Michael Böddeker: Hochbegabte Kinder und Jugendliche kommen in normalen Klassen nicht so gut zurecht, und deshalb sollten sie in speziellen Klassen für Hochbegabte besonders gefördert werden. Das ist die eine Meinung. Die anderen sagen dagegen, Hoch- und Normalbegabte sollten am besten zusammen lernen, so haben dann beide was davon und sie lernen viel voneinander. Meinungen sind die eine Sache, aber man kann das Ganze natürlich auch wissenschaftlich untersuchen und erst mal auf die Fakten schauen. Das haben Bildungsforscher gemacht, sie haben 16 Begabtenklassen an Gymnasien in Bayern und Baden-Württemberg über Jahre hinweg begleitet und mit hochbegabten Schülerinnen und Schülern in Klassen verglichen. Einer der Leiter der Studie mit dem Namen Pulss ist der Entwicklungspsychologe Wolfgang Schneider aus Würzburg. Ihn habe ich nach dem Ergebnis der Untersuchung gefragt: Was bringen Hochbegabtenklassen?
"Im Leistungsbereich sind die Begabtenklassen deutlich weiter"
Wolfgang Schneider: Nun, wir haben ja über mehrere Jahre hinweg versucht herauszufinden, ob Begabtenklassen – wir sagen immer Begabtenklassen – einen Vorteil haben gegenüber regulären Gymnasialklassen, gerade für die Hochbegabten, und wir haben das in zwei Teilen gemacht.
In der Klassenstufe 5 bis 7 haben wir sehr, sehr deutliche Vorteile gefunden für die Begabtenklassen in allen Leistungsbereichen, aber auch im sozio-emotionalen Bereich, in Motivation, Selbstbild und so weiter, und wir haben erst kürzlich eine Nachuntersuchung abgeschlossen in der 10. Klassenstufe. Da haben wir so ein gewisses Problem, dass nicht mehr alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden konnten, die Stichprobe ist also insgesamt kleiner, allerdings haben wir den Trend der ersten Phase auch da wieder so gefunden, das heißt, im Leistungsbereich sind eigentlich die Begabtenklassen deutlich weiter. Im sozio-emotionalen Bereich haben sie auch teilweise Vorteile, was wir eigentlich so nicht erwartet hatten.
Böddeker: Vielleicht können wir das Ganze noch so ein bisschen aufschlüsseln, also in welchen Fächern, in welchen Schulformen und in welchen Klassenstufen zeigen sich da besonders Vorteile?
Schneider: Wir haben zunächst mal die Sekundarstufe 1 des Gymnasiums untersucht, die Klassenstufen 5 bis 7. Da war es eigentlich durchgehend so, dass deutliche Vorteile der Begabtenklassen gegenüber den Parallelklassen in den Bereichen Mathematik, Deutsch, Englisch, Biologie gefunden werden konnten. Das ist nur nicht so wahnsinnig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Schüler der Begabtenklassen auch einen deutlich höheren IQ hatten.
Wir haben dann aber auch noch mal in beiden Klassentypen Untergruppen gebildet von solchen Schülerinnen und Schülern, die besonders intelligent waren, um zu sehen, ob die Hochbegabten in Regelklassen ähnlich gut vom Unterricht dort profitieren wie die in den Begabtenklassen. Und auch da haben wir noch mal Vorteile der Begabtenklassen gefunden, in mehreren Bereichen. Das Ergebnis ist jetzt in der Nachuntersuchung der 10. Klasse nicht mehr ganz so deutlich herausgekommen, weil eben die Stichprobe kleiner war, allerdings haben wir den Gesamttrend auch wieder so bestätigt.
"Sehr gutes Selbstbild der eigenen Fähigkeit in Mathematik"
Böddeker: Und wenn man den höheren IQ jetzt einfach rausrechnen würde, gibt's dann immer noch Vorteile?
Schneider: Genau, das haben wir sogar gemacht, und dann finden wir immer noch Vorteile in den Bereichen Mathematik, Englisch und Lesegeschwindigkeit, nicht mehr so sehr im Bereich Lesekompetenz. Aber wir haben auch noch mal weitergeguckt und gesehen, dass gerade im Bereich Mathematik die Mädchen der Begabtenklassen nicht nur leistungsmäßig sehr stark sind, sondern auch ein sehr gutes Selbstbild der eigenen Fähigkeit in Mathematik haben – das findet man in den Regelklassen so nicht.
Böddeker: Ist das denn ein großer Unterschied zu den Begabten, die in den normalen Klassen sind?
Schneider: Der ist numerisch gesehen da, der ist nicht sonderlich groß, und wir haben das auch so dargestellt, dass wir denken, dass auch die meisten Hochbegabten in Regelklassen eigentlich zurechtkommen können, das ist also nicht das Problem. Als wir die Studie begonnen hatten, wussten wir nicht so genau, ob Hochbegabte in den Regelklassen des Gymnasiums eigentlich noch richtig mitspielen können, gerade wenn man bedenkt, dass etwa 50 Prozent eines Altersjahrgangs inzwischen das Gymnasium besucht und das Lerntempo insgesamt ein bisschen langsamer geworden ist. Wir hatten die Vermutung, dass die Hochbegabten sich da möglicherweise langweilen in den Klassen, das haben wir so auch nicht bestätigen können.
Böddeker: Das heißt, Hochbegabte kommen in beiden Kontexten gut zurecht?
Schneider: Im Wesentlichen kommen sie in beiden Kontexten zurecht. Wir denken, dass sie eben dann auch bestimmte Vorteile in den Begabtenklassen haben, wenn sie in den Grundschulen so eine problematische Schulkarriere begonnen haben und die Schule so ein bisschen ein Problem darstellt. Da werden sie besser aufgefangen.
Böddeker: Welches Fazit und welche Empfehlungen ergeben sich da jetzt aus Ihren Forschungsergebnissen?
"Empfehlen, solche Begabtenklassen weiterzuführen"
Schneider: Ich denke, dass man auf jeden Fall empfehlen kann, solche Begabtenklassen weiterzuführen. Wir finden, dass gerade im sozio-emotionalen Bereich im Hinblick auf Klassenklima, Lerngemeinschaft da sehr positive Rückmeldungen von den Schülerinnen und Schülern kommen, die vorher in der Grundschule überhaupt nicht so begeistert waren.
Wir finden im Leistungsbereich Vorteile, das heißt, wir denken, dass sich dieses Modell, was da in Baden-Württemberg und Bayern begonnen worden ist, eigentlich als sehr sinnvoll erwiesen hat. Wir denken nicht, dass das jetzt in unbegrenzter Form erweitert werden sollte, denn so viele Hochbegabte gibt es auch nicht, aber dass man zumindest diese Möglichkeit für Hochbegabte weiterhin nutzen sollte.
Böddeker: Andererseits könnte man ja befürchten, dass Hochbegabte, wenn die unter sich bleiben und vielleicht dann auch tendenziell aus elitäreren Elternhäusern kommen, dass die sich so ein bisschen abkapseln von anderen Schülern, die sie in normalen Klassen kennenlernen würden.
Schneider: Nun gut, in diesen Modellversuchen ist es ja so, dass ab der 11. Klassenstufe die wieder zusammengeführt werden mit den regulären Schulklassen, und da haben wir auch mal nachgefragt, wie sich das denn so entwickelt. Das läuft im Prinzip eigentlich sehr gut. Die sind ja auch vorher schon im Sportunterricht, Musikunterricht, Kunstunterricht mit den Parallelklassen zusammen, also ich denke, das Problem ist, glaube ich, insgesamt überschätzt worden.
Der Trend gelte für alle Schulen
Böddeker: Die Größe der Stichprobe haben Sie eben schon angesprochen, es sind insgesamt Daten von über tausend Schülerinnen und Schülern eingeflossen – ist diese Stichprobe insgesamt groß genug, dass man daraus klare Ergebnisse herausziehen kann?
Schneider: Ich denke schon, insofern auch, als wir sehr, sehr gleichförmige Ergebnisse in Baden-Württemberg, in Bayern über die verschiedenen Schulen hinweg haben, da ist überhaupt kein Ausreißer dabei. Also der Trend, den wir finden, den finden wir eigentlich in allen Schulen.
Böddeker: Sagt der Entwicklungspsychologe Wolfgang Schneider aus Würzburg. Er hat in seiner Studie pulss untersucht, welche Vorteile Förderklassen für begabte Schüler im Gymnasium bringen. Das Ergebnis: Es gibt zwar gewisse Vorteile, aber hochbegabte Schüler kommen auch in normalen Klassen gut zurecht.
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