Ein Großraumlabor des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart. In dem kinosaalgroßen Raum stehen mehrere Maschinen, die teilweise bis unter die hohe Decke reichen. Fast unscheinbar wirkt dagegen ein Metallgestell, etwa so groß wie ein Müllcontainer. Eine bunt gesprenkelte Kunststoffkiste hängt darin an Drahtseilen. An den Seitenwänden ragen Schläuche heraus, durch die Kläranlagen-Abwässer in das Gehäuse fließen. Im Inneren befinden sich Magnesium-Elektroden.
"Das ist eine elektrochemische Zelle", erklärt der Projektleiter Iosif Mariakakis. "Das bedeutet, dass es drinnen eine Anode und eine Kathode gibt. Bei denen legt man Strom an. Dann strömt das Wasser durch eine sehr schmale Spalte und durch den Strom wird Magnesium freigesetzt. Dann reagiert es mit Ammonium und Phosphat, die schon im Abwasser enthalten sind."
Phosphatgewinnung aus Abwässern auch ohne Chemikalien möglich
In der Stuttgarter Pilot-Anlage sollen aus Abwässern Phosphate für Düngemittel zurückgewonnen werden. Das ist an sich keine neue Idee. Jedoch waren dafür bisher immer Chemikalien erforderlich, so Mariakakis:
"Alle anderen müssen Natronlauge und eine Magnesiumquelle verwenden. Wir verwenden keine Chemikalien. Aber aus dem Korrosionsschutz wussten wir, dass Magnesium ein Metall ist, das sehr einfach in die Lösung gehen kann. Also es oxidiert und geht in die Lösung."
Die Stuttgarter Ingenieure haben es auf die zurückbleibenden Phosphate abgesehen. Denn sie wirken bei Nutzpflanzen wachstumsfördernd. Noch werden in der Düngemittelproduktion häufig Rohphosphate eingesetzt. Das könnte auf Dauer problematisch sein, weiß Karlheinz Weinfurtner vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie im nordrhein-westfälischen Schmallenberg:
"Die Problematik bei den Phosphat-Düngemitteln ist ja, dass die natürlichen Phosphat-Reserven langsam zu Neige gehen. Da wird groß diskutiert, ob das jetzt noch 100 oder 150 Jahre dauert. Aber generell ist es einfach so, die Vorräte sind begrenzt. Und was vor allem begrenzt ist, sind Rohphosphat-Vorräte, die schadstoffarm sind."
Oftmals sind Rohphosphate nämlich Cadmium- oder Uran-belastet. Und für eine Reinigung wären auch wieder Chemikalien notwendig. Deswegen stellt die Stuttgarter Aufbereitungsanlage eine gute Alternative dar. Mit ihr lassen sich immerhin gut 85 Prozent der in Abwässern enthaltenen Phosphate zurückgewinnen - und zwar schadstoffarm. Am Ende kommt ein Magnesium-Ammonium-Phosphat-Gemisch heraus, das die Forscher Struvit nennen.
Struvit nur begrenzt einsetzbar
Es könnte auf Dauer gut ein Drittel des Phosphor-Mineraldüngerbedarfs in Deutschland decken. Allerdings sind Struvit-Dünger nicht universell einsetzbar, betont Karlheinz Weinfurtner:
"Sie sind in ihren Phosphatformen nicht so schnell verfügbar wie ein chemisch aufgeschlossener Superphosphat-Dünger. Aber für eine sogenannte Erhaltungsdüngung sind sie eigentlich schon geeignet. Das ist eine Düngung, die dazu dienen soll, die Menge an Phosphor und anderen Nährstoffen, die über eine Fruchtfolgeperiode von den Pflanzen entnommen wird, wieder hinzuzufügen. Sodass der Versorgungsstatus im Boden über längere Zeit entsprechend erhalten bleibt."
Bisher haben die Stuttgarter Verfahrenstechniker ihre Versuchsanlage ausschließlich mit Abwässern aus dem Klärwerk betrieben. Jetzt soll sie auch aus menschlichem Urin Struvit produzieren, erklärt Iosif Mariakakis:
"Das ist sehr gut geeignet, weil beide Komponenten, Ammonium und Phosphor, reichlich vorhanden sind. Und wir bauen eine mobile Anlage am Ende, die wir auf Großveranstaltungen, sprich Festivals, ausbringen können, um dort vor Ort das Düngemittel rückzugewinnen."
Bis zu einem flächendeckenden Einsatz von Struvit-Gewinnungsanlagen in Klärwerken wird es noch eine Weile dauern. Ein erster Großversuch - mit einer Anlage mindestens hundert Mal so groß wie das Stuttgarter Modell - startet bald in den USA. Und erst dann können die Wissenschaftler erste verbindliche Aussagen über die Effizienz und die Amortisierung ihres Verfahrens machen.