Sandra Schulz: Für viel Wut und Kopfschütteln haben zuletzt die Fachleute vom Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle gesorgt. Aus einer Analyse zur wirtschaftlichen Situation Ostdeutschlands zogen sie unter anderem die Schlussfolgerung, weniger Geld olle in ländliche Regionen gehen, stattdessen sollten lieber die urbanen Räume gefördert werden. 30 Jahre nach der friedlichen Revolution stellen sich jetzt Grundsatzfragen zur Förderpolitik. Milliarden sind in den vergangenen Jahrzehnten in den Aufbau Ost geflossen. Die Frage nach dem "warum" wurde vor allem in vielen strukturschwachen Regionen Westdeutschlands immer energischer gestellt. Zum Ende des Jahres läuft der zugrundeliegende Solidarpakt II jetzt aus und jetzt ist ein neues gesamtdeutsches Förderprogramm geplant. Danach soll künftig nicht mehr nach Himmelsrichtungen verteilt werden.
Die Arbeitsgruppe Wirtschaft und Innovation der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse, die jetzt diese Empfehlungen vorgelegt hat, die hat Oliver Wittke geleitet, CDU-Politiker, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen. Herr Wittke, Sie kennen sich ja gut aus mit den Strukturschwächen auch des Westens. Sie sind aus Nordrhein-Westfalen, Sie waren mal Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, das ist auch Ihr Wahlkreis und eine der ärmsten Städte des Landes. Worauf können sich die Menschen in Gelsenkirchen jetzt einstellen? Wann fließt wieviel in die Infrastruktur der Stadt?
Oliver Wittke: Ab Anfang nächsten Jahres wird es dieses gesamtdeutsche Fördermodell geben, und damit wird eine alte Forderung insbesondere strukturschwacher Gebiete in Westdeutschland erfüllt, nämlich dass nicht mehr nach Himmelsrichtung gefördert wird, sondern nach tatsächlicher Bedürftigkeit. Das ist, glaube ich, 30 Jahre nach Vollendung der deutschen Einheit auch gut und vernünftig so. Es wird aber nicht weniger Geld in den Osten fließen, auch das muss klar sein, denn dort gibt es flächendeckend nach wie vor große strukturelle Anpassungsprobleme.
"Mit der Gießkanne durchs Land zu gehen, springt zu kurz"
Schulz: Wann fließt wieviel in die Infrastruktur der Stadt?
Wittke: Wieviel, das können wir noch nicht sagen. Das hängt von Haushaltsberatungen ab. Das hängt davon ab, wieviel Geld der Bund zur Verfügung stellt, wieviel Geld die Länder ergänzen. Denn es sind viele Gemeinschaftsaufgaben, die gestellt werden müssen. Aber es wird Anfang kommenden Jahres ein neues Modell geben, wo beispielsweise auch keine Mittel mehr verfallen können, weil wir künftig eine Überjährigkeit der Mittel vereinbart haben. Auch das ist neu. Das heißt, allein deshalb steht schon mehr Geld tatsächlich vor Ort für die Bekämpfung von Strukturschwäche zur Verfügung.
Schulz: Verstehen Sie, dass diese recht schwammige Antwort die Menschen mutmaßlich in Gelsenkirchen, die ich hier jetzt nur stellvertretend nenne für andere strukturschwache Regionen, auch Bremen, das Saarland, dass die Menschen vielleicht etwas nervös werden, wenn sie Ihre schwammigen Antworten hören?
Wittke: Das verstehe ich. Umgekehrt kann ich aber versichern: Es wird die Umsetzung keiner guten Idee an mangelnden Finanzmitteln scheitern, sondern wir wollen neue Impulse setzen. Wir wollen Mittel effizienter einsetzen. Wir tun dies auch zum ersten Mal ressortübergreifend. Das heißt, nicht jedes einzelne Ministerium für sich. Aber nur mit der Gießkanne durchs Land zu gehen und Geld zu verteilen, springt zu kurz. Die Hilfe muss am Ende auch vernünftig eingesetzt werden und da brauchen wir mehr Effizienz. Das hatten wir in der Vergangenheit nicht. Darum sind am Jahresende zweistellige Millionenbeträge übrig geblieben. Das wollen wir künftig ändern.
"Da wird der Bund einspringen müssen"
Schulz: Und Sie sagen, Sie versprechen, dass es nicht am Geld scheitern wird. Wieviel Geld soll Olaf Scholz bereitlegen?
Wittke: Er stellt ja heute schon eine Menge Mittel bereit, sowohl im Bereich der Wirtschaftsförderung wie auch in der einzelnen Projektförderung. In ländlichen Gebieten ganz genauso wie in städtischen Gebieten. Das wird es weiterhin geben und es wird nach unserem Dafürhalten, nach dem Dafürhalten der Arbeitsgruppe mehr Geld dazukommen. Denn eines ist ja völlig klar: Wenn die Anzahl der zu fördernden Gebiete steigt und es nicht zu Strukturbrüchen kommen soll, wo bisher gefördert wurde, dann muss mehr Geld ins System, und da wird Olaf Scholz seine Schatulle aufmachen müssen.
Schulz: Wie weit? Sagen Sie noch mal die Zahl. Danach hatte ich ja gefragt.
Wittke: Ich werde jetzt keine Zahl nennen, denn es hängt von einem Gesamtkonzept ab. Wir sind nur ein kleiner Bestandteil einer gesamten Kommission gleichwertige Lebensbedingungen. Da geht es beispielsweise auch um Altschulden der Kommunen. Da geht es um Altschulden der Wohnungsbaugesellschaften gerade in den neuen Bundesländern. Auch dafür wird zusätzliches Geld benötigt. Darum wäre es jetzt unseriös zu sagen, für den einen Bereich fordern wir jetzt so und so viele Milliarden Euro und für den anderen so und so viel. Da wird es am Ende eine Gesamtzahl für die gesamte Kommission gleichwertige Lebensbedingungen geben.
Schulz: Und eine Größenordnung zu nennen, wäre auch unseriös?
Wittke: Das wird sich im Milliardenbereich abspielen, völlig klar, denn es kommt eines hinzu: In der neuen Förderperiode wird die Europäische Union weniger Geld in strukturschwache Gebiete Deutschlands schicken. Wir haben einen Nettobeitragszahler weniger mit Großbritannien. Wir rechnen damit, dass wir 20 Prozent weniger europäische Mittel bekommen. Das werden 15 Milliarden in den Jahren 2021 bis 2027 sein. Auch da wird der Bund einspringen müssen und wird zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, damit wir zu gleichwertigen Lebensbedingungen in Deutschland kommen.
"Menschen haben kein Verständnis für Solidaritätszuschlag"
Schulz: Herr Wittke, wir haben gestern die aktuellen Zahlen aus Ihrem Ministerium gehört. Die Konjunktur schwächelt. Vielleicht gehen die fetten Jahre jetzt wirklich zu Ende. Wenn das absehbar teurer wird, wenn Sie absehbar mehr Geld brauchen und dann noch die Sorgen und Nöte dazukommen, die Sie gerade schildern, warum dann den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen, wie es die CDU ja fordert, und damit rund zehn, elf Milliarden Euro in den Wind schreiben?
Wittke: Ich glaube, nach 30 Jahren deutscher Einheit darf man keinen Solidaritätszuschlag mehr erheben, weil die Menschen dafür kein Verständnis haben. Wir werden ja 90 Prozent derer, die heute Solidaritätszuschlag zahlen, gemeinsam mit den Sozialdemokraten entlasten. Es geht jetzt um die letzten zehn Prozent derjenigen, die zahlen. Da sind insbesondere viele Personengesellschaften dabei. Das sind die Leistungsträger in unserer Wirtschaft. Das sind mittelständische Unternehmen. Die wollen wir als Union entlasten.
Wir glauben auch, dass das Geld dazu da ist, denn auch wenn die Konjunktur jetzt eine Atempause einlegt, wir rechnen in diesem Jahr mit fast 500.000 Menschen mehr, die in Beschäftigung kommen. Wir rechnen mit mehr Steuereinnahmen. Das heißt, nicht in allen wirtschaftlichen Daten wird es eine Abkühlung geben. Die Weltwirtschaft wird insgesamt etwas schwächer aufgestellt sein in diesem Jahr. Das merken wir auch in Deutschland. Aber insgesamt können wir mit einer Entwicklung in Deutschland, die mehr Geld auch in die öffentlichen Kassen spült, zufrieden sein, und davon müssen wir einen Teil den Menschen zurückgeben, dass die dann mehr Geld ausgeben können. Nicht alles kann der Staat tun.
"Die letzten zehn Prozent des Solidaritätszuschlages auch abschaffen"
Schulz: Diese Zahlen haben wir gestern ja gehört. Wenn wir jetzt über diese restlichen zehn Prozent sprechen, diejenigen, die dort entlastet werden – Sie sprechen gerade von Personengesellschaften. Faktisch ist es aber auch so, dass die absoluten Spitzenverdiener entlastet würden, zum Beispiel der Vorstandschef eines DAX-Konzerns. Der würde um mehr als 100.000 Euro entlastet über diese restlichen zehn Prozent. Wozu?
Wittke: Das sind die kleineren Gruppen. Die größere Gruppe bei den letzten zehn Prozent, das sind die gerade von mir zitierten Personengesellschaften. Das sind diejenigen, die wir auch mit Kapital ausstatten müssen, damit sie durch eine wirtschaftlich abgekühlte Situation hindurch kommen.
Das sind nicht die Zahnärzte oder die Vorstandsvorsitzenden oder die Milliardäre, sondern das ist der Einzelhändler an der Ecke, das ist der Handwerksmeister, das ist derjenige, der vielleicht seinen Betrieb übergeben will. Die müssen wir fit machen. Die müssen wir wirtschaftlich stärken. Darum wollen wir als CDU die letzten zehn Prozent des Solidaritätszuschlages auch abschaffen. Ich glaube, dass das leistbar ist. Ich glaube, dass es wirtschaftlich vernünftig ist, und darum müssen wir das auch tun.
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