Die Auffassungen im Judentum, Islam und Christentum sind meist strikt: keine aktive Sterbehilfe, kein assistierter Suizid! Auch dass es sich Vereine zur Aufgabe gemacht haben, Menschen bei der Selbsttötung zu unterstützen, dürfe die Politik nicht hinnehmen. Doch es gibt auch Gegenströmungen
Der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, fordert ein striktes Verbot jeglicher Sterbehilfe, der FDP Politiker Wolfgang Kubicki dagegen hält die Option einer erlaubten Suizid-Begleitung in bestimmten Fällen für unverzichtbar. Doch die Positionen zur Sterbehilfe verlaufen nicht entlang von Parteigrenzen. Im Gegenteil, sagt Kerstin Griese, Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.
"Ich gehe fest davon aus, dass wir einen Gesetzesantrag dazu bekommen werden, der wird dann ein Gruppenantrag sein, das heißt, nicht eine Fraktion wird sagen, das ist die Fraktionsmeinung und alle werden mitstimmen, sondern gerade bei Fragen von Anfang und Ende des Lebens haben wir eine gute Tradition im Deutschen Bundestag, sie als Gewissensfragen zu behandeln, fraktionsübergreifende Gruppenanträge zu erarbeiten, und daran werde ich mich mit Sicherheit auch beteiligen."
Abgeordnete entscheiden meist aus starker Überzeugung
Griese will sich für einen Gruppenantrag einsetzen, der die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid, wie sie einige Vereine auch in Deutschland anbieten, ausschließt. Manchen Mitgliedern des Bundestages wird das zu weit gehen, andere dagegen werden noch striktere Verbote fordern. Doch ganz gleich, welche Positionen einzelne Abgeordnete einnehmen, sie entscheiden meist aus starker Überzeugung. Das sei kein Wunder, sagt der Leiter des Instituts für vergleichende Ethik an der Freien Universität Berlin, der Philosoph und Theologe Michael Bongardt.
"Diese Frage, wie gehen wir mit dem Leben und dem Tod von Menschen, und damit auch mit dem Leben und Tod von uns selber um, die ist so fundamental, dass man auch gar nicht anders kann, als in dieser Diskussion auf sehr fundamentale Überzeugungen zurückzugreifen, und diese Überzeugungen sind in der Tat in dieser Frage nicht nur unterschiedlich, sondern zum Teil auch gegensätzlich."
Auch für Zouhair Halabi ist die Frage nach der Sterbehilfe fundamental. Die Selbsttötung würde im Islam genauso abgelehnt wie der assistierte Suizid, betont der Vorsitzende des Islamforums Düren. Das Leben sei ein Geschenk Gottes, über dessen Ende nicht der Mensch zu entscheiden habe – auch wenn im Alter Krankheit und Leid drohten.
"Der Mensch möchte gerade am Ende seines Lebens keine Sünde vorgehen, von dieser Seite habe ich noch nie erlebt, dass ein Moslem, egal ob ein praktizierter Moslem oder nicht, doch darauf besteht und diesen Wunsch tatsächlich haben möchte."
Große Religionsgemeinschaften lehnen aktive Sterbehilfe ab
Halabi, der für den Zentralrat der Muslime eine Stellungnahme zum Thema Sterbehilfe verfasst hat, ist seit über 20 Jahren niedergelassener Arzt mit den Schwerpunkten Onkologie und Palliativmedizin. Die Palliativmedizin lindere nicht nur körperliche Schmerzen, unterstreicht er, sondern biete unheilbar Kranken auch psychologische und spirituelle Unterstützung an. Halabis Patienten sind zum größten Teil Nicht-Muslime, doch der Wunsch, nach Beihilfe zum Suizid sei bislang nur einmal an ihn herangetragen worden.
"Nach dem Gespräch mit dem betroffenen Patienten und seiner Familie und einem guten Angebot von Behandlung ist der Patient nach drei Tagen natürlich gestorben, und die Familie war nachher sehr zufrieden, dass wirklich in dieser sehr schwierigen Situation geholfen werden konnte und es nicht unbedingt zu diesem Schritt gekommen ist. Und heute, nach etwa 15 Jahren, kommt seine Frau zu mir und sagt: Gott sei Dank, dass wir damals diesen Schritt nicht gemacht haben, weil sonst hätten wir lebenslang Schuldgefühle gehabt."
Wie der Islam so lehnen auch das Judentum und die beiden christlichen Kirchen aktive Sterbehilfe ab. Suizid ist in Deutschland genauso wenig strafbar wie die Beihilfe dazu, doch die Tatsache, dass es sich Vereine zur Aufgabe gemacht hätten, Menschen bei der Selbsttötung zu unterstützen, dürfe die Politik nicht hinnehmen, warnt der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Martin Dutzmann.
"Das halten wir für außerordentlich schwierig, weil wir erstens der Auffassung sind, dass wir nicht über das Leben von Menschen zu verfügen haben, und weil wir zweitens befürchten, dass es einen Druck geben könnte auf sterbenskranke Menschen, die dann sagen, komm hilf mir zum Suizid, damit ich anderen nicht länger zur Last falle."
Ehtiker: Brauchen offene und ernsthafte Debatte
"Diese Sorgen kann ich sehr gut verstehen, ich teile sie zum Teil auch. Dann wird entweder aus irgendwelchen Gründen, weil die Kranken sonst zu teuer sind, oder was immer da an Motiven hinter stehen kann, weil man sie in der Gesellschaft nicht mehr haben will, dass dann diese Assistenz zu einer gewollten Selbsttötung mehr und mehr zu einer Überredung wird, diese Möglichkeiten zu nutzen usw.: Wie kannst du es verantworten, dass wir so viel Geld für dich ausgeben, um dich hier am Leben erhalten, während woanders Menschen verhungern!"
In der Abtreibungsdebatte, so Ethiker Bongardt, seien solche Vorwürfe längst weit verbreitet. Eltern, die sich dafür entschieden, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, stünden heute oft unter einem massiven Druck, ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Dennoch gebe es im ethischen Diskurs über den Suizid auch Strömungen, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen.
"Es gibt schon recht früh, in Zeiten der Aufklärung, in Zeiten, in denen sich die Ethik von ihren religiösen Vorgaben löste, gibt es eine Richtung, die gerade in dem Recht, über das Ende des eigenen Lebens zu entscheiden, einen Kernpunkt menschlicher Autonomie und Selbstbestimmung sah. Es gibt in der jüngeren Philosophiegeschichte eine ganze Reihe von Beispielen, wo Philosophen sehr dezidiert dafür eintreten, dass gerade darin die Freiheit des Menschen besteht, dass er auch über das Ende seines Lebens bestimmen kann."
Doch es sind nicht nur Philosophen, die für dieses Selbstbestimmungsrecht eintreten. Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat erst kürzlich eine Umfrage zu aktiver Sterbehilfe in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Gut zwei Drittel der über tausend Befragten befürworten die Tötung unheilbar kranker Menschen, wenn diese es wollen, zum Beispiel durch die Verabreichung eines tödlichen Medikaments.
Michael Bongardt ist überzeugt, dass es gerade jetzt eine offene und ernsthafte Debatte über das Thema brauche. Eine gesetzliche Regelung müsse Gewissensentscheidungen ermöglichen und gleichzeitig enge Grenzen setzen, um die Gefahr des Missbrauchs so weit wie möglich auszuschließen.
"Und das heißt für mich, ich kann mir unter den Bedingungen heutiger Gesellschaft auf der einen Seite nicht vorstellen, dass man die sehr strikten Regelungen der Religionen zum allgemeinen Gesetz macht. Es darf aber umgekehrt auch nicht sein, dass eine offenere Regelung der Gesetze dazu führt, dass Menschen, die strengere Vorstellungen haben, umgekehrt daran gehindert werden – direkt oder indirekt -, so zu leben und zu sterben, wie sie es auch für sich für richtig halten."