Eines macht Franz Walter gleich zu Beginn klar:
„Es gibt jetzt keinen Promikopf, der jetzt gleich rollen wird.“
Dem Göttinger Demokratieforscher geht es nicht um einzelne Personen, sondern ums große Ganze. Im Auftrag der Grünen hat sich Walter mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss Pädophile in den 80er Jahren auf die Partei hatten. Und er betrachtet dabei nicht nur die Grünen selbst, sondern die gesamte Debatte, die damals rund um dieses Thema stattfand. Forderungen, Sex von Erwachsenen mit Kindern zu legalisieren, bezeichnet Walter als Achillesferse des Linksliberalismus. Der habe Diskurse geführt über Emanzipation, Freiheit und Demokratisierung.
„Und in diesen Punkten, die wir ja alle sehr schön finden, gehört dann eben auch eine Form von Befreiung hinzu eben der sexuellen Bedürfnisse, der Entgrenzung – oder sie können auch sagen der Deregulierung, die dann zu Lasten in diesen Fallen des Kindes ging.“
...und die ihren Einzug in die Programmatik der neugegründeten grünen Partei fand. Für Walter bedeutet das aber nicht den Beginn, sondern das Finale der Entwicklung. Als Sammelbewegung haben die Grünen Positionen Pädophiler zum Teil unreflektiert in ihre Programme genommen, und damit, so Walter, Minderheiten ideologisch veredelt. Die konkrete Verantwortung der Grünen sieht Walter darin, dass sie als Partei handelten und Parteien an der Willensbildung mitwirken.
„Es geht nicht nur um Meinungsbildung, sondern der Begriff ist sehr stark: Willensbildung, das heißt, Meinungen mitwirken, damit es in einen Willen, der sich in Gesetze dann ummünzen kann, passieren kann.“
Zu spät Verantwortung übernommen
Viel zu spät hätten sich die Grünen von den Forderungen distanziert, räumt die Parteivorsitzende Simone Peter ein. Und viel zu spät erst hätten sie die Verantwortung dafür übernommen:
„Wir entschuldigen uns deshalb nochmals bei den Opfern sexuellen Missbrauchs, die sich durch die grünen Debatten der 80er Jahre in ihrem Schmerz und in ihrem Leid verhöhnt fühlten. Und wir bedauern zutiefst, dass Täter unsere Beschlüsse als Legitimation ihrer Taten empfunden haben können.“
Neben Professor Walter beschäftigen sich auch die Grünen selbst mit der Aufarbeitung. Simone Peter leitet eine Arbeitsgruppe des Bundesvorstands, die im Gegensatz zu den Wissenschaftler auch versucht hat, mit möglichen Opfern in Kontakt zu treten. Es gibt eine E-Mail-Adresse und eine Hotline, über die Betroffene sich an die Grünen wenden können.
„Unter den bisher rund zwei Dutzend Rückmeldungen vorwiegend per E-Mail fanden sich auch vier von Betroffenen sexuellen Missbrauchs. In drei Fällen gab es keine unmittelbare Verbindung zur grünen Partei. In einem Fall hat sich der Betroffene bisher nicht näher zu den Umständen des Missbrauchs äußern wollen.“
Vorwürfe waren im Bundestagswahlkampf laut geworden
Die Debatte um pädophile Strömungen bei den Grünen in den 80er Jahren hatte die Partei im vergangenen Jahr im Bundestagswahlkampf schwer getroffen und zum eher mageren Ergebnis beigetragen. Kurz vor der Wahl hatte Franz Walter veröffentlicht, dass der damalige Spitzenkandidat Jürgen Trittin Anfang der 80er Jahre für ein Kommunalwahlprogramm presserechtlich verantwortlich war, in dem gefordert wurde, sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei zu stellen. Außerdem stand der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, schwer unter Beschuss. Er hatte Ende der 80er Jahre in einem Aufsatz gefordert, die Pädosexualität zu entkriminalisieren. Inzwischen hat sich Beck deutlich von dem Text distanziert und sich entschuldigt.
Mit dem heute vorgelegten Abschlussbericht soll das Thema nicht beendet sein, versichert die Parteichefin. Die Debatte solle weiter geführt werden, unter anderem auf dem Parteitag in der kommenden Woche. Auch Franz Walter sagt, jederzeit könne es neue Ergebnisse geben, etwa wenn sich Opfer meldeten.