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Studie
Ergebnisse aus Tierversuchen werden oft nicht publiziert

Ein Drittel der Ergebnisse aus Tierversuchen wird laut einer Studie nicht veröffentlicht. Ein Grund dafür sei, dass sich Publikationen abseits der führenden Fachzeitschriften für Forscher kaum lohnen, sagte Studienautor Daniel Strech im Dlf. Dabei gebe es gute Alternativen für Veröffentlichungen.

Daniel Strech im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Ein Rhesusaffe hält sich am 10.03.2016 in der Tierhaltung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen (Baden-Württemberg) an einem Gitter fest.
Tierversuche sind ethisch umstritten, Forschungsergebnisse bleiben dennoch häufig ungenutzt (Marijan Murat/dpa picture alliance)
Uli Blumenthal: Sind Tierversuche noch notwendig, und wenn ja, wofür? Wie kann bessere Forschung die Zahl der Tierversuche reduzieren? Welche Alternativen stehen zur Verfügung? Tierversuche in der Forschung werden in der Öffentlichkeit kontrovers und emotional diskutiert. Die Wissenschaft selbst geht bei dem Thema oftmals in Deckung. Im Fachjournal "PLOS one" ist jetzt eine Studie publiziert worden, nach der nur zwei Drittel der Forschungsergebnisse aus Tierversuchen auch veröffentlicht werden.
Professor Doktor Daniel Strech vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung an der Charité in Berlin ist der korrespondierende Autor der Studie, und ich habe ihn am frühen Nachmittag telefonisch gefragt, wo er die Hauptgründe dafür für sieht, dass 33 Prozent der Ergebnisse von Tierversuchen nicht veröffentlicht werden?
Daniel Strech: Das erste ist – und das ist nicht nur bei Tierforschung im Übrigen so, sondern auch bei Forschung mit Menschen, wo wir fast die gleiche Zahl haben, dass ein Drittel der abgeschlossenen Studien auch fünf Jahre nach Forschungsende noch nicht publiziert sind –, ein Hauptgrund ist, dass das Wissenschaftssystem das vollständige Publizieren von Forschungsergebnissen eigentlich nicht besonders honoriert.
Belohnt wird das Publizieren von in der Regel dann positiven, neuen Ergebnissen in führenden Fachzeitschriften, und diese führenden Fachzeitschriften möchten immer neue Storys haben, die meistens mit positiven Ergebnissen zusammenhängen. Wenn man es schafft, Ergebnisse in diesen führenden Fachzeitschriften zu publizieren, dann ist das für die wissenschaftliche Karriere sehr wichtig. Dann bekommt man auch für seine eigene Arbeitsgruppe, die man an einer Universität hat, vielleicht noch zusätzliches Geld, um weiter in diese Richtung forschen zu können.
Wichtig für die Forschung - aber nicht für die Karriere
Wenn man Ergebnisse hat, die zwar für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn eigentlich essenziell sind, aber vielleicht nicht die Vorannahme einer Studie bestätigen, also negativ sind, sagen manche, aber im Grunde vielleicht einfach auch nur nicht positiv waren, sind diese Ergebnisse für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sehr wichtig. Aber man kriegt sie nicht so gut in den besten Fachzeitschriften veröffentlicht, weil die da vielleicht weniger Interesse haben, die Lesenden das auch weniger gerne lesen. Dann fehlt einem entweder zum Beispiel Zeit, das trotzdem auch noch woanders zu publizieren, oder man merkt einfach, ich brauche es für meine wissenschaftliche Karriere nicht.
Es kann natürlich auch den Punkt geben, wir glauben allerdings, dass er weniger wirklich ursächlich ist, dass es eine Art Interessenkonflikt gibt, vielleicht die Ergebnisse nicht zu publizieren. Nicht, dass einem Zeit fehlt oder dass man sich keine wissenschaftlichen Meriten verdient mit dem Publizieren der Artikel, sondern es kann auch Fälle geben, wo man vielleicht selber als Wissenschaftler, als Wissenschaftlerin bereits eine spannende Theorie hat, die auch schon durch andere Studienergebnisse ganz gut gestützt ist, die selber auch für die wissenschaftliche Karriere entscheidend ist. Vielleicht werden auch schon medizinische Produkte entwickelt, die auf dieser Theorie basieren, und dann findet plötzlich eine Studie raus, dass ein bestimmtes Element dieser Theorie eigentlich doch nicht stichhaltig ist oder nicht funktioniert. Dann könnten natürlich auch solche eher akademischen oder auch finanziellen Interessenkonflikte eine Rolle spielen, solche Ergebnisse zurückzuhalten.
Blumenthal: Aber andererseits muss man sich fragen, also die Veröffentlichung auch negativer Ergebnisse würde ja auch eine unnötige Wiederholung von Tierversuchen vermeiden. Also liegt es nur an diesen dysfunktionalen Anreizen, oder gibt es noch andere Ursachen?
Strech: Die Tatsache, dass einem die Zeit fehlt oder dass das in Wissenschaftssystemen nicht ausreichend honoriert wird für die wissenschaftliche Laufbahn, das befreit einen natürlich weder aus wissenschaftlicher Perspektive noch aus ethischer Perspektive davon, die Ergebnisse trotzdem zu veröffentlichen. Also die Tatsache, dass ein Drittel der abgeschlossenen Studien bei Tieren nicht veröffentlicht sind, lässt sich dadurch nicht rechtfertigen, dass die Zeit fehlt. Es müssen Lösungen erarbeitet werden, die aber eben nicht nur von den Forschenden alleine kommen, sondern die von den Forschungsinstitutionen, den Forschungsförderern auch mitentwickelt werden müssen, damit sich das deutlich reduziert.
90 Prozent der Studien nicht replizierbar
Blumenthal: Wenn wir von einer Verzerrung bei der Publikation von Forschungsergebnissen mit Tierversuchen sprechen, kann man sagen, welchen Einfluss sie haben auf die Gestaltung, auf die Einleitung von Humanstudien oder andere klinische Studien? Also gibt es da irgendwelche Zahlen, gibt es da Belege für?
Strech: Ja, es gibt eine in den letzten fünf Jahren zugenommene Debatte, die insbesondere von Vertretern der forschenden Arzneimittelhersteller angestoßen wurde, dazu, dass dort eine, nicht die alleinige, aber eine Hauptquelle gesehen wird dafür, dass so oft Forschung am Menschen nicht funktioniert. Also oft zum Beispiel haben forschende Arzneimittelhersteller versucht, in ihren eigenen Laboren nochmals zu reproduzieren, was die Tierstudien an Ergebnissen gebracht haben, die in führenden Fachzeitschriften publiziert worden sind und aus den akademischen Laboren kamen und haben das in 90 Prozent der Fälle nicht geschafft. Und dann haben sie sich gefragt, woran kann das liegen, dass wir nur zehn Prozent der in den führenden Fachzeitschriften publizierten Tierstudien, die uns dann nahelegen, etwas am Menschen zu testen, dass wir nur zehn Prozent davon reproduziert bekommen in unseren Laboren.
Die haben da auf zwei Punkte abgehoben: Ein Punkt ist wahrscheinlich das selektive Publizieren von vorrangig positiven Ergebnissen. Und das Zweite ist, selbst wenn es publiziert ist, es oftmals Methoden nicht gibt, die man sich eigentlich wünschen würde, die im Tierversuch stattgefunden hätten, nämlich eine Verblindung bei der Ergebniserhebung, eine Fallzahlberechnung, dass man überhaupt ausreichend Tiere auch untersucht hat oder auch eine Randomisierung, also eine zufällige Verteilung der Tiere in die unterschiedlichen Experimentgruppen. Das sind alles Maßnahmen, die helfen würden, die Ergebnisse belastbarer und robuster zu machen. Das wird oft nicht gemacht. Zumindest kann man in den publizierten Artikeln sehen, dass dort in der Regel nicht beschrieben wird, dass es diese Punkte Randomisierung, Verblindung gegeben hat.
Es gibt Alternativen zu Fachzeitschriften
Blumenthal: Das deutsche Recht schreibt ja vor, dass Tierversuche von einer staatlichen Stelle genehmigt werden müssen. Wie würde Ihre Empfehlung jetzt lauten, brauchen wir eine Vorschrift, dass auch die Ergebnisse dann wirklich veröffentlicht werden? Kann man da sozusagen mit solchen Mitteln und Methoden auch nachhelfen?
Strech: Was genau der Gesetzgeber heutzutage schon erreichen kann, bin ich mir als Nichtjurist gar nicht sicher. Es gibt im Bereich der Forschung mit Menschen jetzt erste Entwicklungen dahingehend, dass zum Beispiel im britischen System, wo zum Beispiel der Wellcome Trust viele Forschungsprojekte fördert, das als eine Verpflichtung gesehen wird. Man darf nur dann Fördermittel bekommen, die auch öffentlich finanziert sind, wenn man sich verpflichtet, die Ergebnisse zu veröffentlichen, und hat man es ein bis zwei Jahre nach Studienende nicht geschafft, die Ergebnisse zu veröffentlichen, kann es zu Sanktionen kommen, die auch zum Beispiel dazu führen, dass man keine weiteren Anträge beantragen kann. Das ist aber ein Novum, was mir bislang nur für diesen britischen Forschungsraum bekannt ist.
An vielen Stellen werden ähnliche neue Überlegungen auch in anderen Ländern diskutiert, aber in letzter Konsequenz wäre das natürlich eine Möglichkeit. Es wäre allerdings sehr zu wünschen, dass es die akademische Forschung durch ihre Selbstregulierung schafft, dieses Problem deutlich zu minimieren. Da gibt es, glaube ich, auch gerade in Deutschland viele Aktivitäten aktuell, die sich darum bemühen, den Forschenden einfach Support zu geben, also ihnen anzuzeigen, wie sie denn Ergebnisse besser veröffentlichen können.
Wenn es die Fachzeitschriften nicht sind, die die Artikel annehmen, weil sie ihnen vielleicht nicht sexy genug sind von den Ergebnissen her, gibt es aber weitere Formate, wo man seine Ergebnisse publizieren kann. Es gibt Datenbanken, es gibt Repositorien, auf denen man seine Daten hochladen kann, es gibt Vorveröffentlichungen, sogenannte Preprints, die in der Physik seit Jahren etabliert sind, aber in der Medizin gerade erst bekannt werden, wo man also seine Ergebnisse hoch lädt, bevor man sie dann einer Fachzeitschrift schickt. Ich glaube, das sind so neue Entwicklungen, wo es die akademische Forschung selber schaffen könnte, aber sich auch bemühen muss, hier die Veröffentlichungsrate deutlich zu verbessern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.