Das gegenwärtige föderale Bildungssystem ist aus Sicht einer erdrückenden Mehrheit der Eltern willkürlich und ungerecht – so fasst der Bildungsforscher Klaus Jürgen Tillmann die am Vormittag in Berlin vorgestellte Studie zusammen. Kinder sollten in ganz Deutschland die gleichen Chancen haben, unabhängig von Wohnort und Herkunft – so der Wunsch der befragten Mütter und Väter. Ein wichtiges Ergebnis:
"Wir haben gefragt, ob die Eltern der Meinung sind, dass man nicht mehr länderspezifische Abiturprüfungen macht oder kein länderspezifisches Abitur und haben das wirklich wahnsinnige Ergebnis bekommen: 92 Prozent der Eltern sind für ein bundesweites Zentralabitur. Unter den Experten ist das hochumstritten."
Bildungsföderalismus wird kritisiert
Ein bundesweites Zentralabitur – der Bundeselternrat greift diesen Wunsch auf, bekräftigt seine Forderung nach Abschaffung des Kooperationsverbots auch im Schulbereich. Andrea Spude, Vizevorsitzende des Bundeselternrats:
"Wir brauchen eigentlich einheitliche Ausgangsvoraussetzungen in allen Bundesländern. Die negativen Auswirkungen des Bildungsföderalismus müssen aufgegriffen, müssen angegangen werden."
Bereits zum dritten Mal wurden Eltern nach ihrer Meinung über bildungspolitische Streitthemen gefragt. Turboabitur – ja oder nein? Hier zeigt sich ein interessanter Trend, sagt Bildungsforscher Tillmann, einer der Studienautoren.
"Da gibt es nach wie vor eine hohe Präferenz von G9, aber der Wunsch, beides anzubieten, also G8 und G9, der hat sich in den letzten Jahren verstärkt."
Hier also ein Auftrag an die Bildungsminister, einen schnellen und einen langsamen Weg zum Abitur anzubieten. In Berlin zum Beispiel ist dies bereits möglich: Abitur in 12 Jahren auf dem Gymnasium, in 13 Jahren auf der Sekundarschule.
Skepsis beim Thema Inklusion
Dem Bundeselternrat liegt auch das Thema Inklusion am Herzen. Aus der Befragung geht hervor, dass Eltern nach wie vor skeptisch sind, was das Thema "Eine Schule für alle Kinder" angeht. Nur vier von zehn befragten Müttern und Vätern können sich einen gemeinsamen Unterricht von geistig behinderten und nicht behinderten Kindern vorstellen.
"Diese Befürchtungen, die da geäußert werden und die Widerstände, die es da gibt, die müssen auf jeden Fall aufgegriffen werden. Wir sehen da die Bildungspolitik in der Verantwortung, mit einer öffentlichen Informations- und Imagekampagne dem Inklusionsprozess mehr Akzeptanz zu verschaffen."
Überforderte Eltern?
Viele Eltern schwanken zwischen dem Wunsch nach Mitwirkung und Mitgestaltung der Schule einerseits und dem Gefühl von Überforderung andererseits. Sechs von zehn Befragten beklagen, dass sie vieles leisten müssen, was sie eigentlich als Aufgabe der Schule ansehen.
Ein Beispiel: die Paul-Maar-Grundschule am südwestlichen Stadtrand von Berlin wirbt mit einem attraktiven Ganztagsangebot. Der Unterricht endet regulär um 13.50 Uhr, danach können die 530 Kinder wählen: Seidenmalerei, Fußball, naturwissenschaftliche Experimente, Filzen, ein Voltigierkurs auf dem Reiterhof und, und, und. Insgesamt 29 Arbeitsgemeinschaften hat die Grundschule im Angebot – einzig und allein organisiert von den Eltern. Der Vorsitzende des Fördervereins Carsten Bevier ist sich sicher: Ohne uns wäre die Schule sehr viel unattraktiver.
"Ab 13.50 Uhr wäre die Schule dann beendet. Weil es niemanden gibt, weder in der Schule noch beim Schulträger, der das, was der Schulförderverein ab 14.00 Uhr macht, auffangen könnte."
Die Kinder können auch ihre Hausaufgaben in der Schule erledigen. Zeit und Raum ist dafür da, allerdings nur eine Aufsichtsperson und kein Pädagoge, der sich konkret um die einzelnen Kinder kümmert. Genau das ist das Problem, sagt der Bildungsforscher Klaus Jürgen Tillmann.
"Was uns ein bisschen Sorge macht: Wir haben ja eine zunehmende Zahl von Ganztagsschulen. Aber auch in den real existierenden Ganztagsschule sagen die Eltern: 'Wir müssen Sachen machen, die eigentlich Aufgabe der Schule ist, wo wir eigentlich gedacht haben, dass die Ganztagsschule uns z.B. bei den Hausaufgaben entlastet.' Also: Die Entlastung für Eltern durch die Ganztagsschule tritt nicht in dem Maße ein, in dem wir das erwartet haben."
Neben der Elternkritik am deutschen Bildungssystem und an den Schulen gibt es auch Lob: Drei Viertel der Befragten halten die technische und räumliche Ausstattung der Schule ihrer Kinder für gut.