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Studie
Diskriminierung auf dem Ausbildungsmarkt

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat für eine Studie identische Bewerbungen jeweils mit einem türkischen und einem deutschen Namen verschickt. Das Ergebnis: Bewerber mit einem türkischen Namen wurden wesentlich seltener direkt zum Vorstellungsgespräch eingeladen.

Von Kemal Hür |
    Muhammed Akkurt, 18 Jahre alt. Der große schlanke Mann ist Auszubildender bei einem deutschen Autohersteller. Er ist im zweiten Lehrjahr. Muhammed hat den Mittleren Schulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,0. Trotzdem war es ein harter Kampf, erzählt er, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
    "Ich habe circa 20 bis 25 Bewerbungen geschrieben. Circa sechs bis sieben davon wurde ich auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Im Nachhinein auch zu einem Einstellungstest. Bei VW hat's dann geklappt."
    Muhammeds Eltern stammen aus der Türkei. Er selbst ist in Berlin geboren. Er möchte nicht daran glauben, dass für die Ablehnungen auf seine zahlreichen Bewerbungen seine Leistungen ausschlaggebend waren. Muhammed fühlte sich bei jeder Ablehnung auch persönlich gekränkt. Denn er sah, wie seine deutschen Freunde mit schlechteren Noten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden – auch einer aus seiner Klasse, der sich bei denselben Firmen beworben hatte wie Muhammed.
    "In der Klasse habe ich einen Mitschüler. Der ist auch bei Volkswagen. Der hat vergleichsweise zu mir viel schlechtere Noten. Auch bei der Bewerbung hatte er viel schlechtere Noten und wurde gleich eingeladen - nicht nur bei VW, sondern auch bei BMW hat er sich beworben und bei Audi. Genau bei diesen Firmen hatte ich mich auch beworben, und da wurde ich nicht eingeladen."
    3.600 Bewerbungen wurden für die Studie verschickt
    Mit diesen Erfahrungen ist Muhammed kein Einzelfall. Die Diskriminierung, wie er sie erlebt hat, belegt nun eine repräsentative Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, die heute vorgestellt wurde. Für diese Studie wurden 3.600 identische Bewerbungen jeweils mit einem türkischen und einem deutschen Namen an knapp 1.800 Betriebe verschickt. Das Ergebnis deckt sich mit den persönlichen Erfahrungen von Muhammed Akkurt, sagt Jan Schneider, der Autor der Studie.
    "Da wird doch deutlich, dass die Bewerber mit einem türkischen Namen sehr viel häufiger eine direkte Absage bekommen. Sie werden auch häufiger komplett ignoriert. Vor allem kriegen sie wesentlich seltener direkte Einladungen zum Vorstellungsgespräch."
    Die Gründe für diese Benachteiligungen seien nicht direkt rassistisch motiviert. Vielmehr spielten gängige Vorurteile eine Rolle, so Jan Schneider.
    "Wenn ein Hotelier zum Beispiel denkt, dass seine Kunden eine Person mit dunkler Hautfarbe oder sehr dunklen Haaren an der Rezeption nicht akzeptieren würden, dann tendiert er sichtlich dazu, so eine Person dort nicht einzustellen oder einzuladen, ohne aber zu wissen, ob tatsächlich seine Kunden diese Einstellung hätten."
    Sachverständigenrat fordert anonymisierte Bewerbungsverfahren
    Sollte nicht ein Umdenken stattfinden, hätte das gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, sagt Schneider.
    "Wenn ein türkischer Bewerber immer mehr Bewerbungen schreiben muss als ein deutscher, dann schlägt das vielleicht irgendwann zurück und führt dazu, dass er sagt, ich komme hier nicht zum Zug, ich hab keine Chancengleichheit. Mittel- und langfristig kann sich kein Unternehmen leisten, auf diese Potenziale zu verzichten."
    Ob Muhammed Akkurt schneller eingeladen worden wäre, wenn er sich anonym beworben hätte, wissen wir nicht. Die Forscher empfehlen aber, die Politik solle die Diskriminierung ressortübergreifend ernstnehmen und Ausbildungsplätze für alle garantieren. Des Weiteren fordern sie interkulturelle Schulungen für Unternehmen und anonymisierte Bewerbungsverfahren.