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Strukturprobleme der Autoindustrie
"Wir produzieren im Moment Elektroautos für Millionäre"

Sowohl Elektroautos als auch Hybridfahrzeuge seien Notlösungen, da die Produktion von Emissionen nur verlagert werde, sagte Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse. Allerdings habe sich die Politik "voll auf die Elektromobilität geworfen" - für eine Kehrtwende fehle offenbar der politische Mut.

Helmut Becker im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 bei der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt am Stand des Autoherstellers VW in einem Hybridfahrzeug vom Typ Tiguan GTE.
    Wie sieht die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland aus? Helmut Becker wirft der Bundesregierung fehlenden politischen Mut vor, auch falsche Entscheidungen eingestehen zu können. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Jürgen Zurheide: Wie wichtig die Automobilindustrie in Deutschland ist haben wir gerade gemerkt, im zurückliegenden Quartal hat die Wirtschaftsleistung in Deutschland abgenommen, und viele sagen, das hat eben auch mit der Automobilindustrie zu tun, weil man eben im dritten Quartal nicht so viele Autos hat verkaufen können. Mit der Unsicherheit hat es zu tun, sicherlich ist das nicht der einzige Grund. Wo steht die Automobilindustrie, wie wichtig ist sie? Darüber wollen wir reden mit einem, der es ganz genau weiß, mit Helmut Becker, der für das Institut für Wirtschaftsanalyse tätig ist, ansonsten früher bei BMW tätig und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Becker!
    Helmut Becker: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Grüße Sie! Sagen Sie mal, die Wirtschaftszahlen des letzten Quartals, diese minus 0,2, welchen Anteil haben daran die Autos und die Automobilindustrie?
    Becker: Das geht zum größten Teil auf die Automobilindustrie und die Zuliefererindustrie natürlich zurück, weil, bedingt durch das neue Prüfverfahren, eben viele Autos nicht ausgeliefert und auch nicht produziert werden konnten. Und das schlägt sich dann natürlich in der Bruttoinlandsproduktberechnung nieder. Also es geht hauptsächlich, es ging fast zu über 50 Prozent auf die Autoindustrie.
    Zurheide: Und über die Bedeutung der deutschen Autoindustrie sagt man immer, es ist einer der größten Wirtschaftszweige, fast zehn Prozent Wirtschaftsleistung. Sind diese Zahlen noch richtig heute?
    Becker: Ja, die Zahlen schwanken, also, in der Regel muss man sagen, fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hängen am Auto. Damit sind auch sämtliche Dienstleistungen, die daran hängen, die Zulassungsbehörden, die TÜVs und so weiter, die sind da mit eingerechnet. Die reine Produktion, das was Sie angesprochen haben, da kommen wir so auf die zehn Prozent, da stimmt das ungefähr. Jeder siebte Beschäftige hier in Deutschland hat irgendwas mit dem Auto zu tun.
    Zurheide: Das heißt, wenn die Automobilindustrie hustet, dann bekommt die Wirtschaft einen Schnupfen. Dieser Satz gilt und der gilt immer noch. Dann schauen wir jetzt, wenn wir wissen, welche Bedeutung das hat, in die Zukunft. Ich glaube, das ist wichtig, auch das noch mal abgeschätzt zu haben. Jetzt haben wir ja zwei große Themen, die sehe ich zumindest, Sie mögen mir dann weitere geben. Das erste Thema ist die Frage, was kommt nach dem Verbrennungsmotor, kommt irgendwas danach? Das zweite große Thema, Autokonzerne werden zu Mobilitätsanbietern. Vielleicht fangen wir mit dem ersten Thema an. Wie sehen Sie die Zukunft des Verbrennungsmotors?
    Becker: Der Verbrennungsmotor, aus meiner Sicht, wird bleiben, aber er wird anders betrieben werden müssen, als er bisher betrieben wird. Nämlich er wird nicht mehr mit fossilen Brennstoffen betrieben, sondern er wird betrieben mit einer Flüssigkeit, die künstlich hergestellt ist mit sogenannten E-Fuels, also synthetischen Treibstoffen. Das ist Vorausschätzung und das, was ich für am wahrscheinlichsten halte. Die reine Elektromobilität, so wie sie jetzt in aller Munde ist, über Batterie betrieben, hat aus meiner Sicht nur einen begrenzten Erfolg, in dem etwa 20 Prozent des Marktes erreicht werden können. Denn Elektroautos, nochmal, mit Batterien betrieben, benötigen eine Infrastruktur in der Ladezeit, sind unkomfortabel in der Reichweite, und vor allen Dingen, sind erheblich teurer als ein normales Auto mit Verbrennungsmotor. Das heißt, mein Standardsatz in dieser Angelegenheit ist, wir produzieren im Moment Elektroautos für Millionäre, aber nicht für Millionen. Wir brauchen aber ein Antriebsaggregat für Millionen. Und das kann die batteriebetriebene Elektromobilität nicht sein.
    "Hybridisierung ist die schlechteste Lösung"
    Zurheide: Gut, die Hybride zum Beispiel, da werden Sie sagen, das ist zu teuer. Oder ist es vielleicht eine interessante Zwischenstufe?
    Becker: Also, teurer wird es ohnehin in Zukunft werden das Autofahren, die Illusion, die muss man den Menschen schon nehmen. Aber was Hybrid ist, ist, wie Sie gesagt haben, schon eine Zwischenstufe, aber eine Notlösung, da man mit zwei Motoren durch die Gegend fährt, was natürlich ins Gewicht geht und so weiter. Und von der Effizienz als Antriebsaggregat ist das mehr oder weniger die schlechteste Lösung, die wir haben, die Hybridisierung. Aber immerhin, es hilft dazu, dass wir lokal, regional, gerade in Schwerpunkten die schädlichen Abgase, die ja heute so angeprangert werden, dass wir die halbwegs in den Griff kriegen, aber nur nur punktuell. Das heißt wir Verlagern die Produktion von Emissionen, die verlagern wir aus den Städten raus und an die Stellen, wo die entsprechenden Emissionen dann eben anfallen, nämlich bei den Stromerzeugern. 60 Prozent unseres Stroms heute kommen immer noch aus der Kohle, und damit fließt dieser Strom natürlich auch in die Batterien der Autos. Unabhängig davon werden die Batterien selber hochgiftig hergestellt, auch mit hohen Emissionen verbunden, nur diese Emissionen finden halt nicht jetzt in Deutschland statt oder in Europa, sondern in Asien und sonst wo.
    Zurheide: Wie sehen Sie, Herr Becker, wenn ich dazwischen gehen kann, die aktuelle Tendenz, wenn wir jetzt gerade gehört haben, VW macht 44 Milliarden in Elektromobilität, wir haben die Bundesregierung, der Wirtschaftsminister, der sagt, wir brauchen die Zellfertigung, die wir eigentlich schon an die Asiaten verloren haben, wieder hier, mit hohen Subventionen. Ist das jetzt durch die öffentliche aufgeheizte Debatte mit Fahrverboten der Versuch von Politik und Unternehmen, zu zeigen, ja, wir tun ja was, aber am Ende marschieren wir möglicherweise in die falsche Richtung?
    Becker: Ja, also, aus meiner Sicht marschieren wir in dieser Angelegenheit sicherlich in die falsche Richtung. Ich kann mich nur wiederholen, gut 20 Prozent des Marktes mögen bei den Millionären und Hochbegüterten, die eine eigene Steckdose zuhause haben oder in der Garage, die mögen mit Elektroautos durch die Gegend fahren, für den Massenbetrieb ist diese Technologie nicht geeignet. Und dass VW so mutig in diese Richtung marschiert, hat natürlich auch viel mit Wiedergutmachung in der öffentlichen Meinung in Sachen Dieselaffäre zu tun. So ganz losgelöst kann man das nicht sehen. Ansonsten halte ich diese Entscheidung für, aus meiner Sicht, nicht richtig.
    Zurheide: Die andere Frage ist ja, wo kommt das her, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben gesagt, Sie setzen auf andere Synergie und synthetische Stoffe, zum Beispiel Benzin, wo können die herkommen?
    Becker: Ja, die müssen hergestellt werden, und das Geheimnis an dieser Geschichte ist, die werden hergestellt aus CO2, was wir ja eigentlich ja auch aus der Luft raus haben wollen, aus CO2, Strom und Wasser. Das ist ein katalaktischer Prozess, also eine Katalyse, die da zusammengeführt wird, und aus diesem Endergebnis kommt also ein synthetischer Treibstoff raus. Und mit diesem Treibstoff kann man die Motoren ohne weiteres betreiben. In Brasilien ist das heute gang und gäbe, die haben zum 100 Prozent Ethanol, das ist ein Ethanoltreibstoff, also künstlich hergestellt, nicht aus Biomasse und auch nicht mit Trinkwasser. Also wir verbraten weder Nahrungsmittel, noch sauberes Trinkwasser, um das Zeug herzustellen, sondern das können Sie aus Meerwasser nehmen oder was auch immer. Und es gibt große Anlagen mittlerweile im arabischen Raum, die sich mit der Produktion von Ethanol beschäftigen, aus Gas hergestellt, aus irgendeinem vorhandenen Stoff, den wir dort einsetzen können.
    Gewisser politischer Mut fehlt
    Zurheide: Wenn das so naheliegend ist, warum funktioniert das dann noch nicht, Herr Becker, wenn das so naheliegend ist, wie Sie sagen?
    Becker: Im Moment ist es halt noch ein bisschen teurer als die Verbrennung von normalem Benzin oder Dieseltreibstoff. Durch die Herstellung sind die Kosten ungefähr um den Faktor sechs teurer als das, was wir heute in der Raffinerie produzieren an Treibstoffen. Aber das hängt eben vor allen Dingen an den Stromkosten und wir brauchen dafür eine nachhaltige Stromversorgung und wir brauchen eine nachhaltige Belieferung mit umweltfreundlichen Energien. Und das über die Sonnenenergie können wir das in den arabischen Staaten ohne weiteres darstellen, wir könnten es auch hier an der Küste darstellen beispielsweise über die Windenergie. Solche Anlagen könnten auch in Deutschland aufgebaut werden. Im Moment laufen Pilotanlagen und das funktioniert. Und, wie gesagt, nun hat sich die Öffentlichkeit und die Politik voll auf die Elektromobilität geworfen und jetzt tut sich die Politik natürlich schwer, jetzt wieder eine Kehrtwende zu machen, April, April, ich habe mich geirrt, eigentlich ist das gar nicht die Lösung, sondern die Lösung wird das und das. Dazu gehört ein gewisser politischer Mut.
    Zurheide: Jetzt habe ich vorhin noch ein zweites Thema angesprochen, wie sehen Sie das, dass die Automobilhersteller ohnehin eher zu einer Art Mobilitätsanbieter werden. Oder halten Sie das für überschätzt, dass man Carsharing-Modelle und so weiter möglicherweise bald wesentlich mehr hat, und damit auch die alte Frage, die vielleicht in meiner und Ihrer Generation noch der Fall ist, jeder hat sein eigenes Auto, im Zweifel sogar zwei, wenn man da besonders affin ist, in der Familie, dass das alles so nicht mehr der Fall sein wird.
    Becker: Ja, das ist sicherlich ein Weg, um den Absatz hoch zu halten, indem man also zusätzliche Dienstleistungen anbietet, so etwas wie Carsharing. Vorher hat man das gemacht, vor allem im Daimlerkonzern, im Taxibetrieb. Das ist nichts anderes im Grunde genommen, als Mobilität anzubieten, jetzt in dem Fall über selbstständige Unternehmer im Taxibetrieb. Aber hier, Carsharing, eigene Gesellschaften, jetzt BMW und Daimler, haben ja Unternehmen gegründet und die fusioniert. Das ist natürlich ein Weg, um den eigenen Absatz nicht absacken zu lassen oder den Wettbewerb weitergehen zu lassen. Aber ansonsten halte ich das nicht für ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Das wird die Autokonzerne nicht retten.
    Zurheide: Das waren einige Einsichten in die Automobilindustrie der Zukunft mit Helmut Becker, der eine andere Haltung hat als manche. Und genau deshalb haben wir heute morgen mit Ihnen gesprochen, Herr Becker, ich bedanke mich ganz herzlich für die Einschätzungen!
    Becker: Vielen Dank für die Gelegenheit!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.