Eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass das Armutsrisiko in der Gesamtbevölkerung im vergangenen Jahr gestiegen ist. Von 2014 auf 2015 legte die Armutsquote laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 0,3 Prozentpunkte auf 15,7 Prozent zu - und erreicht damit den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Quote bildet den Anteil der Menschen ab, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland verfügen. Für eine einzelne Person lag die Einkommensschwelle 2014 bei 916 Euro, für eine vierköpfige Familie bei 1.926 Euro netto. Es handelt sich also um einen sogenannten monetären Armutsbegriff.
Ein Blick auf die Daten zeigt, dass der Anstieg ausschließlich auf eine gestiegene Armutsquote unter Migranten zurückzuführen ist. Zu dieser Gruppe werden auch die Flüchtlinge gezählt, die seit dem vergangenen Jahr verstärkt auch nach Deutschland gekommen sind. Bei der einheimischen Bevölkerung stagniert der Anteil dagegen seit 2011 bei 12,5 Prozent. "Die Daten widersprechen eindeutig der Vorstellung, dass die Einwanderung zu einer Verarmung der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund beitragen würde", sagte Studienautor Eric Seils vom WSI.
Gute wirtschaftliche Lage wirkt sich nicht auf Armutsrisiko aus
Die erhobenen Daten machen aber auch deutlich, dass die gute wirtschaftliche Lage und die aktuell geringe Arbeitslosigkeit sich offenbar nicht auf das Armutsrisiko auswirken. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele Menschen im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und deswegen unterhalb der Schwellenwerte bleiben, erklärte Seils.
Zugleich bestätigen die Zahlen, dass viele Flüchtlinge in Deutschland zunächst in äußerst prekären Verhältnissen leben. "Von den Personen, die vor weniger als fünf Jahren eingewandert sind, müssen 41,9 Prozent mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze zurechtkommen", heißt es in der Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Zudem würden insbesondere Migranten aus Herkunftsländern der jüngsten Flüchtlingsbewegungen "extrem hohe Werte" aufweisen. Der Studie zufolge gilt das etwa für syrische (78,1 Prozent), irakische (65,0 Prozent), pakistanische (59,3 Prozent) und afghanische (58,1 Prozent) Einwanderer.
Zunehmende Aufenthaltsdauer mindert Armut
Ein Vergleich mit vorangegangenen Einwanderergruppen zeigt laut Studie aber, dass das Armutsrisiko mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinkt. "Bei der Bewertung der neuen Zahlen ist Augenmaß gefragt", sagte Seils. Bei den neu angekommenen Flüchtlingen sollte die Einkommensarmut anfangs nicht dramatisiert werden. Langfristig aber komme es darauf an, so Seils, die Einwanderer möglichst schnell ausreichend zu qualifizieren, damit sie ihren Unterhalt aus eigener Kraft bestreiten können und sich in die Gesellschaft integrieren.
(tzi/tgs)