Das stimmt und stimmt nicht. Es stimmt, daß die Tätigkeit von Frauen, die sich in einer tänzerischen Bühnendarbietung leicht oder gar nicht bekleidet dem Publikum zeigen, immer schon gesellschaftlich entwertet wurde, es stimmt aber wohl nicht, daß ungebändigter, unterschätzter Kunstwille sie zu dieser Tätigkeit brachte - im seltensten Fall steckt in einer Striptease-Tänzerin eine Josephine Baker. Denn in der Regel sind die sozialen Verhältnisse die Vorraussetzung für ein Strip-Karriere. Daß in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts die meisten der Pariser Can-Can- und Revuetänzerinnen vom Montmartre stammten, hat nicht damit zu tun, daß dort das fröhliche Tanzen und Singen besonders gepflegt worden wäre, sondern damit, daß der Montmartre traditionell das Viertel der Wäschereien war. Junge Mädchen begannen mit elf, zwölf, dreizehn Jahren als Wäscherinnen zu arbeiten, oft die ganze Nacht lang über heiß dampfende Kessel gebeugt. Verglichen mit dieser Schinderei war die Alternative, abends in einer Revue aufzutreten und beim Abgang von der Bühne die Miederknöpfe zu öffnen, natürlich reizvoll.
Bei der Lektüre dieses Buches braucht man ein Art polizeilichen Instinkt, man muß zu spüren lernen, wo man der Autorin glauben darf und wo man ihr mißtrauen muß. In bester angelsächsisch-empiristischer Art trägt Lucinda Jarrett eine Fülle von Geschichten und Details aus der Kulturgeschichte des Striptease zusammen, sie begründet, warum dessen Vorläufer nicht im Abendland, sondern im hinduistischen Tempeltanz und im islamischen Bauchtanz zu finden sind, wie und weshalb Nachkriegszeiten Blüteepochen des Striptease darstellen und wie sich dessen Entwicklung seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts zwischen Europa und Amerika, zwischen Zensur und Liberalität hin- und herbewegte.
Aber inmitten ausführlicher und interessanter Passagen, die Lucinda Jarrett als verläßliche Forschern ausweisen, tauchen verdächtige Sätze auf, bei denen der Autorin offensichtlich die Phantasie durchging. In einem Kapitel, in dem sie das erotische Milieu der belle epoque darstellt und den Typus der Mätresse von dem der Kurtisane unterscheidet, schreibt sie über diese: "Die Kurtisane war eine sinnliche Frau mit üppigem Körper, die es genoß, Männer zu verführen." Einmal dahingestellt, wie groß der Genuß war - aber sollte wirklich keine der betreffenden Damen des 19. Jahrhunderts schmal gewesen sein ?