computer sind veraltet, das WLAN bricht in dem alten Gemäuer ständig zusammen. Es fehlen weitere Schultablets – zumindest drei Klassensätze braucht die Schule.
    "Und das ist ein Spagat, der schwierig auszuhalten ist manchmal. Weil so viele intellektuelle Mühen investiert wurden. Und man sich dann irgendwann fragt: Ja wozu nützt uns das denn, wenn wir immer noch nicht mit den Schülerinnen und Schülern tatsächlich vor Ort im Internet arbeiten können?"
    Malen im Unterricht an einer digitalen interaktiven Tafel in Marktoberdorf, Deutschland am 08.03.2016
    Malen an einer interaktiven Tafel: Die wenigsten Schulen verfügen über die technische Ausstattung für digitales Lernen. (imago / Action Pictures)
    Abstimmungsfiasko im Bundesrat
    Eigentlich hätte die Politik längst Abhilfe schaffen wollen. Denn ab dem ersten Januar sollte das Geld aus dem Digitalpakt fließen. Dabei hat der Bund schon vor mehr als zwei Jahren fünf Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um damit die deutschen Schulen ins digitale Zeitalter zu hieven. Mit schnellem Internetanschluss und einer Schulcloud, mit Tablets, Smartboards und Notebooks.
    Doch aus dem Geldsegen wurde vorerst nichts. Das Projekt Digitalpakt ist in den Mühlen des Föderalismus zerrieben worden. Seit Monaten tobt zwischen Bund und Ländern ein Streit darum, wie das Geld an die Schulen gelangen kann. Denn Bildung ist Ländersache.
    Damit der Bund überhaupt in Schulen investieren darf, sollte erst die Verfassung geändert und das sogenannte Kooperationsverbot gelockert werden, das es Bund und Ländern verbietet, in Bildungsfragen zusammenzuarbeiten. So hatten es Union und SPD im Koalitionsvertrag beschlossen. Doch ein mühsam mit der Opposition ausgehandelter Gesetzentwurf des Bundes endete am 14. Dezember im Bundesrat in einem Fiasko. Abgelehnt mit 16 zu Null Stimmen. Die Ministerpräsidenten, sonst kaum ein Ausbund an Harmonie, waren sich selten einig in ihrem Zorn.
    "Das was hier vorliegt, ist vor allem eine Entmachtung unserer Landtage und der Kultusministerkonferenz. Wir wollen keine Verzwergung der Länder. Wir wollen dem Bund in unseren Zuständigkeiten auf Augenhöhe begegnen und wir wollen uns nicht seiner Fachaufsicht unterwerfen", schimpfte der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann.
    Selbstkritische Töne von CDU und SPD
    Klare Ablehnung auch der sozialdemokratisch und unionsgeführten Länder. Doch es gab auch selbstkritische Töne – etwa von Stephan Weil aus Niedersachsen oder Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz. Der föderale Streit sei in der Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln. Schüler, Eltern und Lehrer würden erwarten, dass die Politik Probleme löse, statt sie zu schaffen – und vor allem, dass das Geld endlich an den Schulen ankomme.
    "Ich rate niemandem von uns, diese Erwartungen zu enttäuschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wären alle miteinander Verliererinnen und Verlierer."
    "Wir müssen, glaube ich, sehr schnell zu Ergebnissen kommen, denn draußen ist es den Leuten ziemlich egal, ob es jetzt am Bund hängt oder an den Ländern hängt."
    Abschaffung des Kooperationsverbots im Koalitionsvertrag
    Was war geschehen, dass Bund und Länder sich so ineinander verhakten, dass nun der Vermittlungsausschuss es richten muss – und der Digitalpakt, den doch eigentlich alle wollen, weiter auf Eis liegt? Noch im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, dass das Grundgesetz geändert werden soll, um den Digitalpakt möglichst rasch umsetzen zu können. Mit eingebunden in die Verhandlungen waren auch einige Ministerpräsidenten.
    Die treibende Kraft waren die Sozialdemokraten, die mit dem Thema Abschaffung des Kooperationsverbotes schon in den Wahlkampf gezogen waren. Denn gute Bildung sei eine nationale Aufgabe betonte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley:
    "Für uns ist klar, gerechte Bildungschancen dürfen nicht davon abhängen, wo man lebt, oder wie viel Geld man hat, und gerechte Bildungschancen für alle dürfen nicht daran scheitern, dass wir vorhandenes Geld nicht ausgeben dürfen. Das wäre absurd."
    Der bildungspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Bundestag, Oliver Kaczmarek, sagte:
    "Das ist ja durchaus ein neuer Geist, der den Koalitionsvertrag umweht. Es geht nicht mehr darum, dafür ist der Bund und dafür sind die Länder zuständig, sondern der Geist ist der kooperative Bildungsföderalismus, wie wir das genannt haben. Bund und Länder müssen die großen Herausforderungen gemeinsam angehen."
    FDP und Grüne nutzten die Gunst der Stunde
    Einen Plan für die Umsetzung gab es auch schon: Durch den Artikel 104c des Grundgesetzes, der jetzt schon dem Bund erlaubt, Gemeinden bei Investitionen in Schulgebäude zu helfen – allerdings ausschließlich finanzschwachen. Nun sollte das Wort "finanzschwach" nachträglich gestrichen werden. Doch für eine Grundgesetzänderung braucht es nicht nur eine Zweidrittelmehrheit des Bundesrates, sondern auch des Bundestags.
    Die FDP und die Grünen mussten also mit ins Boot. Beide sind entschiedene Gegner des Kooperationsverbotes, nutzten die Gunst der Stunde und erreichten in zähen Verhandlungen, dass der Gesetzentwurf in Bezug auf die Kompetenzen des Bundes noch einmal erweitert wurde. FDP-Chef Christian Lindner:
    "Es wird möglich, dass nicht nur in Kabel investiert werden kann, sondern eben auch in personelle Unterstützung mindestens zu Beginn eines Programmes, sei es durch Systemadministratorinnen und Administratoren oder pädagogische Coaches oder eben auch Lehrkräfte, je nachdem wie ein Programm gestaltet wird."
    Kretschmann: "Süßes Gift für die Länder"
    Das aber bedeutete einen sehr viel weitergehenden Eingriff in die Bildungshoheit der Länder, als die reine Sachinvestition. Während die Einigung im Bundestag gefeiert wurde, formierte sich im Bundesrat der Widerstand. Bis dahin hatte der vor allem aus einem einsamen Kämpfer bestanden: Winfried Kretschmann. Anders als die grüne Fraktion im Bundestag sah der grüne Landeschef in Stuttgart in dem Gesetzentwurf zur Grundgesetz-Änderung von Anfang an nur eines: einen Frontalangriff auf den Bildungsföderalismus – verpackt in ein Lockangebot von fünf Milliarden Euro.
    "Dieser Gesetzentwurf ist nichts anderes als süßes Gift für die Länder und damit gefährlich. Denn die Bundesregierung versucht nichts anderes, als Zuständigkeiten zu vermengen, Verantwortlichkeiten zu verwischen, und den Bundeseinfluss auf die Aufgabenerfüllung der Länder und Kommunen in einem Umfang auszudehnen, den ich nicht für möglich gehalten hätte."
    Der um die Positionen von FDP und Grünen erweiterte Gesetzentwurf brachte noch zusätzliche Kritiker unter den CDU-geführten Bundesländern auf den Plan. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Sachsen veröffentlichten einen offenen Brief in der "FAZ", in dem sie ihren Widerstand gegen die Grundgesetz-Änderung ankündigten.
    Porträt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Grüne) beim Katholikentag in Münster 2018.
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Grüne) (imago / epd)
    Zankapfel Co-Finanzierungsklausel
    Endgültig vereinte die 16 Länderchefs in ihrer Ablehnung jedoch erst eine Co-Finanzierungsklausel, die die Haushälter des Bundestages auf den letzten Metern in den Gesetzentwurf hineingeschrieben hatten. Auch wenn das noch nicht für den Digitalpakt gelten sollte: Bei allen künftigen Bildungsinvestitionen des Bundes sollten die Länder mit 50 Prozent an den Kosten beteiligt werden. Damit will der Bund sicherstellen, dass die Investitionen des Bundes auch zusätzlich erfolgen, und die Länder nicht ihre Mittel - nach dem Prinzip linke Tasche, rechte Tasche - entsprechend einsparen oder umleiten. So sei es etwa beim BAföG oder beim sozialen Wohnungsbau geschehen – beides originäre Länderaufgaben, in denen der Bund helfend eingesprungen war.
    "Weil es nicht sein kann, dass der Bund seit Jahren, seit Jahrzehnten Geld für den sozialen Wohnungsbau gibt, diese Mittel nicht für sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden oder zweckentsprechend, und nicht mehr in einziger Cent an Landesmitteln für soziale Wohnraumförderung in die Hand genommen wird. So stellen wir die Demokratie, den Föderalismus in Deutschland infrage", begründete Eckardt Rehberg, haushaltspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, die hälftige Co-Finanzierung.
    Länder in Sorge um ihre Haushaltsrecht
    Warum auch nicht – schließlich liegt die Zuständigkeit für die Bildung ja ohnehin bei den Ländern. Doch die Länder fühlten sich nicht nur überrumpelt – sie kritisieren auch, dass der Bund damit in ihr ureigenes Haushaltsrecht eingreife:
    "Wenn Bundesmittel zwangsläufig dazu führen, dass in derselben Höhe Landesmittel zusätzlich eingestellt werden müssen, dann führt das in letzter Konsequenz zu Haushaltsprioritäten, die insbesondere bei finanzschwachen Ländern womöglich gar nicht den eigentlichen Bedürfnissen dieses Landes entsprechen", erklärte der SPD-Ministerpräsident Stephan Weil aus Niedersachsen.
    Kretschmann kündigt an, dann lieber ganz auf die Gelder aus dem Digitalpakt zu verzichten. Wenn der Bund mehr Geld für Bildung geben wolle, dann solle er den Ländern einfach einen größeren Anteil an Steuermitteln zukommen lassen – das sei der Weg, den das Grundgesetz für diesen Fall vorsehe. Die Länder wüssten am besten, wo das Geld benötigt werde:
    "Wenn man der Meinung ist, Bildung und sozialer Wohnungsbau seien unterfinanziert, und diese Meinung ist offensichtlich zutreffend, dann ist eben ein höherer Anteil an Steueraufkommen der Länder und Kommunen die Lösung. Und nicht der Versuch, die Länder zu bloßen Verwaltungsprovinzen unter bundesgesetzliche Bevormundung zu nehmen und immer neue Programme aufzulegen."
    Tendenz zur Zentralisierung
    Hat Kretschmann recht? Ist der Digitalpakt der Anfang vom Ende des Föderalismus in Deutschland? Fakt ist: In den letzten Jahren gab es eine deutliche Tendenz zur Zentralisierung von Kompetenzen. Besonders deutlich zeigt sich das bei den einzelnen Schritten der Föderalismusreform, die 2003 mit der Einsetzung der Föderalismuskommission begonnen hatte.
    Eigentlich ging es damals um eine Entflechtung der Kompetenzen. Denn aufgrund der vorher geltenden Zuständigkeiten konnte der Bundesrat in zu vielen Fällen Gesetzesbeschlüsse des Bundestages blockieren. Deshalb wollte man die Verfassung so ändern, dass in deutlich mehr Fällen als bisher klar geregelt sein sollte, dass entweder der Bund oder die Länder allein zuständig sind. Es wäre eine Chance zur Stärkung des Föderalismus' geworden, aber auch hier stand das Geld im Wege.
    Der Berliner Rechtsprofessor Hans Meyer hat als Sachverständiger an der Föderalismuskommission teilgenommen und erinnert sich, dass seinerzeit die Diskussionslinien nicht zwischen dem Bund und den Ländern und auch nicht nach parteipolitischer Ausrichtung erfolgte, sondern eher zwischen finanzstarken Ländern auf der einen und ärmeren Ländern auf der anderen Seite. Denn die Ärmeren waren auf die finanzielle Hilfe des Bundes angewiesen:
    "Sodass also der Bund mit den schwachen Ländern verhindert hat, dass weitere Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder übertragen wurden. Das war ein deutliches Zeichen dafür, dass die unterschiedliche Stärke – finanzielle und verwaltungsmäßige Stärke – in den Ländern dazu geführt hat, dass Kompetenzen beim Bund geblieben sind, die eigentlich nicht zu ihm gehören."
    Beispiel Länder-Finanzausgleich
    Noch deutlicher wurde das bei den Verhandlungen 2017. Es ging damals um die Abschaffung des horizontalen Finanzausgleiches. Der sollte bis dato dafür sorgen, dass die reicheren Länder die ärmeren finanziell unterstützen und so die im Grundgesetz vorgesehene "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" innerhalb der Bundesrepublik sichern. Ab 2020 soll jetzt der Bund für die Ausgleichszahlungen zuständig sein und nicht mehr die Länder untereinander. Im Gegenzug darf der Bund aber jetzt auch mehr, beobachtet die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp mit Sorge:
    "Wir finden eine Art Tauschsituation, in der die Länder mehr Geld nehmen vonseiten des Bundes, dafür aber willens sind, Aufgaben nach oben abzuschieben oder dem Bund Mitfinanzierung und Mitsprache zu ermöglichen."
    Vorzüge des Bildungsföderalismus
    Für Kropp hat der Föderalismus – gerade auch im Bildungsbereich – in der Vergangenheit seine Vorzüge gezeigt. Auf Länderebene lassen sich Modellversuche deutlich leichter umsetzen als auf Bundesebene, argumentiert sie. Und gegebenenfalls dann auch leichter korrigieren. Denn bekanntlich kann man ja auch aus Fehlern lernen:
    "Die fehlgeleiteten Reformen, die in den vergangenen Jahren teilweise eingeleitet wurden im Bereich von Schule oder Bildung: Wenn wir die flächendeckend gehabt hätten, ohne ein Wettbewerb der Modelle, dann sähe unsere Welt heute auch etwas anders aus in Deutschland."
    Als "Laboratorium für politische Lösungen" bezeichnet die Politikwissenschaftlerin deshalb auch den Föderalismus. Allerdings wollen sich viele Bürger nun nicht als Versuchskaninchen sehen. Gerade bei der Bildung. Wohl in keinem Bereich ist der Föderalismus so unbeliebt wie hier. In Umfragen spricht sich regelmäßig eine deutliche Mehrheit gegen den bildungspolitischen Flickenteppich aus.
    In der jetzigen Debatte steht allerdings der Bildungsföderalismus insgesamt nicht zur Diskussion. Das machte auch Andreas Jung von der CDU bei der Abschlussdebatte im Bundestag deutlich:
    "Deshalb ist es uns wichtig, dass für uns völlig selbstverständlich und unumstößlich ist, was im Grundgesetz festgeschrieben steht: Bildung ist Ländersache, die Kultushoheit bleibt bei den Ländern, das steht im Grundgesetz, das steht im Koalitionsvertrag und das wird immer unsere Leitlinie als überzeugte Föderalisten sein."
    Sicherstellen, dass Mittel nicht zweckentfremdet werden
    Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp meint allerdings, wenn man das Bekenntnis zum Föderalismus ernst nehme, dann müsse man auch den ganzen Weg gehen - und spricht damit den Kritikern der Verfassungsänderung aus der Seele:
    "Ich denke, dass es nötig wäre, den Ländern tatsächlich, wenn denn Mittel ausgereicht werden vonseiten des Bundes, diese so zu geben, dass die Länder dafür auch eigenverantwortlich für die Verausgabung zuständig sind. Dann muss aber eine kritische Öffentlichkeit und Wählerschaft auch sicherstellen, dass das nicht passiert, was in der Vergangenheit passiert ist: Dass nämlich die Mittel zweckentfremdet eingesetzt werden zur Sanierung der eigenen Haushalte. Sondern dass sie eben tatsächlich für Bildung oder die entsprechenden Aufgaben ausgegeben werden."
    Schwächung der Länder befürchtet
    Wenn Bund und Länder künftig gemeinsam für Bildungspolitik zuständig sind, wird es auch leichter, sich gegenüber den Wählern gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Aber auch wenn die Beteiligten beteuern, das föderale System nicht antasten zu wollen, birgt allein schon die jetzige Diskussion bereits Gefahren für den Bundesstaat.
    Das meint beispielsweise der Verfassungsrechtler Christoph Möllers. Schuldenbremse und der Wegfall des horizontalen Finanzausgleiches hätten die Länder bereits abhängiger vom Bund gemacht. Die Einführung von Regelungsstrukturen, wie sie jetzt vorgesehen sind, in denen der Bund direkt in die Länderverwaltungen reinregieren kann, würden zu einer deutlichen Schwächung der alten traditionellen exekutiven Stärke der Länder führen, sagt der Rechtswissenschaftler. Für ihn ist das auch eine grundsätzliche politische Frage, der man sich derzeit noch nicht ausreichend bewusst sei:
    "Natürlich leben wir generell in Zeiten, in denen wir uns fragen müssen, wie der Autoritarismus zurückgedrängt werden kann, wie man die freiheitliche Ordnung schützen kann. Und da ist das sicherste Rezept - das sieht man auch in den USA etwa – eigentlich eine föderale Ordnung, in der die politischen Prozesse vervielfacht werden und in ihrer Vervielfachung auch selbstständig bleiben können."
    Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
    Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität in Berlin (imago/Reiner Zensen)
    Letzter Ausweg Vermittlungsausschuss
    Wie es jetzt weitergeht, entscheidet der Vermittlungsausschuss. Er kommt in jenen Fällen ins Spiel, in denen ein Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Parlament und Länderkammer sich aber nicht einigen können. Im Ausschuss sind jeweils 16 Mitglieder von Bundestag und Bundesrat vertreten. Kommt der Vermittlungsausschuss zu einem Kompromissvorschlag, müssen beide Kammern noch einmal getrennt darüber abstimmen. Es gilt dann Top oder Flop - Änderungen sind nicht mehr möglich. Verfassungsrechtler Möllers sieht gute Chancen dafür, dass sich der Bund im Vermittlungsverfahren noch bewegt:
    "Also, dass der Bund seine Forderung nach Kontrolle aufgibt, ist schon durchaus möglich. Man muss sagen, der Bund hat bei den letzten Verhandlungen mit den Ländern zum Finanzausgleich eine Maximalposition bezogen und ist dann zu seiner eigenen Überraschung mit dieser Maximalposition durchgekommen, weil sich die Länder so leicht haben rauskaufen lassen. Das scheint jetzt nicht nochmal der Fall zu sein."
    Eins ist klar: Dem Vermittlungsausschuss stehen schwierige Verhandlungen bevor. Der Digitalpakt ist zum Spielball und zum Lackmustest für den Föderalismus geworden. Der öffentliche Druck, schnell zu einer Lösung zu kommen, damit das dringend benötigte Geld für die Digitalisierung endlich bei den Schulen ankommt, ist groß. Viel Zeit für einen Grundsatzstreit um Bund-Länder-Kompetenzen haben die politischen Akteure nicht mehr.