Die AfD sei "lediglich eine neue Herausforderung, um sich alte journalistische Tugenden und das klassische Handwerkszeug erneut vor Augen zu führen", betonte Bernd Gäbler vor gut anderthalb Jahren im Gespräch mit @mediasres, als er seine Studie "AfD und Medien. Analyse und Handreichungen" vorstellte. Journalisten sollten "Aufpasser statt Klüngel" sein, ein "eigener, speziell auf die AfD zugeschnittener Journalismus" sei gar nicht erst notwendig.
Nun ist Teil zwei der Untersuchung für die Otto Brenner Stiftung erschienen, dieses Mal mit dem Schwerpunkt "Erfahrungen und Lehren für die Praxis". Dass innerhalb so kurzer Zeit eine zweite Arbeit zu dem gleichen Thema entstanden sei, sei "genauso ungewöhnlich wie der Gegenstand selbst", begründet der Medienwissenschaftler und ehemalige Leiter des Grimme-Instituts. Die AfD stelle als "erste Internetpartei" der Geschichte viele gesellschaftliche Kräfte vor neue und unbekannte Herausforderungen. Und das Verhältnis zu den Medien sei besonders auffällig, befindet Gäbler.
Das Ergebnis der Untersuchung von Oktober 2017 bis Augst 2018: Die überregionalen Medien haben seit Erscheinen des ersten Studienteils und dem Einzug der Partei in den Bundestag dazugelernt. So werde inzwischen weniger nach dem Reiz-Reaktions-Muster und mehr mit eigenen Themen berichtet, hat Gäbler beobachtet. Herausgekommen seien dabei neben guten Portraits auch wichtige Enthüllungen wie aktuell zum Finanzgebaren der Partei.
Schwächen an der Basis
Allerdings sei "noch viel Luft nach oben", sagt der Medienwissenschaftler. Beispielsweise finde die AfD-Berichterstattung in Lokalzeitungen fast nur im Mantelteil statt. Gäbler hat über drei Monate die "Nürnberger Nachrichten" und die "Oberhessische Presse" beobachtet und stellt fest: Es fehlt Neugier auf das eigene regionale Umfeld. Weder sei über das Wahlprogramm noch über Kandidaten informiert worden. Sein Fazit: Die deutsche Printlandschaft schwächelt an der Basis.
Die Ursache liegt für Gäbler und den Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, auch in mangelnden finanziellen Ressourcen. Oftmals prekäre Arbeitssituationen in regionalen Verlagen hätten einen geringen Anteil landespolitischer Berichterstattung zur Folge, kritisiert Überall auf der Pressekonferenz bei der Vorstellung der Studie.
Weniger "Ich"-Journalismus, mehr Kompetenz
Eine weitere Schwäche sei die Tendenz zum "Ich"-Journalismus, den Gäbler besonders bei jüngeren Medien beobachtet. Wenn Reporter mit AfD-Politikern redeten und zum Schluss kämen "Gut, dass wir darüber geredet haben", reiche das nicht aus. Aus Sicht des Medienwissenschaftlers mangelt es vielen Journalisten an der nötigen Kompetenz. Nur mit Wissen um Kultur und Geschichte seien die "Erbschleichereien der AfD zu widerlegen".
Denn inhaltlich müsse es darum gehen, "rote Linien" zu ziehen, betont Gäbler: "Wer die Gleichwertigkeit aller Menschen attackiert, den Holocaust leugnet oder unsere Erinnerungskultur an den Zivilisationsbruch umkehren will, disqualifiziert sich." Erklärender Journalismus müsse sich deshalb auch als Teil einer größeren kulturell-geistigen demokratischen Bewegung verstehen.
Diskursverschiebung - über die AfD hinaus
Der Umgang der Medien mit der AfD sei insgesamt "reflektierter geworden", findet auch Johannes Hillje. Doch der Kommunikationsexperte und Politikberater weist gegenüber @mediasres auf einen anderen Effekt hin: "Die Sprache der Partei ist auch in Berichten präsent, in denen sie gar nicht anwesend ist." Begriffe wie "Altparteien" oder "Grenzöffnung" hätten sich in der Berichterstattung etabliert, "obwohl sie die Agenda der AfD befördern". An den Themen und der Sprache anderer Parteien und der Medien sei eine "Diskursverschiebung" zu erkennen.
Hintergrund dieser Entwicklung sei auch der ökonomische Zusammenhang zwischen Medien und Populismus, stellt Hillje kritisch fest. Medien gingen noch zu oft den Deal "Provokation gegen Publizität" ein: "Populisten bekommen durch Provokationen Aufmerksamkeit, Medien bekommen Klicks, der demokratische Diskurs verliert oftmals."