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Strichfiguren mit Pixelherz

Animierten Figuren begegnet man heute überall - in der Werbung, im Film natürlich bei Computerspielen. In Berlin hat gestern ein Festival begonnen, das sich Genre übergreifend mit diesen Figuren auseinandersetzt. Es heißt Pictoplasma und präsentiert neben einem umfangreichen Film- und Ausstellungsprogramm auch Workshops und eine Konferenz.

Von Oliver Kranz | 12.04.2012
    Ein Strichmännchen mit Aktentasche läuft durch New Yorker Straßenschluchten. Der Kurzfilm "Ein Morgenspaziergang" des Briten Grant Orchard war in diesem Jahr für einen Oscar nominiert. Nun läuft er im Pictoplasma-Filmprogramm. Die Einfachheit der Animation passt zum Festivalkonzept. Pictoplasma will zeigen, wie künstlich geschaffene Figuren lebendig werden. Komplizierte Technik interessiert die Festivalmacher nur am Rande.

    "Wir sind ein Animationsfestival - dann muss man aber auch verstehen, was Animation heißt. Das bedeutet ja nichts anderes, als Seele einhauchen - animer - das französische 'die Seele einhauchen' - darum geht es bei uns die ganze Zeit. Wir versuchen, uns Bilder anzuschauen, die leblos sind, flach, grafisch. Aber alle doch eine Persönlichkeit haben. Und dieser Moment, wenn der Betrachter sich dieses Bild anschaut oder die Installation, das Gemälde, was auch immer es sein mag, und tatsächlich eine Figur darin erkennt, eine Persönlichkeit, das ist die Animation."

    Peter Thaler hat das Pictoplasma-Festival gemeinsam mit Lars Denicke vor neun Jahren erfunden. Präsentiert werden nicht nur Filme, sondern auch Bildideen, die in anderer Form vorliegen - als Zeichnung, Gemälde, Skulptur oder Rauminstallation. Entscheidend ist das Character Design - auf Deutsch die Linienführung, die der dargestellten Figur einen Charakter verleiht und sie so in gewisser Weise lebendig macht. Es werden Künstler eingeladen, die auf einer Konferenz über ihre Kreationen sprechen. Peter Thaler:

    "Erstmal würde man denken: Es ist wirklich sehr speziell. Da hängen irgendwelche Nerds ab, die sind damit beschäftigt, irgendwelche Figürchen zu zeichnen, und haben ein fast schon krankhaftes Verhältnis zu ihrer eigenen Kreation. Aber es ist ja so, dass schon mehrere Generationen mittlerweile visuell stimuliert aufgewachsen sind. Wir sind ja alle aufgewachsen mit MTV, wir wissen, wie Werbung funktioniert, wir sind umgeben von Tausenden von Bildern täglich. Es ist ja eher ein kommunikatives Phänomen und das wird hier unter dem Aspekt der wertvollen künstlerischen Haltungen untersucht."

    Kernstück des Festivals ist der Character Walk - ein Rundgang durch Galerien und Ladengeschäfte in Berlin-Mitte, in denen Künstler ihre Kreationen zeigen. Der Amerikaner Joshua Ben Longo zum Beispiel stellt monströse Stofftiere aus. Sie haben dicke Bäuche und große Zähne, aber keine Augen:

    "Das ist das Wichtigste an ihnen. Wir Menschen schauen immer zuerst auf die Augen. Wenn die Augen fehlen, muss man die Figur ganz anders ansehen. Man sieht sie als Ganzes, nicht nur die Augen."

    Bei Joshua Ben Longos Stofftieren bleibt der Blick in der meist an den Zähnen hängen. Die Tiere wirken gefährlich, obwohl sie eigentlich recht kuschlige Gestalten sind. Ben Longo hat Produktdesign studiert. Er gab den Beruf aber auf, weil er ihn dazu zwang, den ganzen Tag vorm Computer zu sitzen.

    "Man kann am Computer sehr leicht etwas entwerfen, aber es fühlt sich oft leblos an. Das ist anders, wenn man mit seinen Händen arbeitet und den Gegenstand, mit dem sich gerade beschäftigt, wirklich anfassen kann."

    Das Pictoplasma Festival hat eine ganze Reihe von Künstlern eingeladen, die lieber mit den Händen arbeiten, als am Computer.

    "Ich würde schon denken, dass dieses Um-sich-Greifen nach anderen Medien, was wir langsame Medien nennen, also Arbeit rein zu stecken, das ist eine neue Entwicklung, die wir im letzten Jahr entdeckt haben für uns."

    Die Festivalmacher haben Künstler eingeladen, die Figuren stricken, schnitzen oder filzen. Der Brite Ben Newman präsentiert Masken, die aus geometrischen Stoff- und Holzteilen zusammengesetzt sind.

    "Sie haben Vorbilder in vielen verschiedenen Kulturen - ich habe mir Masken aus dem Amazonasgebiet angeschaut, aus Afrika und heidnische Götterbilder aus Europa. Ich übernehme die Grundidee und baue sie mit streng geometrischen Formen nach, mit Dreiecken, Kreisen und Quadraten."

    In dieser Vorgehensweise kann man durchaus Gewohnheiten der heutigen Computergeneration erkennen - das Kopieren und Einfügen und das Kombinieren von Einzelteilen zu einem neuen Ganzen. Auch das - sagt Peter Thaler - sei ein neuer Trend:

    "Also die Praktiken des Remix, des Copy-Pastes, sich auf diesem Bild Fundus einlassen zu können und sich das einfach einzuverleiben, das bleibt dennoch bestehen. Nur es wird nicht am Computer ausgelebt, sondern in anderen Medien, in der Bildhauerei."

    Die Frage, wie man künstliche Figuren lebendig macht, steht beim Pictoplasma-Festival in diesem Jahr also nur an zweiter Stelle. In erster Linie geht es um einen neuen Trend: weg von der Perfektion des Computers, hin zum Handgemachten.