Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt ganz herzlich Matthias Katsch, er ist ehemaliger Schüler am Canisius-Kolleg und Mitbegründer der Betroffenengruppe "Eckiger Tisch". Guten Morgen, Herr Katsch!
Matthias Katsch: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Herr Katsch, Sie sind selbst Betroffener sexuellen Missbrauchs während Ihrer Zeit am Canisius-Kolleg gewesen. Was haben Sie erleben müssen?
Katsch: Ich hatte das Pech, mit den beiden Haupttätern am Canisius-Kolleg zu tun zu haben, es ist massiv in meine Sexualität eingegriffen worden und ich bin von einem Sadisten gequält worden, wie viele Kinder und Jugendliche auch.
Heckmann: Wie sind Sie damit umgegangen, war das über all die Jahre bei Ihnen präsent oder haben Sie es verdrängt?
Katsch: Es war immer da, aber es war wie so durch eine gläserne Wand vom Bewusstsein getrennt, also, man hat sein Leben weitergelebt, versucht, das in den Griff zu bekommen und irgendwann hatte man es nicht mehr präsent und hat auch nicht gemerkt, was für Verheerungen das im eigenen Leben anrichtet. Man hat das nicht zusammengebracht, Ursache und Wirkung.
Heckmann: Sie haben sich dann aber an die Schule gewendet und mit dafür gesorgt, dass das Thema an die Öffentlichkeit gekommen ist. Was war für Sie der Anlass dafür?
Katsch: Das ist immer noch ein Rätsel für uns selber. Vielleicht hat es etwas mit der Biografie zu tun, wenn man in den mittleren Jahren ist, ich bin jetzt 47, blickt man zurück und merkt, da stimmt irgendetwas nicht in deinem Leben. Dann fängt man an, mit anderen darüber zu sprechen. Ich erinnere das eine oder andere Klassentreffen, was es gab, und ja, irgendwann war klar: Es jetzt zurücklegen und nicht mehr angucken geht nicht mehr, man muss damit was tun. Und der Punkt war im Herbst letzten Jahres erreicht.
Heckmann: Und wie hat die Schule reagiert?
Katsch: Wir haben uns im Januar mit dem Rektor Pater Mertes getroffen und haben ihn davon informiert, dass wir davon ausgehen, dass allein am Canisius-Kolleg eine dreistellige Zahl an Betroffenen vorliegen müsste aus den 70er- und 80er-Jahren und ihn gebeten und aufgefordert, einen Brief zu schreiben oder sich sonst in geeigneter Form an die Ehemaligen zu wenden. Das hat er dann ja auch getan, mit den bekannten Folgen, die Sie gerade in dem Rückblick auch noch mal uns vor Augen geführt haben.
Heckmann: Er hat dieses Schreiben aufgesetzt und auch verschickt, er hat sich darin entschuldigt im Namen seines Ordens und auch radikale Aufklärung angekündigt. Damit hat er sich hohe Verdienste erworben?
Katsch: Ich habe immer gesagt: Es war sehr klug von ihm, so zu handeln. Es war verdienstvoll, glaube ich, der Satz, den Sie auch zitiert haben, dass er gesagt hat: 'Wir glauben Euch'. Das ist tatsächlich ein qualitativer Unterschied gewesen zu vielen anderen Ländern, wo es jahrelang erst Auseinandersetzungen darüber gab, dass die Kirche überhaupt akzeptiert, dass die Dinge so geschehen sind, wie die Betroffenen es berichten. Das war schon ein enorm wichtiger Satz.
Heckmann: Haben Sie auch Hilfe angeboten bekommen?
Katsch: Alles, was wir bisher erhalten haben, haben wir uns sozusagen selber organisieren müssen. Es gibt sehr pauschale Angebote, dann zu helfen, wenn die Krankenkassen nicht einspringen. Aber das bedeutet im Prinzip, dass jeder dann doch später zu seinem Hausarzt rennen muss und sagen muss, passen Sie auf, so und so. Das ist nicht das, was wir uns unter Hilfe vorgestellt haben nach 30 Jahren.
Heckmann: Aufklärung ist das eine, Prävention das andere. Haben Sie den Eindruck, dass auf diesem Feld die nötigen Konsequenzen gezogen worden sind?
Katsch: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Ich bin nicht in den Schulen drin. Ich habe schon das Gefühl, dass sich da viel verändert hat, aber das hat vor allem, glaube ich, zu tun mit der allgemeinen gesellschaftlichen Veränderung in den letzten Jahrzehnten. Als ich missbraucht wurde 1977 hätte ich nicht mal ein Wort dafür gehabt, um das zu beschreiben, was mir passiert ist. Ich hoffe und vertraue eigentlich, dass Kinder und Jugendliche heutzutage da stärker sind und auch die Gesellschaft einfach wacher ist und auf solche Signale achtet, die es ja auch damals gab, aber die damals überhört worden sind.
Heckmann: Zur Aufarbeitung, Herr Katsch, gehört auch Entschädigung. Weshalb ist die so wichtig?
Katsch: Weil eine Entschuldigung – und wir haben viele Entschuldigungen bekommen seit dieser ersten von Pater Mertes –, weil eine Entschuldigung schal bleibt, wenn sie nicht mit einer Sühne verbunden ist. Um es altmodisch zu sagen: Sie ist wohlfeil. Und deswegen gehört Entschuldigung und Entschädigung – wir sagen lieber Genugtuung – zusammen, weil den Schaden kann man nicht beseitigen, der ist schon angerichtet.
Heckmann: Aber bisher ist noch keine Entschädigung geflossen. Man verweist vonseiten des Ordens auf den Runden Tisch, der in Berlin tagt.
Katsch: Ja, das ist für uns zusehends ein Ärgernis, diese ganze Konstruktion ist überaus fragwürdig gewesen. Ich meine, wenn man das ein bisschen verfolgt hat, war klar, dass da der Versuch unternommen wurde, der katholischen Kirche beizuspringen, indem man die größtmögliche Versammlung von Menschen an einen Runden Tisch holt, die irgendwie mit dem Thema sexueller Missbrauch in dieser Gesellschaft zu tun haben. Das ist alles sehr gut und wichtig, was da getan wird, nur: Es hilft uns hier nicht weiter. Die Taten sind klar, die Täter sind klar, es ist klar, wer vertuscht hat. Seit dem Bericht von Frau Fischer wissen wir, wie die Verantwortungsstränge gelaufen sind, die gehen bis nach Rom. Das ist alles klar und liegt auf dem Tisch, es gibt keinen Grund, warum die heutigen Verantwortlichen sich nicht durchringen können zu einer Entschädigungsregelung, zu einer großzügigen finanziellen Genugtuung.
Heckmann: Herr Katsch, ich danke Ihnen erst mal an dieser Stelle, wir kommen gleich noch mal auf Sie zurück. Mitgehört hat auf der anderen Leitung Pater Stefan Dartmann, er ist sozusagen der oberste Jesuit in Deutschland und stellt sich hier im Deutschlandfunk dem Interview. Guten Morgen, Herr Dartmann!
Stefan Dartmann: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Dartmann, haben Sie eine Erklärung dafür, dass so lange weggeschaut wurde? Denn Hinweise – das haben ja die Untersuchungsberichte gezeigt –, die gab es genug. Haben auch Sie selbst sich Vorwürfe zu machen in dieser Hinsicht?
Dartmann: Ich glaube, wir haben in dem letzten halben Jahr alle sehr viel dazugelernt. Wir haben auch dank der Berichte von Frau Raue und Frau Fischer gesehen, wie diese Strategien des Schweigens und Verschweigens bei uns gelaufen sind. Da sind in der Tat viele Hinweise überhört worden, da ist in der Tat das Ansehen der Institution immer wichtiger gewesen als der Gedanke an die Opfer. In den 80er-Jahren schon kommt in den entsprechenden Berichten über Vorfälle nichts von diesem Gedanken an die Opfer vor.
Heckmann: Ich habe in der Wochenzeitung "Die Zeit" gelesen, Sie sollen bei der letzten Klausur Ihres Ordens die Wendung geprägt haben: "Ich bin ein Täter". Also noch mal die Frage: Haben Sie sich selbst auch Vorwürfe zu machen?
Dartmann: Das ist ein sehr aus dem Zusammenhang gerissenes und wahrscheinlich sogar völlig falsches Zitat gewesen. Worum es damals ging, war, zu sagen: Es gibt nicht einfach ein Wir zwischen Opfern und Tätern, und sondern als Provinzial repräsentiere ich hier die Täterseite, und das muss deutlich werden auch. Deswegen bin ich auch überhaupt bereit sozusagen, die Aggressionen der Opfer der damaligen Zeit heute an mir sozusagen auch entgegenzunehmen.
Heckmann: Ich habe ja gerade eben Herrn Katsch gefragt, was für einen Eindruck er hat auf dem Feld der Prävention, ob da entsprechende Konsequenzen gezogen worden sind. Er hat gesagt, er hat da noch nicht so einen richtigen Einblick. Was haben Sie denn getan, um Missbrauchsfälle für die Zukunft – möglichst zumindest – auszuschließen?
Dartmann: Also, da ist eine - fast hätte ich gesagt - fibrille Aktivität an allen Schulen da, wobei ich hier mal sagen möchte: Die Welt der Schulen heute, auch der verbandlichen Jugendarbeit, ist ja eine ganz andere als die der 80er-Jahre. Trotzdem: Es gibt an einigen Schulen schon ganz fertig ausgearbeitete Präventionspläne, die mir jetzt auch zugeschickt worden sind, die mit allen möglichen Instanzen, auch solchen wie "Innocence in Danger", und Experten ausgearbeitet worden sind. Die werden in Kraft gesetzt und sind teilweise schon dabei, umgesetzt zu werden. Also, da ist, glaube ich, geschieht sehr vieles und das ist natürlich auch dank dieser Ereignisse der letzten Monate.
Heckmann: Entschädigung ist vielleicht nicht das Wichtigste, aber sie ist wichtig. Die Betroffenen, die wollen ernst genommen werden. Bisher aber versteckt sich der Jesuitenorden hinter dem Runden Tisch in Berlin, obwohl die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer beispielsweise, die eben schon erwähnt wurde und einen Bericht erstellt hatte, gesagt hatte, es stünde dem Orden gut an, auch auf diesem Feld voranzugehen.
Dartmann: Gut, zunächst mal – gerade Andrea Fischer hat auch den Hinweis gegeben, dass sie es eben nicht für eine Verzögerungstaktik der Jesuiten hält, sondern dass eine gemeinsame Entschädigungslösung eigentlich der Logik des Runden Tisches entspricht, so hat sie das formuliert. Und ich würde auch noch meinen: Es ist gut und richtig, dass wir uns auf eine Lösung auf breiter Basis einsetzen. Wobei, es geht mir eigentlich gar nicht um den ... darum, einfach den Runden Tisch abzuwarten oder vorzuschieben, sondern es geht darum, erst einmal in der katholischen Kirche, das heißt, bei den Orden und bei den Bischöfen, doch so etwas wie eine gemeinsame Position zu erreichen. Das ist noch bei Weitem nicht der Fall. Es gibt ja, das haben Sie vielleicht auch in Erinnerung, Leute oder Bischöfe beziehungsweise auch Ordensgemeinschafen, die von Anfang an sehr, sehr, sehr restriktiv waren, überhaupt das Thema Entschädigung aufzunehmen.
Heckmann: Was hindert Sie denn daran, jetzt denn doch schon mal ein Signal zumindest zu geben?
Dartmann: Ich glaube, das Signal, das wir gegeben haben, ist genau das: Wir wollen an einer Regelung arbeiten und wir sind daran, und wir sind in diesen Wochen, also vor der ersten Sitzung des Runden Tisches, dabei, uns eine Position zu erarbeiten. Mein Wunsch wäre eher, dass die Bundesregierung darauf schaut, dass das Thema Entschädigung nicht erst in der letzten Sitzung dieses Jahres im Dezember auf die Tagesordnung kommt, sondern wirklich schon im September. Ich verstehe die Ungeduld der Opfer.
Heckmann: Am Telefon geblieben ist Matthias Katsch, der ehemalige Schüler am Canisius-Kolleg. Herr Katsch, was sagen Sie zu den Ausführungen von Herrn Dartmann?
Katsch: Ich bin froh, dass er das noch mal wiederholt, dass es eine Entschädigung geben wird und dass er an Regelungen arbeiten wird, und ich kann ihm nur zurufen: Seien Sie diesmal wirklich mutig und gehen Sie voran, warten Sie nicht, bis andere Ihnen da Konzepte vorlegen, sondern es gibt hier ein klares Wir und Sie, und wir warten darauf, dass Sie mit einem Vorschlag kommen.
Heckmann: Heute vor genau einem halben Jahr sind die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin bekannt geworden. Wir haben über die Konsequenzen gesprochen mit Matthias Katsch, dem Mitbegründer der Betroffenengruppe "Eckiger Tisch" und mit Pater Stefan Dartmann, dem ersten Provinzial der vereinten Deutschen Provinz des Jesuitenordens, damit oberster Jesuit in Deutschland. Herr Katsch, Herr Dartmann, ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, hier ins Gespräch zu treten!
Dartmann: Danke schön, Herr Heckmann!
Katsch: Danke!
<u>Weitere Links zum Thema bei dradio.de:</u>
"Die katholische Kirche fürchtet den Kollaps" - Theologe Drewermann über die Krise des Priesteramtes
"Ich bin sehr dankbar für die Klarheit" - Regionaldechant Teng über den Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen
Zollitsch: "Wir sind an einer gerichtlichen Klärung interessiert" - DBK-Vorsitzender: Kirche arbeitet konstruktiv mit der Staatsanwaltschaft zusammen
Drewermann kritisiert Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsvorwürfen
Kirchen-Kritiker: Zölibat ist ein Hauptproblem (DKultur)
Nach dem Hirtenbrief
Der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauch (DLF) *
Matthias Katsch: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Herr Katsch, Sie sind selbst Betroffener sexuellen Missbrauchs während Ihrer Zeit am Canisius-Kolleg gewesen. Was haben Sie erleben müssen?
Katsch: Ich hatte das Pech, mit den beiden Haupttätern am Canisius-Kolleg zu tun zu haben, es ist massiv in meine Sexualität eingegriffen worden und ich bin von einem Sadisten gequält worden, wie viele Kinder und Jugendliche auch.
Heckmann: Wie sind Sie damit umgegangen, war das über all die Jahre bei Ihnen präsent oder haben Sie es verdrängt?
Katsch: Es war immer da, aber es war wie so durch eine gläserne Wand vom Bewusstsein getrennt, also, man hat sein Leben weitergelebt, versucht, das in den Griff zu bekommen und irgendwann hatte man es nicht mehr präsent und hat auch nicht gemerkt, was für Verheerungen das im eigenen Leben anrichtet. Man hat das nicht zusammengebracht, Ursache und Wirkung.
Heckmann: Sie haben sich dann aber an die Schule gewendet und mit dafür gesorgt, dass das Thema an die Öffentlichkeit gekommen ist. Was war für Sie der Anlass dafür?
Katsch: Das ist immer noch ein Rätsel für uns selber. Vielleicht hat es etwas mit der Biografie zu tun, wenn man in den mittleren Jahren ist, ich bin jetzt 47, blickt man zurück und merkt, da stimmt irgendetwas nicht in deinem Leben. Dann fängt man an, mit anderen darüber zu sprechen. Ich erinnere das eine oder andere Klassentreffen, was es gab, und ja, irgendwann war klar: Es jetzt zurücklegen und nicht mehr angucken geht nicht mehr, man muss damit was tun. Und der Punkt war im Herbst letzten Jahres erreicht.
Heckmann: Und wie hat die Schule reagiert?
Katsch: Wir haben uns im Januar mit dem Rektor Pater Mertes getroffen und haben ihn davon informiert, dass wir davon ausgehen, dass allein am Canisius-Kolleg eine dreistellige Zahl an Betroffenen vorliegen müsste aus den 70er- und 80er-Jahren und ihn gebeten und aufgefordert, einen Brief zu schreiben oder sich sonst in geeigneter Form an die Ehemaligen zu wenden. Das hat er dann ja auch getan, mit den bekannten Folgen, die Sie gerade in dem Rückblick auch noch mal uns vor Augen geführt haben.
Heckmann: Er hat dieses Schreiben aufgesetzt und auch verschickt, er hat sich darin entschuldigt im Namen seines Ordens und auch radikale Aufklärung angekündigt. Damit hat er sich hohe Verdienste erworben?
Katsch: Ich habe immer gesagt: Es war sehr klug von ihm, so zu handeln. Es war verdienstvoll, glaube ich, der Satz, den Sie auch zitiert haben, dass er gesagt hat: 'Wir glauben Euch'. Das ist tatsächlich ein qualitativer Unterschied gewesen zu vielen anderen Ländern, wo es jahrelang erst Auseinandersetzungen darüber gab, dass die Kirche überhaupt akzeptiert, dass die Dinge so geschehen sind, wie die Betroffenen es berichten. Das war schon ein enorm wichtiger Satz.
Heckmann: Haben Sie auch Hilfe angeboten bekommen?
Katsch: Alles, was wir bisher erhalten haben, haben wir uns sozusagen selber organisieren müssen. Es gibt sehr pauschale Angebote, dann zu helfen, wenn die Krankenkassen nicht einspringen. Aber das bedeutet im Prinzip, dass jeder dann doch später zu seinem Hausarzt rennen muss und sagen muss, passen Sie auf, so und so. Das ist nicht das, was wir uns unter Hilfe vorgestellt haben nach 30 Jahren.
Heckmann: Aufklärung ist das eine, Prävention das andere. Haben Sie den Eindruck, dass auf diesem Feld die nötigen Konsequenzen gezogen worden sind?
Katsch: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Ich bin nicht in den Schulen drin. Ich habe schon das Gefühl, dass sich da viel verändert hat, aber das hat vor allem, glaube ich, zu tun mit der allgemeinen gesellschaftlichen Veränderung in den letzten Jahrzehnten. Als ich missbraucht wurde 1977 hätte ich nicht mal ein Wort dafür gehabt, um das zu beschreiben, was mir passiert ist. Ich hoffe und vertraue eigentlich, dass Kinder und Jugendliche heutzutage da stärker sind und auch die Gesellschaft einfach wacher ist und auf solche Signale achtet, die es ja auch damals gab, aber die damals überhört worden sind.
Heckmann: Zur Aufarbeitung, Herr Katsch, gehört auch Entschädigung. Weshalb ist die so wichtig?
Katsch: Weil eine Entschuldigung – und wir haben viele Entschuldigungen bekommen seit dieser ersten von Pater Mertes –, weil eine Entschuldigung schal bleibt, wenn sie nicht mit einer Sühne verbunden ist. Um es altmodisch zu sagen: Sie ist wohlfeil. Und deswegen gehört Entschuldigung und Entschädigung – wir sagen lieber Genugtuung – zusammen, weil den Schaden kann man nicht beseitigen, der ist schon angerichtet.
Heckmann: Aber bisher ist noch keine Entschädigung geflossen. Man verweist vonseiten des Ordens auf den Runden Tisch, der in Berlin tagt.
Katsch: Ja, das ist für uns zusehends ein Ärgernis, diese ganze Konstruktion ist überaus fragwürdig gewesen. Ich meine, wenn man das ein bisschen verfolgt hat, war klar, dass da der Versuch unternommen wurde, der katholischen Kirche beizuspringen, indem man die größtmögliche Versammlung von Menschen an einen Runden Tisch holt, die irgendwie mit dem Thema sexueller Missbrauch in dieser Gesellschaft zu tun haben. Das ist alles sehr gut und wichtig, was da getan wird, nur: Es hilft uns hier nicht weiter. Die Taten sind klar, die Täter sind klar, es ist klar, wer vertuscht hat. Seit dem Bericht von Frau Fischer wissen wir, wie die Verantwortungsstränge gelaufen sind, die gehen bis nach Rom. Das ist alles klar und liegt auf dem Tisch, es gibt keinen Grund, warum die heutigen Verantwortlichen sich nicht durchringen können zu einer Entschädigungsregelung, zu einer großzügigen finanziellen Genugtuung.
Heckmann: Herr Katsch, ich danke Ihnen erst mal an dieser Stelle, wir kommen gleich noch mal auf Sie zurück. Mitgehört hat auf der anderen Leitung Pater Stefan Dartmann, er ist sozusagen der oberste Jesuit in Deutschland und stellt sich hier im Deutschlandfunk dem Interview. Guten Morgen, Herr Dartmann!
Stefan Dartmann: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Dartmann, haben Sie eine Erklärung dafür, dass so lange weggeschaut wurde? Denn Hinweise – das haben ja die Untersuchungsberichte gezeigt –, die gab es genug. Haben auch Sie selbst sich Vorwürfe zu machen in dieser Hinsicht?
Dartmann: Ich glaube, wir haben in dem letzten halben Jahr alle sehr viel dazugelernt. Wir haben auch dank der Berichte von Frau Raue und Frau Fischer gesehen, wie diese Strategien des Schweigens und Verschweigens bei uns gelaufen sind. Da sind in der Tat viele Hinweise überhört worden, da ist in der Tat das Ansehen der Institution immer wichtiger gewesen als der Gedanke an die Opfer. In den 80er-Jahren schon kommt in den entsprechenden Berichten über Vorfälle nichts von diesem Gedanken an die Opfer vor.
Heckmann: Ich habe in der Wochenzeitung "Die Zeit" gelesen, Sie sollen bei der letzten Klausur Ihres Ordens die Wendung geprägt haben: "Ich bin ein Täter". Also noch mal die Frage: Haben Sie sich selbst auch Vorwürfe zu machen?
Dartmann: Das ist ein sehr aus dem Zusammenhang gerissenes und wahrscheinlich sogar völlig falsches Zitat gewesen. Worum es damals ging, war, zu sagen: Es gibt nicht einfach ein Wir zwischen Opfern und Tätern, und sondern als Provinzial repräsentiere ich hier die Täterseite, und das muss deutlich werden auch. Deswegen bin ich auch überhaupt bereit sozusagen, die Aggressionen der Opfer der damaligen Zeit heute an mir sozusagen auch entgegenzunehmen.
Heckmann: Ich habe ja gerade eben Herrn Katsch gefragt, was für einen Eindruck er hat auf dem Feld der Prävention, ob da entsprechende Konsequenzen gezogen worden sind. Er hat gesagt, er hat da noch nicht so einen richtigen Einblick. Was haben Sie denn getan, um Missbrauchsfälle für die Zukunft – möglichst zumindest – auszuschließen?
Dartmann: Also, da ist eine - fast hätte ich gesagt - fibrille Aktivität an allen Schulen da, wobei ich hier mal sagen möchte: Die Welt der Schulen heute, auch der verbandlichen Jugendarbeit, ist ja eine ganz andere als die der 80er-Jahre. Trotzdem: Es gibt an einigen Schulen schon ganz fertig ausgearbeitete Präventionspläne, die mir jetzt auch zugeschickt worden sind, die mit allen möglichen Instanzen, auch solchen wie "Innocence in Danger", und Experten ausgearbeitet worden sind. Die werden in Kraft gesetzt und sind teilweise schon dabei, umgesetzt zu werden. Also, da ist, glaube ich, geschieht sehr vieles und das ist natürlich auch dank dieser Ereignisse der letzten Monate.
Heckmann: Entschädigung ist vielleicht nicht das Wichtigste, aber sie ist wichtig. Die Betroffenen, die wollen ernst genommen werden. Bisher aber versteckt sich der Jesuitenorden hinter dem Runden Tisch in Berlin, obwohl die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer beispielsweise, die eben schon erwähnt wurde und einen Bericht erstellt hatte, gesagt hatte, es stünde dem Orden gut an, auch auf diesem Feld voranzugehen.
Dartmann: Gut, zunächst mal – gerade Andrea Fischer hat auch den Hinweis gegeben, dass sie es eben nicht für eine Verzögerungstaktik der Jesuiten hält, sondern dass eine gemeinsame Entschädigungslösung eigentlich der Logik des Runden Tisches entspricht, so hat sie das formuliert. Und ich würde auch noch meinen: Es ist gut und richtig, dass wir uns auf eine Lösung auf breiter Basis einsetzen. Wobei, es geht mir eigentlich gar nicht um den ... darum, einfach den Runden Tisch abzuwarten oder vorzuschieben, sondern es geht darum, erst einmal in der katholischen Kirche, das heißt, bei den Orden und bei den Bischöfen, doch so etwas wie eine gemeinsame Position zu erreichen. Das ist noch bei Weitem nicht der Fall. Es gibt ja, das haben Sie vielleicht auch in Erinnerung, Leute oder Bischöfe beziehungsweise auch Ordensgemeinschafen, die von Anfang an sehr, sehr, sehr restriktiv waren, überhaupt das Thema Entschädigung aufzunehmen.
Heckmann: Was hindert Sie denn daran, jetzt denn doch schon mal ein Signal zumindest zu geben?
Dartmann: Ich glaube, das Signal, das wir gegeben haben, ist genau das: Wir wollen an einer Regelung arbeiten und wir sind daran, und wir sind in diesen Wochen, also vor der ersten Sitzung des Runden Tisches, dabei, uns eine Position zu erarbeiten. Mein Wunsch wäre eher, dass die Bundesregierung darauf schaut, dass das Thema Entschädigung nicht erst in der letzten Sitzung dieses Jahres im Dezember auf die Tagesordnung kommt, sondern wirklich schon im September. Ich verstehe die Ungeduld der Opfer.
Heckmann: Am Telefon geblieben ist Matthias Katsch, der ehemalige Schüler am Canisius-Kolleg. Herr Katsch, was sagen Sie zu den Ausführungen von Herrn Dartmann?
Katsch: Ich bin froh, dass er das noch mal wiederholt, dass es eine Entschädigung geben wird und dass er an Regelungen arbeiten wird, und ich kann ihm nur zurufen: Seien Sie diesmal wirklich mutig und gehen Sie voran, warten Sie nicht, bis andere Ihnen da Konzepte vorlegen, sondern es gibt hier ein klares Wir und Sie, und wir warten darauf, dass Sie mit einem Vorschlag kommen.
Heckmann: Heute vor genau einem halben Jahr sind die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin bekannt geworden. Wir haben über die Konsequenzen gesprochen mit Matthias Katsch, dem Mitbegründer der Betroffenengruppe "Eckiger Tisch" und mit Pater Stefan Dartmann, dem ersten Provinzial der vereinten Deutschen Provinz des Jesuitenordens, damit oberster Jesuit in Deutschland. Herr Katsch, Herr Dartmann, ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, hier ins Gespräch zu treten!
Dartmann: Danke schön, Herr Heckmann!
Katsch: Danke!
<u>Weitere Links zum Thema bei dradio.de:</u>
"Die katholische Kirche fürchtet den Kollaps" - Theologe Drewermann über die Krise des Priesteramtes
"Ich bin sehr dankbar für die Klarheit" - Regionaldechant Teng über den Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen
Zollitsch: "Wir sind an einer gerichtlichen Klärung interessiert" - DBK-Vorsitzender: Kirche arbeitet konstruktiv mit der Staatsanwaltschaft zusammen
Drewermann kritisiert Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsvorwürfen
Kirchen-Kritiker: Zölibat ist ein Hauptproblem (DKultur)
Nach dem Hirtenbrief
Der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauch (DLF) *