Birgid Becker: Der Verkehr in der Luft, auf der Schiene, auf der Straße verursacht Kosten - auch verdeckte Kosten, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. In welcher Höhe? Dazu hat die "Allianz pro Schiene" eine Studie vom Züricher Infras Institut erstellen lassen. "Allianz pro Schiene", das ist ein Zusammenschluss von Umweltverbänden, aber auch vielen Unternehmen der Bahnindustrie. Vor der Sendung habe ich mit dem Geschäftsführer von "Allianz pro Schiene", mit Dirk Flege, gesprochen und ihn zunächst gefragt, welche Summe denn da errechnet wurde?
Dirk Flege: Für Deutschland pro Jahr 149 Milliarden Euro. Das ist unfassbar viel. Wir waren selber überrascht über die Höhe dieser Zahl. Die letzte Zahl, die wir kannten - die ist aber schon über zehn Jahre alt -, war noch im zweistelligen Milliarden-Bereich.
"Milliarden-Beträge, die auch Nicht-Autofahrer zahlen müssen"
Becker: Was Sie jetzt haben errechnen lassen, das ist ein knapper halber Bundeshaushalt, nicht wahr?
Flege: Ja! Das heißt, wir wälzen hier eine ganze Menge negative Folgekosten des Verkehrs auf die kommenden Generationen ab - Stichwort Klimawandel, CO2-Ausstoß des Verkehrs. Das sind Dinge, die werden sich ökonomisch zeitversetzt erst bemerkbar machen. Wir wälzen aber auch eine Menge negative Folgekosten des Verkehrs auf die jetzigen Steuerzahler, auf die Allgemeinheit ab, auch auf die Krankenkassen-Beitragszahler. Ein Beispiel: Die Unfall-Folgekosten des Straßenverkehrs werden nur zu einem Bruchteil von den Straßenverkehrsteilnehmern selbst bezahlt. Es gibt da so ein pauschales Rahmen-Teilungsabkommen zwischen den Kfz-Haftpflichtversicherern und den Krankenkassen. Es wird nicht Spitz auf Knopf nachgerechnet, wieviel Kosten fallen tatsächlich an. Alleine das sind zweistellige Milliarden-Beträge jedes Jahr in Deutschland, die auch Nicht-Autofahrer über ihren Krankenkassenbeitrag, über die Rentenversicherung dann zahlen müssen für Unfallopfer des Straßenverkehrs.
"Wir plädieren für eine Kosten-Wahrheit im Verkehr"
Becker: Bevor wir auf die einzelnen Kostenverursacher zu sprechen kommen - ich würde gerne noch mal auf die Methodik gucken. Es geht Ihnen um die externen Kosten. Was genau sind das?
Flege: Externe Kosten sind Kosten, die nicht von den Verursachern dieser Kosten selber getragen werden. Natürlich heißt externe Kosten nicht, dass es fiktive Kosten sind oder imaginäre Kosten. Sie fallen schon tatsächlich an. Sie sind da! Damit kann man eigentlich von einer klassischen Fehlsteuerung im Markt sprechen. Wir als "Allianz pro Schiene" plädieren hier für eine Kosten-Wahrheit im Verkehr - dass derjenige, der Kosten verursacht, sie auch tatsächlich trägt.
Becker: Überwältigend hoch ist der Kostenverursachungsanteil des Straßenverkehrs. Der trägt Ihrer Studie zufolge zu mehr als 94 Prozent zu den Kosten bei. Dass der Straßenverkehr da kein kleines Licht sein würde, das hat man sich vorgestellt. Aber 94 Prozent, wie errechnen Sie das?
Flege: Ja, das ist einfach die schiere Masse des Straßenverkehrs. Der Flugverkehr, der ja in den vergangenen Wochen und Monaten sehr stark in der Diskussion war, mit den Inlandsflügen und Verlagerung von Flügen auf die Bahn und die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs, der kommt hier auf nur ein Prozent der gesamten externen Kosten. Das liegt einfach daran, dass viel, viel mehr Menschen in Deutschland natürlich mit dem Pkw unterwegs sind, als Inlandsflüge zu nutzen. Und wenn man die Milliarden zusammenzählt, dann kommt man auf so ein Verhältnis.
Schaut man sich die einzelnen Verkehrsträger in Relation an, wieviel externe Kosten fallen an pro transportierter Tonne im Güterverkehr oder pro transportierter Person, dann merkt man schon, dass sich die Verkehrsträger deutlich unterscheiden pro Leistungseinheit, und da ist dann der Flugverkehr teurer für uns alle, gesellschaftspolitisch teurer, volkswirtschaftlich teurer als der Straßenverkehr. Aber noch besser schneiden Bus und Bahn ab.
"Die Kfz-Haftpflichtversicherungen sind komplett raus"
Becker: Um noch mal auf den der Menge nach größten Kostenverursacherblock zu gucken: auf den Straßenverkehr. Da haben Sie es schon angesprochen. Ein ganz dicker Block wieder in diesem Kostenblock Straßenverkehr, das sind die Folgekosten durch Unfälle.
Flege: Ja!
Becker: Jetzt haben wir immer gelernt, dass die Unfallzahlen nach Schwere und Häufigkeit zurückgehen. Aber trotzdem ist das so ein erheblicher Kostenbelastungsblock?
Flege: Die Zahl der tödlichen Unfälle geht über all die Jahre gesehen in der Tat zurück. Das hängt mit der Unfallmedizin zusammen, mit Sicherheitseinrichtungen im Auto. Was nicht zurückgeht ist die Zahl der Verletzten. Wir haben auch sehr viele Schwerverletzte. Früher wären die vielleicht ohne die Fortschritte in der Medizin oder bei der Sicherheitstechnik in des Pkws gestorben bei ein und demselben Unfall. Jetzt sind sie schwer verletzt, teilweise dann auch ein Leben lang im Rollstuhl oder schwerbehindert, und das sind dann Folgekosten, die über Jahre und Jahrzehnte anfallen, und die Kfz-Haftpflichtversicherungen sind da komplett raus aus diesen jahrzehntelangen Folgekosten. Das wird dann am Anfang über die Krankenkassen und wenn es dann längere Unfall-Folgeschäden sind, wird das dann von den Berufsgenossenschaften und den Rentenkassen bezahlt.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Becker: Weil Sie das Stichwort Kostenwahrheit angesprochen haben - wie theoretisch teuer müsste denn dann Autofahren sein und wie sollte das bezahlt werden?
Flege: Das eine ist die reine Lehre, die ökonomische Wahrheit, sage ich mal, und da kommen dann gigantische Zahlen heraus. Das andere ist die Realpolitik. Wir reden hier über Etappen, wir reden über kleine Schritte auf dem Weg dahin. Wichtig ist, dass man sich in diese Richtung bewegt, um die ökonomisch richtigen Anreize zu setzen. Das hat ja auch eine soziale Gerechtigkeitskomponente. Warum soll die Krankenschwester, die kein Auto hat, für Straßenverkehrsunfälle bezahlen, die vielleicht ihr Chefarzt im SUV verursacht hat? Das ist ja nicht sozial gerecht, und in diese Richtung sich zu bewegen, das ist, glaube ich, aller Ehren wert.
Becker: Aber Sie würden jetzt auch selber nicht so weit gehen, dass Sie sagen, wir definieren einen völlig neuen Preis fürs Autofahren?
Flege: Nein! Wir als "Allianz pro Schiene" sowieso nicht. Wir haben ja auch diese Studie nicht selber erstellt. Das haben Wissenschaftler aus der Schweiz gemacht. Die sind beim Thema externe Kosten viel, viel weiter als wir hier in Deutschland. Wir sind auch da ganz hintendran und in den Kinderschuhen. Wir sind da ganz am Anfang und noch frisch im Denken und haben riesen Nachholbedarf, uns überhaupt mit der Thematik zu beschäftigen.
Becker: Sehr harmlos bei den externen Kosten kommt die Schiene daher. Das wundert nicht, denn "Pro Schiene", der Auftraggeber, ist ja als Bündnis aus Umweltverbänden, auch aus 150 Unternehmen aus der Eisenbahnbranche ein - ich meine das wertfrei - Lobbyist für die Schiene.
Flege: Genau.
Platz eins im Personenverkehr ist der Bus
Becker: Könnte das nicht mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der Studie schwierig sein, so ein deutlicher Gunstbeweis für die Schiene – nur zu knapp vier Prozent für die Folgekosten verantwortlich?
Flege: Nein, überhaupt nicht. Natürlich sind wir ein Lobbyverband für die Schiene, aber ich kann Ihnen sagen, es gibt auf EU-Ebene diverse Studien, auch jüngeren Datums, zu dieser Thematik. Alle kommen sie zu demselben Ergebnis: Die Schiene ist um Klassen besser als der Straßen- oder der Flugverkehr. Dass wir hier der Aufklärung verpflichtet sind als gemeinnütziges Verkehrsbündnis, das sehen Sie unter anderem daran, dass auf Platz eins im Personenverkehr nicht die Schiene steht, sondern der Bus. Der schneidet sogar leicht besser ab, wenn man alle externen Kosten berechnet, als die Eisenbahn. Das haben wir trotzdem gerne mit veröffentlicht, dieses Ergebnis. Daran sehen Sie, dass es hier nicht um Klientel- und Lobbypolitik geht, sondern um Aufklärung und Politikberatung.
Becker: Aber ein bisschen weh getan hat das schon, oder?
Flege: Nein, mir tut das überhaupt nicht weh. Der Bus ist auch energiesparend, er ist Teil des Umweltverbundes, und ich glaube, wir müssen uns primär beim Flugzeug, beim PKW und beim LKW aufhalten, wenn wir in Richtung Änderungen nachdenken, und nicht beim Bus.
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