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Studie "Eurostudent"
Nordeuropäer sind älter und studieren öfter mit Kind

Die Studierenden Europas sind sehr unterschiedlich: Eine neue vergleichende Befragung in 27 EU-Staaten gibt Hinweise, wie sich Elternhaus, Erwerbsdruck und Schule auswirken. In Deutschland etwa werde sehr früh vorsortiert, wer studiere, sagte Projektleiterin Kristina Hauschildt im Dlf.

Kristina Hauschildt im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Einen Sitzplatz sucht eine Studentin mit Kind, die sich am Dienstag (22.06.2010) im Audimax in der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) einen Vortrag im Rahmen der Climate Lecture 2010 anhören will. Die Nobelpreisträgerin Ostrom will laut Veranstalter mit dem Vortrag "Who Affects Climate Change" deutlich machen, dass die Fixierung auf ein globales Klimaschutzabkommen zu kurz greift. Foto: Rainer Jensen dpa/lbn | Verwendung weltweit
    Mit Kind im Hörsaal: Gibt es in Deutschland seltener als als in anderen europäischen Ländern (dpa)
    Michael Böddeker: Wie leben und arbeiten Studierende in Europa? Auskunft darüber gibt die neue Studie "Eurostudent", dafür wurden Studierende in 28 europäischen Ländern befragt. Projektleiterin ist Kristina Hauschildt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Schönen guten Tag!
    Kristina Hauschildt: Schönen guten Tag!
    Böddeker: Große Unterschiede gibt es offenbar zwischen den Studierenden in Europa – so die Kernaussage der neuen Untersuchung –, wo gibt es denn die größten Unterschiede?
    Hauschildt: Ganz einfach unterscheiden sich Studierende schon in ihrer Zusammensetzung. Das fängt an mit dem Alter: Da sehen wir sehr große Variationen. In dem Großteil der Länder sind die Studierenden so, wie man sich das aus deutscher Perspektive denkt, relativ jung, unter 25. Einige Länder, besonders im nordischen Bereich, fallen dann aber sehr heraus: Da liegt das Durchschnittsalter aller Studierenden bei 28 Jahren und älter. Deutschland liegt da so im Mittelfeld. Es gibt auch noch wesentlich jüngere Länder, aber Alter ist schon so ein Indikator, wo wir sehr große Unterschiede finden.
    Böddeker: Interessant – wie kommt das denn?
    Hauschildt: Das liegt zum Teil an den Studiensystemen, die manchmal es einfacher machen, zu einem späteren Zeitpunkt, also wenn Studierende oder potenziell Studierende älter sind, einfach wieder ins System sich einzugliedern. Zum Teil sind es auch Traditionen, wenn es einfach gang und gäbe ist, direkt nach der Schule, ohne irgendwie weitere Zwischenstationen, an die Hochschule zu gehen, und die Mehrheit der Studierenden macht das, hat man natürlich auch viel jüngere Studierende, als wenn es gesellschaftlich normaler ist, dass man ein Jahr ins Ausland geht oder irgendwas anderes macht oder erst mal arbeitet oder eine Familie gründet und dann zurückkommt. Also solche Muster stehen auch dahinter.
    Studieren mit Kind nicht sehr verbreitet, außer im Norden
    Böddeker: Familiengründung haben Sie gerade schon angesprochen. Das ist wahrscheinlich auch ein Faktor, der dann bei älteren Studierenden eine Rolle spielt, nehme ich an, oder?
    Hauschildt: Genau. Also da sehen wir den offensichtlichen Zusammenhang. Je älter die Studierendenpopulation im Durchschnitt ist, desto eher gibt es auch Studierende mit Kind. Es ist insgesamt nicht besonders verbreitet. Also in den meisten Ländern haben weniger als zehn Prozent der Studierenden Kinder, aber auch da, diese älteren Studienpopulationen in den nordischen Ländern teilweise hat bis zu einem Drittel der Studierenden Kinder. Das ist aus deutscher Perspektive jetzt auch nicht so das Erste, was man mit Studierenden verbindet, und da ergeben sich dann ja auch andere Bedarfe ans Studium.
    Böddeker: Und auch an die finanziellen Verhältnisse. Wenn man schon eine Familie hat, dann kostet das Geld, dann muss man wahrscheinlich auch mehr arbeiten, um sich das Ganze leisten zu können, oder?
    Hauschildt: Genau. Die studentische Erwerbstätigkeit ist auch ein Aspekt, den wir beleuchten mit unserem Bericht, und da sehen wir auch große Unterschiede. Tatsächlich haben wir jetzt auch noch einen Sonderbericht dazu rausgebracht. Man kann die Länder anordnen quasi in vier Gruppen. Es gibt so einige Länder, da ist Erwerbstätigkeit neben dem Studium ziemlich verbreitet. Also die meisten Studierenden tun das, aber in relativ begrenztem Umfang, also typische Studierendentätigkeiten oder so, und andere Länder, da kommt man mit dem, wenn man dann das Stundenbudget mal aufsummiert, quasi auf eine Vollzeiterwerbstätigkeit, mehr als eine 40-Stunden-Woche, teilweise bis zu 50 Stunden, die die Studierenden dann mit Studium und Arbeit beschäftigt sind, um auch ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
    Deutsche Studierende im Studium relativ häufig mobil
    Böddeker: Wie passt Deutschland insgesamt ins Bild? Wie geht es den Studierenden in Deutschland im Vergleich zu den meisten in Europa?
    Hauschildt: Es gibt so einige Muster, bei denen Deutschland sich einreiht: Wir haben, wenn man sich den sozialen Hintergrund der Eltern anguckt, in jedem Land gewisse Muster, dass Studierende aus nicht akademischem Elternhaus später ins Studium starten, überhaupt unterrepräsentiert sind, tendenziell eher einen Bachelor als einen Master machen und auch eher erwerbstätig sind und noch lauter andere Faktoren, die wir uns da angucken können. Da, muss man sagen, bildet Deutschland dann auch leider keine Ausnahme. Wo Deutschland mal auffällt, ist mit Blick auf Mobilität: Deutsche Studierende sind im Studium relativ häufig mobil, verglichen mit den anderen Eurostudent-Ländern, aber das ist das Schöne: In unserem Bericht kann man für jedes Thema, was man will, dann auch spezifisch den Blick auf Deutschland legen und vergleichen mit den anderen 27 Ländern.
    Böddeker: Und die vielen Faktoren wirken ja auch aufeinander, wenn in Deutschland vor allem Studierende an den Hochschulen sind, deren Eltern schon Akademiker waren, haben ja auch vielleicht mehr Geld und können sich das eher leisten, in ein anderes Land zu gehen für ein Auslandssemester.
    Hauschildt: Tatsächlich ist da der Zusammenhang, also insgesamt nicht nur in Deutschland, sondern dass die akademischen Eltern auch eher die finanziell gut situierten Eltern sind. Mit Blick auf die Mobilität ist es aber tatsächlich, dass das ein wichtiger Faktor auch ist, ob die Studierendenunterstützung, die es in einem Land gibt, ob die für die Studierenden mitzunehmen ist, also können die …, in Deutschland wäre es das BAföG, gibt es Auslands-BAföG, und das ist der Fall, und so was ist förderlich für die Mobilität. Es gibt in anderen Ländern den Fall, dass es einfach nicht möglich ist. Wer eine Unterstützung von staatlicher Stelle bekommt, darf sie nicht außerhalb des Landes mitnehmen, und das ist natürlich dann nicht gerade förderlich, ins Ausland zu gehen, wenn man dabei seine Unterstützung verliert.
    In Deutschland wird schon sehr stark vorsortiert
    Böddeker: In Deutschland spielt das Elternhaus nach wie vor eine große Rolle. Darüber gibt es auch andere Studien. Andere Länder sind da etwas durchlässiger, besagt auch Ihre Studie. Was können wir uns vielleicht von denen abschauen?
    Hauschildt: Wo Deutschland im internationalen Vergleich sich unterscheidet von vielen anderen Ländern, ist, dass einfach schon sehr stark vorsortiert wird, einfach vor der Hochschule. Also es ist ja so, in unserer Studie gucken wir uns nur das Studium als solches an und die Studierenden, die gerade da sind. Wir haben aber nicht Informationen darüber, welche überhaupt mögliche Studenten sind, wer macht überhaupt Abitur oder eine andere Hochschulzugangsberechtigung, und dadurch, dass Deutschland unterschiedliche Schulen schon auf Sekundarniveau hat und gar nicht jeder überhaupt erst Abitur macht, ist der Pool aus möglichen Studierenden, die dann an die Hochschulen kommen, schon relativ klein, und da gibt es ja andere Studien, die eben zeigen, dass Schulsysteme, die nicht diese Unterscheidung haben, eher dazu führen, dass dann auch mehr Leute eine Hochschulzugangsberechtigung erlangen.
    Böddeker: Laut der neuen Studie "Eurostudent" gibt es große Unterschiede bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Studierenden in 28 europäischen Ländern. Darüber gesprochen habe ich mit Projektleiterin Kristina Hauschildt. Vielen Dank für das Gespräch!
    Hauschildt: Bitte schön, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.