Rüdiger Achenbach: Herr Maier, die meiste Literatur kommt aus dem nordgermanischen Raum, übermittelt also auch nordgermanische Vorstellungen soweit sie denn authentisch sind und vorhanden sind. Was erfahren wir eigentlich, wenn man sich auf eine solche Rekonstruktion einlässt, über das Weltbild der Germanen?
Bernhard Maier: Ja, wie Sie ganz richtig gesagt haben, wir haben fast nur nordgermanische Quellen. Wir haben also sehr, sehr wenig aus dem Bereich etwa der althochdeutschen Literatur. Wir haben sehr wenig aus dem Bereich des angelsächsischen Englands, so dass wir grundsätzlich sagen müssen: was man über das Weltbild sagen kann, das gilt zunächst einmal nur für den Norden. Diese Mythen, die waren aber eben nicht stabil und fixiert und verschriftlicht, sondern die waren durchaus immer wieder im Fluss, die konnten immer wieder neu und anders erzählt werden, weil man ja davon ausgehen muss, dass das keine Glaubensartikel waren, wie wir das aus dem Christentum kennen, dass man also an eine bestimmte Form einer Erzählung oder sich zu einer bestimmten Form dieser Texte bekennen musste, sondern die wurden eben überliefert und immer wieder auch neuen Bedürfnissen angepasst. Und man vermutet heute, dass die nordische Mythologie sich auch sehr stark dadurch verändert hat, dass in der Spätzeit des Heidentums das Christentum eben sozusagen an die Tür gepocht hat – in dieser Kultur – und dass die letzten Heiden genötigt waren, dem Christentum etwas entgegen zu setzen. Man vermutet, dass viele Mythen neu systematisiert, neu gefasst, neu interpretiert wurden, um bestimmten christlichen Glaubensartikeln etwas entgegen setzen zu können.
Achenbach: Wie sah denn nun eigentlich die Götterwelt der Germanen aus? Was kann man überhaupt darüber sagen?
Maier: Wir haben also relativ frühe Nachrichten über die Götter der Germanen. Schon in römischer Zeit kennen wir germanische Götternamen, auf lateinischen Weih-Inschriften. Das sind Inschriften, die von Germanen, meistens Soldaten im römischen Dienst, gestiftet wurden. Gelegentlich ist da auch ein Bild dabei. Wobei allerdings insbesondere die Bilder die Götter sehr häufig nach antikem Vorbild – also eben wie römische, bzw. griechische Götter darstellen. Aber wir haben eben die germanischen Namen, aus denen man dann, wenn man eine Etymologie hat, wenn man die Bedeutung des Wortes kennt, doch einige grundlegende Aussagen treffen kann.
Achenbach: Um diese Götterwelt der Germanen etwas zu ordnen, hat man ja grundsätzlich von zwei Göttergruppen gesprochen, indem man auch versucht hat, verschiedene Merkmale zu definieren innerhalb dieser Göttergruppe.
Maier: Die Zweiteilung Asen/ Wanen mit einem Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen suggeriert, dass beide Begriffe auf der gleichen Ebene liegen. Aber das ist durchaus nicht der Fall, denn der Ausdruck oder das Wort Ase, das ist sehr alt, schon belegt. Wir haben es also bei dem Historiker Jordanes bereits in der Völkerwanderungszeit belegt, dass die Goten, diese Gruppe der Anzis, der Asen gekannt hätten. Wir finden das Wort übrigens auch in einigen deutschen Personennamen: Ansgar oder Anselm. Da steht dieses Wort "Ase", früher "Anse" drin. Wir finden es dann eben wieder im skandinavischen Norden und da werden die Asen den Wanen gegenüber gestellt. Der Konflikt zwischen Asen und Wanen, von dem unsere Quellen erzählen, den kann man eben nicht sicher deuten. Wenn Sie einmal in populäre Lexika oder Nachschlagewerke, populäre Darstellungen der germanischen Religion reinschauen, dann werden Sie häufig zwei verschiedene Deutungen finden. Da gibt es einmal die Theorie, dass der Konflikt zwischen diesen beiden Göttergruppen einen realen historischen Konflikt zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen widerspiegelt. Dass es also eine alteingesessene bäuerliche Bevölkerung gegeben habe, die die Wanen verehrt habe, und dass dann eine kriegerische, zugewanderte Bevölkerung dazu gekommen sei, die die Asen verehrt habe, und dass die Erzählung vom Konflikt zwischen Asen und Wanen in Wirklichkeit sozusagen diesen Konflikt zwischen diesen beiden Bevölkerungsschichten widerspiegelt. Dann gibt es noch eine Theorie dazu, die besagt: wir finden zu diesem Konflikt Asen und Wanen in anderen indogermanischen Überlieferungen Parallelen. Und da gibt es eben nun die Theorie, die besagt: der Konflikt zwischen Asen und Wanen ist ein ganz alten mythisches Motiv, das schon in die indogermanische Zeit zurückreicht, so dass wir also davon ausgehen müssen, dass dieser Konflikt sich auf Verhältnisse bezieht, die lange, lange vor der germanischen Zeit bestanden haben.
Achenbach: Also, das, was man über die Ermittlung der Sprache, den Zusammenhang der Sprachfamilien der indoeuropäischen Sprachen als verbindende Linie sehen kann, das kann man nicht unbedingt so auf die Religion übertragen.
Maier: Man kann so etwas wie eine indogermanische Grammatik, einen indogermanischen Wortschatz in Grenzen und eine indogermanische Lautlehre rekonstruieren. Ich glaube nicht, dass man eine indogermanische Mythologie oder eine indogermanische Gesellschaftsordnung rekonstruieren kann.
Achenbach: Wenn wir über die Götterwelt der Germanen reden, dann gibt es im historischen Material, was uns zur Verfügung steht, einige Namen, die ganz besonders herausgehoben werden, die immer wieder vorkommen. Auch wenn die Bezeichnung für diese Götter, die wahrscheinlich identisch sind, im nordgermanischen und südgermanischen Raum unterschiedlich ausfallen, kann man doch einen bestimmten Göttertypus erkennen. Zum Beispiel trifft das zu bei Gott Odin im nordgermanischen Bereich, der dann im südgermanischen Bereich dann gerne als Wotan oder Wodan bezeichnet wird.
Maier: Der Gott Odin/ Wodan, das ist einer der ganz prominenten Götter in unserer Überlieferung, über den man relativ viel sagen kann. Das ist allerdings auch eine Göttergestalt, die sich im Laufe der Zeit durchaus gewandelt hat, so dass also die verschiedenen Züge dieser Gestalt, die wir in unseren Quellen finden, die liegen nicht alle auf einer Ebene, sondern das spiegelt zum Teil eine historische Entwicklung wider. Der Gott Odin, das ist ein Gott, der auch eben über den skandinavischen Raum hinaus verbreitet gewesen ist – mit Sicherheit. Man sieht es daran, dass wir ihn eben auch auf dem Kontinent in der angelsächsischen Überlieferung in der Form Wodan, beziehungsweise Woden, überliefert finden. Die Bezeichnung Wotan – nebenbei bemerkt mit "t" – das ist eine neuzeitliche Form, die viel mit Richard Wagner zu tun hat, aber die man in den Texten selber so nicht wieder findet, die sich aber eben trotzdem hierzulande eingebürgert hat. Über diesen Gott kann man dann auch schon aufgrund seines Namens etwas sagen. Das hat wahrscheinlich zu tun mit unserem deutschen Wort "Wut". Jetzt nicht im Sinne der spontanen Gefühlsregung, sondern im Sinne vermutlich der Ekstase, des Außer-sich-seins, eines Zustands, den man beispielsweise beim Krieger in bestimmten Situationen voraussetzt – die Kampfeswut – oder auch eines Zustands, den man beim Dichter voraussetzt. Der Dichter ist ja nicht jemand, der aus Neigung und Gelegenheit mal eben dichtet, wenn es ihm in den Sinn kommt, sondern in diesen alten Kulturen wird häufig vorausgesetzt, dass der Dichter in gewisser Weise besessen ist und in einem besonderen Erregtheitszustand seine Verse komponiert. Und Odin ist eben auch in den uns erhaltenen Texten zum einen der Gott der Dichter. Man muss vielleicht dazu sagen, wir wissen eben deswegen wohl auch so viel über ihn, weil so viele Quellen aus dieser Schicht stammen. Diese Texte sind von Dichtern für Dichter gemacht und deswegen spielt dieser Gott eine so große Rolle.
Achenbach: Man könnte also sagen, es könnte sich um eine Art Hauptgott in der führenden Herrschaftsschicht gehandelt haben.
Maier: Ja, er ist einerseits eben der Gott der Dichter. Er ist aber auch der Gott der Krieger, der Fürsten und spielt in dieser Funktion auch eine wichtige Rolle. Der Name ist – nebenbei bemerkt – in anderen nicht-germanischen Sprachen so nicht belegt. Es handelt sich also aller Wahrscheinlichkeit nach um keinen Gott, zu dem in anderen Kulturen ganz, ganz enge Parallelen feststellbar wären.
Achenbach: Das sieht anders aus bei dem Gott Donar oder Thor – auch ein Gott aus dem eher nordgermanischen Bereich, der sozusagen der Kraftmeier unter den Göttern ist. Ein ganz populäre Figur, der Gott, der mit dem Hammer auftritt und dann gleichzeitig doch daran erinnert, zum Beispiel an Jupiter, Tonans und an andere Gottheiten aus der indoeuropäischen Götterwelt, zum Beispiel bei den Römern.
Maier: Ja, ich denke da kann man durchaus einen Unterschied sehen. Auch allein schon sprachlich. Der Gott taucht also auf, eben im kontinentalen Bereich unter dem Namen Donar und dann im altnordischen in Skandinavien als For oder eben, wie wir das sagen Thor. Das ist ein und derselbe Name. Und der findet auch eine ganz enge Parallele im Keltischen, der dann mit dem römischen Jupiter, als Himmelsgott, als Herr des Blitzes und des Donners verehrt wurde. Und Sie können diese sprachliche Gleichung auch noch ganz schön nachvollziehen, wenn Sie sich die Wochentagsnamen anschauen. Der Donnerstag, unser Donnerstag, ist der Tag des Gottes Donar. Das ist im Französischen der Jeudi, der Tag des Gottes Jovis oder Jupiter. Für Odin kann man das – nebenbei bemerkt – auch machen. Der Mittwoch ist uns ganz profan der Mittwoch im Deutschen. Aber er ist im Englischen noch der Wednesday, also der Wodanstag. Das ist eben auch im Lateinischen der Dies mercurii, der Tag des Gottes Merkur, weil man Wodan und Merkur miteinander identifiziert hat.
Achenbach: Da haben wir zwei Gottheiten, zwei führende Gottheiten kann man so sagen, wenn man überhaupt von einer Hierarchie ausgehen kann, angesprochen, die man beide, wenn man die Göttergruppen aufteilt, zu den sogenannten Asen zählt, also den Gottheiten, die eher als Kriegsgottheiten verstanden werden. Eine andere bedeutende Figur ist Freyr und er gehört zu den Göttern der Wanen, also zu dem Bereich, den man normalerweise als die Gottheiten der Fruchtbarkeit und der Vegetation bezeichnet.
Maier: Es gibt hier ein Geschwisterpaar, Freyr und Freya, die auch den gleichen Namen im Wesentlichen tragen. Dieser Name bedeutet übrigens ursprünglich Herr und Herrin. Im Deutschen haben wir das Wort ja auch, zumindest in der weiblichen Form das Wort Frau, das ist ursprünglich Herrin, und das männliche Gegenstück dazu das kennen Sie noch in Wörtern wie Frondienst – Herrendienst, Fronleichnam – der Leichnam des Herren, das hat sich das noch erhalten aus dem Althochdeutschen.
Achenbach: Und auch hier wieder eine Entsprechung zum Wochentag – der Freitag.
Maier: Der Freitag. Der Freitag wäre lateinisch Dies Veneris, der Göttin Venus. Und dann eben im germanischen Bereich dazu der Tag der Göttin Freya. Diese Götter sind wohl in einem breiten Sinn, in einem allgemeinen Sinn als Fruchtbarkeitsgottheiten zu verstehen.
Achenbach: Im Zusammenhang mit Freya wird ja auch häufiger vom sogenannten Königsopfer gesprochen. Es gibt mehrere Quellen, in denen es Überlieferungen gibt, dass ein König im Zusammenhang mit einer Missernte zum Beispiel hingerichtet wurde, das heißt also geopfert wurde, weil man die Schuld dem König wahrscheinlich übertragen hat und durch dieses Opfer dann auch wieder den Gott Freya oder die Götter generell gut stimmen wollte. Diese Königsopfer-Tradition kommt an einigen Stellen vor, nicht nur im Bereich der Nordgermanen oder Südgermanen. Welche Bedeutung hat sie überhaupt in der Religionsgeschichte?
Maier: Man hat in der Forschung lange Zeit darüber gestritten, wie das Königtum bei den Germanen legitimiert war. Wenn Sie sich die ganz alten Bücher zu diesem Thema anschauen, aus dem frühen, mittleren 19. Jahrhundert, da geht man davon aus, dass es sich hier um ein Problem der Rechtsgeschichte handelt, dass also einfach die Frage ist, wie ist Herrschaft organisiert, wie ist sie legitimiert. Man hat dann allerdings im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder behauptet: das germanische Königtum war ein Sakralkönigtum, der König ist eine Art Priesterkönig gewesen, der dann auch eben, wie Sie sagen, geopfert werden konnte. Was man für ein germanisches "Sakralkönigtum" geltend machen könnte, das ist vielleicht die Überlieferung von der göttlichen Abstammung der Könige, dass also sich die einzelnen Königshäuser auf einen göttlichen Ahnen zurückführen.
Achenbach: Also grundsätzlich kann man wohl zur germanischen Götterwelt sagen, dass es auch nie darum ging mit diesen Göttergestalten moralische Vorbilder vorzustellen.
Maier: Nein, das ist sicherlich nicht so gewesen. Das ist natürlich auch etwas, was beispielsweise in der klassischen Antike so nicht gewesen ist. Die vor-sokratischen Philosophen im 6., im 5. Jahrhundert haben ja gerade Homer deswegen angegriffen, weil diese Götter keine moralischen Vorbilder seien, aber doch bitte schön eigentlich hätten sein sollen. Das ist ja ein Vorwurf, den man da schon findet und den dann natürlich auch das Christentum gerne aufgegriffen hat. Man hat den antiken Polytheismus ja auch wegen seiner fehlenden ethischen Qualifikation angegriffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bernhard Maier: Ja, wie Sie ganz richtig gesagt haben, wir haben fast nur nordgermanische Quellen. Wir haben also sehr, sehr wenig aus dem Bereich etwa der althochdeutschen Literatur. Wir haben sehr wenig aus dem Bereich des angelsächsischen Englands, so dass wir grundsätzlich sagen müssen: was man über das Weltbild sagen kann, das gilt zunächst einmal nur für den Norden. Diese Mythen, die waren aber eben nicht stabil und fixiert und verschriftlicht, sondern die waren durchaus immer wieder im Fluss, die konnten immer wieder neu und anders erzählt werden, weil man ja davon ausgehen muss, dass das keine Glaubensartikel waren, wie wir das aus dem Christentum kennen, dass man also an eine bestimmte Form einer Erzählung oder sich zu einer bestimmten Form dieser Texte bekennen musste, sondern die wurden eben überliefert und immer wieder auch neuen Bedürfnissen angepasst. Und man vermutet heute, dass die nordische Mythologie sich auch sehr stark dadurch verändert hat, dass in der Spätzeit des Heidentums das Christentum eben sozusagen an die Tür gepocht hat – in dieser Kultur – und dass die letzten Heiden genötigt waren, dem Christentum etwas entgegen zu setzen. Man vermutet, dass viele Mythen neu systematisiert, neu gefasst, neu interpretiert wurden, um bestimmten christlichen Glaubensartikeln etwas entgegen setzen zu können.
Achenbach: Wie sah denn nun eigentlich die Götterwelt der Germanen aus? Was kann man überhaupt darüber sagen?
Maier: Wir haben also relativ frühe Nachrichten über die Götter der Germanen. Schon in römischer Zeit kennen wir germanische Götternamen, auf lateinischen Weih-Inschriften. Das sind Inschriften, die von Germanen, meistens Soldaten im römischen Dienst, gestiftet wurden. Gelegentlich ist da auch ein Bild dabei. Wobei allerdings insbesondere die Bilder die Götter sehr häufig nach antikem Vorbild – also eben wie römische, bzw. griechische Götter darstellen. Aber wir haben eben die germanischen Namen, aus denen man dann, wenn man eine Etymologie hat, wenn man die Bedeutung des Wortes kennt, doch einige grundlegende Aussagen treffen kann.
Achenbach: Um diese Götterwelt der Germanen etwas zu ordnen, hat man ja grundsätzlich von zwei Göttergruppen gesprochen, indem man auch versucht hat, verschiedene Merkmale zu definieren innerhalb dieser Göttergruppe.
Maier: Die Zweiteilung Asen/ Wanen mit einem Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen suggeriert, dass beide Begriffe auf der gleichen Ebene liegen. Aber das ist durchaus nicht der Fall, denn der Ausdruck oder das Wort Ase, das ist sehr alt, schon belegt. Wir haben es also bei dem Historiker Jordanes bereits in der Völkerwanderungszeit belegt, dass die Goten, diese Gruppe der Anzis, der Asen gekannt hätten. Wir finden das Wort übrigens auch in einigen deutschen Personennamen: Ansgar oder Anselm. Da steht dieses Wort "Ase", früher "Anse" drin. Wir finden es dann eben wieder im skandinavischen Norden und da werden die Asen den Wanen gegenüber gestellt. Der Konflikt zwischen Asen und Wanen, von dem unsere Quellen erzählen, den kann man eben nicht sicher deuten. Wenn Sie einmal in populäre Lexika oder Nachschlagewerke, populäre Darstellungen der germanischen Religion reinschauen, dann werden Sie häufig zwei verschiedene Deutungen finden. Da gibt es einmal die Theorie, dass der Konflikt zwischen diesen beiden Göttergruppen einen realen historischen Konflikt zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen widerspiegelt. Dass es also eine alteingesessene bäuerliche Bevölkerung gegeben habe, die die Wanen verehrt habe, und dass dann eine kriegerische, zugewanderte Bevölkerung dazu gekommen sei, die die Asen verehrt habe, und dass die Erzählung vom Konflikt zwischen Asen und Wanen in Wirklichkeit sozusagen diesen Konflikt zwischen diesen beiden Bevölkerungsschichten widerspiegelt. Dann gibt es noch eine Theorie dazu, die besagt: wir finden zu diesem Konflikt Asen und Wanen in anderen indogermanischen Überlieferungen Parallelen. Und da gibt es eben nun die Theorie, die besagt: der Konflikt zwischen Asen und Wanen ist ein ganz alten mythisches Motiv, das schon in die indogermanische Zeit zurückreicht, so dass wir also davon ausgehen müssen, dass dieser Konflikt sich auf Verhältnisse bezieht, die lange, lange vor der germanischen Zeit bestanden haben.
Achenbach: Also, das, was man über die Ermittlung der Sprache, den Zusammenhang der Sprachfamilien der indoeuropäischen Sprachen als verbindende Linie sehen kann, das kann man nicht unbedingt so auf die Religion übertragen.
Maier: Man kann so etwas wie eine indogermanische Grammatik, einen indogermanischen Wortschatz in Grenzen und eine indogermanische Lautlehre rekonstruieren. Ich glaube nicht, dass man eine indogermanische Mythologie oder eine indogermanische Gesellschaftsordnung rekonstruieren kann.
Achenbach: Wenn wir über die Götterwelt der Germanen reden, dann gibt es im historischen Material, was uns zur Verfügung steht, einige Namen, die ganz besonders herausgehoben werden, die immer wieder vorkommen. Auch wenn die Bezeichnung für diese Götter, die wahrscheinlich identisch sind, im nordgermanischen und südgermanischen Raum unterschiedlich ausfallen, kann man doch einen bestimmten Göttertypus erkennen. Zum Beispiel trifft das zu bei Gott Odin im nordgermanischen Bereich, der dann im südgermanischen Bereich dann gerne als Wotan oder Wodan bezeichnet wird.
Maier: Der Gott Odin/ Wodan, das ist einer der ganz prominenten Götter in unserer Überlieferung, über den man relativ viel sagen kann. Das ist allerdings auch eine Göttergestalt, die sich im Laufe der Zeit durchaus gewandelt hat, so dass also die verschiedenen Züge dieser Gestalt, die wir in unseren Quellen finden, die liegen nicht alle auf einer Ebene, sondern das spiegelt zum Teil eine historische Entwicklung wider. Der Gott Odin, das ist ein Gott, der auch eben über den skandinavischen Raum hinaus verbreitet gewesen ist – mit Sicherheit. Man sieht es daran, dass wir ihn eben auch auf dem Kontinent in der angelsächsischen Überlieferung in der Form Wodan, beziehungsweise Woden, überliefert finden. Die Bezeichnung Wotan – nebenbei bemerkt mit "t" – das ist eine neuzeitliche Form, die viel mit Richard Wagner zu tun hat, aber die man in den Texten selber so nicht wieder findet, die sich aber eben trotzdem hierzulande eingebürgert hat. Über diesen Gott kann man dann auch schon aufgrund seines Namens etwas sagen. Das hat wahrscheinlich zu tun mit unserem deutschen Wort "Wut". Jetzt nicht im Sinne der spontanen Gefühlsregung, sondern im Sinne vermutlich der Ekstase, des Außer-sich-seins, eines Zustands, den man beispielsweise beim Krieger in bestimmten Situationen voraussetzt – die Kampfeswut – oder auch eines Zustands, den man beim Dichter voraussetzt. Der Dichter ist ja nicht jemand, der aus Neigung und Gelegenheit mal eben dichtet, wenn es ihm in den Sinn kommt, sondern in diesen alten Kulturen wird häufig vorausgesetzt, dass der Dichter in gewisser Weise besessen ist und in einem besonderen Erregtheitszustand seine Verse komponiert. Und Odin ist eben auch in den uns erhaltenen Texten zum einen der Gott der Dichter. Man muss vielleicht dazu sagen, wir wissen eben deswegen wohl auch so viel über ihn, weil so viele Quellen aus dieser Schicht stammen. Diese Texte sind von Dichtern für Dichter gemacht und deswegen spielt dieser Gott eine so große Rolle.
Achenbach: Man könnte also sagen, es könnte sich um eine Art Hauptgott in der führenden Herrschaftsschicht gehandelt haben.
Maier: Ja, er ist einerseits eben der Gott der Dichter. Er ist aber auch der Gott der Krieger, der Fürsten und spielt in dieser Funktion auch eine wichtige Rolle. Der Name ist – nebenbei bemerkt – in anderen nicht-germanischen Sprachen so nicht belegt. Es handelt sich also aller Wahrscheinlichkeit nach um keinen Gott, zu dem in anderen Kulturen ganz, ganz enge Parallelen feststellbar wären.
Achenbach: Das sieht anders aus bei dem Gott Donar oder Thor – auch ein Gott aus dem eher nordgermanischen Bereich, der sozusagen der Kraftmeier unter den Göttern ist. Ein ganz populäre Figur, der Gott, der mit dem Hammer auftritt und dann gleichzeitig doch daran erinnert, zum Beispiel an Jupiter, Tonans und an andere Gottheiten aus der indoeuropäischen Götterwelt, zum Beispiel bei den Römern.
Maier: Ja, ich denke da kann man durchaus einen Unterschied sehen. Auch allein schon sprachlich. Der Gott taucht also auf, eben im kontinentalen Bereich unter dem Namen Donar und dann im altnordischen in Skandinavien als For oder eben, wie wir das sagen Thor. Das ist ein und derselbe Name. Und der findet auch eine ganz enge Parallele im Keltischen, der dann mit dem römischen Jupiter, als Himmelsgott, als Herr des Blitzes und des Donners verehrt wurde. Und Sie können diese sprachliche Gleichung auch noch ganz schön nachvollziehen, wenn Sie sich die Wochentagsnamen anschauen. Der Donnerstag, unser Donnerstag, ist der Tag des Gottes Donar. Das ist im Französischen der Jeudi, der Tag des Gottes Jovis oder Jupiter. Für Odin kann man das – nebenbei bemerkt – auch machen. Der Mittwoch ist uns ganz profan der Mittwoch im Deutschen. Aber er ist im Englischen noch der Wednesday, also der Wodanstag. Das ist eben auch im Lateinischen der Dies mercurii, der Tag des Gottes Merkur, weil man Wodan und Merkur miteinander identifiziert hat.
Achenbach: Da haben wir zwei Gottheiten, zwei führende Gottheiten kann man so sagen, wenn man überhaupt von einer Hierarchie ausgehen kann, angesprochen, die man beide, wenn man die Göttergruppen aufteilt, zu den sogenannten Asen zählt, also den Gottheiten, die eher als Kriegsgottheiten verstanden werden. Eine andere bedeutende Figur ist Freyr und er gehört zu den Göttern der Wanen, also zu dem Bereich, den man normalerweise als die Gottheiten der Fruchtbarkeit und der Vegetation bezeichnet.
Maier: Es gibt hier ein Geschwisterpaar, Freyr und Freya, die auch den gleichen Namen im Wesentlichen tragen. Dieser Name bedeutet übrigens ursprünglich Herr und Herrin. Im Deutschen haben wir das Wort ja auch, zumindest in der weiblichen Form das Wort Frau, das ist ursprünglich Herrin, und das männliche Gegenstück dazu das kennen Sie noch in Wörtern wie Frondienst – Herrendienst, Fronleichnam – der Leichnam des Herren, das hat sich das noch erhalten aus dem Althochdeutschen.
Achenbach: Und auch hier wieder eine Entsprechung zum Wochentag – der Freitag.
Maier: Der Freitag. Der Freitag wäre lateinisch Dies Veneris, der Göttin Venus. Und dann eben im germanischen Bereich dazu der Tag der Göttin Freya. Diese Götter sind wohl in einem breiten Sinn, in einem allgemeinen Sinn als Fruchtbarkeitsgottheiten zu verstehen.
Achenbach: Im Zusammenhang mit Freya wird ja auch häufiger vom sogenannten Königsopfer gesprochen. Es gibt mehrere Quellen, in denen es Überlieferungen gibt, dass ein König im Zusammenhang mit einer Missernte zum Beispiel hingerichtet wurde, das heißt also geopfert wurde, weil man die Schuld dem König wahrscheinlich übertragen hat und durch dieses Opfer dann auch wieder den Gott Freya oder die Götter generell gut stimmen wollte. Diese Königsopfer-Tradition kommt an einigen Stellen vor, nicht nur im Bereich der Nordgermanen oder Südgermanen. Welche Bedeutung hat sie überhaupt in der Religionsgeschichte?
Maier: Man hat in der Forschung lange Zeit darüber gestritten, wie das Königtum bei den Germanen legitimiert war. Wenn Sie sich die ganz alten Bücher zu diesem Thema anschauen, aus dem frühen, mittleren 19. Jahrhundert, da geht man davon aus, dass es sich hier um ein Problem der Rechtsgeschichte handelt, dass also einfach die Frage ist, wie ist Herrschaft organisiert, wie ist sie legitimiert. Man hat dann allerdings im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder behauptet: das germanische Königtum war ein Sakralkönigtum, der König ist eine Art Priesterkönig gewesen, der dann auch eben, wie Sie sagen, geopfert werden konnte. Was man für ein germanisches "Sakralkönigtum" geltend machen könnte, das ist vielleicht die Überlieferung von der göttlichen Abstammung der Könige, dass also sich die einzelnen Königshäuser auf einen göttlichen Ahnen zurückführen.
Achenbach: Also grundsätzlich kann man wohl zur germanischen Götterwelt sagen, dass es auch nie darum ging mit diesen Göttergestalten moralische Vorbilder vorzustellen.
Maier: Nein, das ist sicherlich nicht so gewesen. Das ist natürlich auch etwas, was beispielsweise in der klassischen Antike so nicht gewesen ist. Die vor-sokratischen Philosophen im 6., im 5. Jahrhundert haben ja gerade Homer deswegen angegriffen, weil diese Götter keine moralischen Vorbilder seien, aber doch bitte schön eigentlich hätten sein sollen. Das ist ja ein Vorwurf, den man da schon findet und den dann natürlich auch das Christentum gerne aufgegriffen hat. Man hat den antiken Polytheismus ja auch wegen seiner fehlenden ethischen Qualifikation angegriffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.