Orangensaft darf nicht fehlen auf dem Frühstückstisch:
"Jeden Morgen, 150 Milliliter!"
Reinhold Carle ist Professor für Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel an der Universität Hohenheim bei Stuttgart – und hat sich ein wichtiges Ziel gesetzt: die Ehrenrettung des Orangensaftes. Der nämlich war in den vergangenen Jahren wegen seines Zuckergehaltes ziemlich in Verruf geraten, nach entsprechenden Einwänden der britischen Lebensmittelforscherin Susan Jebb:
"Die schlägt vor, eine Sondersteuer darauf zu erheben. Und sie hat veranlasst, dass der Orangensaft bei Kinderhorten und Kindergärten herausgenommen worden ist. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden: Orangensaft enthält doch neben Zucker noch andere Wertstoffe."
Ehrenrettung des Orangensafts
Zum Beispiel das wertvolle Vitamin C und eine Reihe anderer gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe. Und genau die nimmt der menschliche Körper über den Konsum von Orangensaft viel besser auf als durch den Verzehr der Roh-Orange. Dies ist das Ergebnis einer unabhängigen Studie der Hohenheimer Wissenschaftler. Grundlage dazu bildete eine Untersuchung über eine ganz andere Frucht:
"Wir wissen es schon von der Karotte, dass zum Beispiel Rohköstler, die die Karotte unerhitzt zu sich nehmen, wenig Karotin aufnehmen können. Warum? Weil nach der Hitze ein Teil des Karotins in Fett gelöst ist."
Will heißen: Erst dann, wenn Karotten erhitzt werden, wird das in den Möhren enthaltene Karotin frei, aus dem sich im menschlichen Körper Vitamin A bildet.
"Und es war durchaus zu erwarten, dass beim Orangensaft durchaus Erhitzungsverfahren oder auch Zerkleinerungsverfahren zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Inhaltsstoffen beitragen können."
Wertvolle Inhaltsstoffe werden erst bei der Versaftung frei
Will heißen: Was bei Karotten funktioniert, sollte eigentlich auch bei den Orangen möglich sein: Dass nämlich wertvolle Inhaltsstoffe erst nach der Verarbeitung unter Hitzeeinwirkung frei werden – bei der Versaftung. Um dies nachzuweisen, setzten die Hohenheimer Lebensmittelforscher zwei Studien an: Einmal wurden die freigesetzten Inhaltsstoffe nach Verarbeitung zu Orangensaft im Labor gemessen. In einer zweiten, klinischen Studie mussten Versuchspersonen wechselweise Orangen roh essen und Orangensaft trinken. Wichtigstes Ergebnis:
"Durch das Abtrennen von Ballaststoffen wird die Bioverfügbarkeit dieser Inhaltsstoffe stark erhöht."
So Julian Aschoff, Mitglied der Hohenheimer Forschergruppe. Die Formel heißt also: Das, was an Gesundem in den Orangen drin ist, wird erst durch die Versaftung so richtig freigesetzt. Das betrifft nicht nur Vitamin C, sondern auch die in den Orangen enthaltenen Carotine, erklärt Ralf Schweigger vom Hohenheimer Expertenteam:
"Genau diese Inhaltsstoffe werden aus Orangensaft leichter aufgenommen als aus frischen Orangen."
Saft enthält mehr gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe
Christiane Manthey, Abteilungsleiterin für Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, kann das nur bestätigen:
"Die Studie sagt ja ganz besonders, dass sich die Aufnahme der Carotinoide verbessert, wenn man die Orange zum Saft aufbereitet. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen, also beispielsweise vom Lycopin, das in der Tomate vorkommt."
Und auch bei zahlreichen anderen Obstsorten könne man davon ausgehen, dass der Saft mehr gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe enthält als die Rohfrucht:
"Ich würde bei Carotinoiden die Vermutung wagen, dass es auch bei den übrigen Früchten so ist. Und Carotinoide kommen bei allen sehr stark gefärbten Früchten und Gemüsen vor, sodass ich das hier eventuell schon verallgemeinern würde."
Allerdings fehlen hierzu noch die entsprechenden Studien, wie sie Professor Carle und sein Team nun beim Orangensaft vorgenommen haben. Er ermuntert daher zu nachhaltigem Orangensaftkonsum, wenn auch nicht gleich literweise. Denn ein Problem lasse sich nun mal nicht wegdiskutieren: der hohe Zuckergehalt. Allerdings:
"Das hängt mit der Aufnahmekinetik sehr stark zusammen. Der Zucker ist zwar enthalten. Aber er ist in einer anderen Form enthalten, als wenn Sie Zucker in Kaffee lösen."
Bei Saft auf "100 Prozent Fruchtgehalt" achten
Demnach gelangt der Fruchtzucker beim Orangensaft nur nach und nach in den Körper und nicht, wie beispielsweise beim gezuckerten Kaffee oder Tee, sofort. Anders verhält es sich dagegen, wenn statt "Orangensaft" "Orangennektar" oder "Fruchtsaftgetränk" auf der Packung steht. Dann ist Vorsicht geboten. Dann nämlich ist der Fruchtsaft mitsamt allen Inhaltsstoffen häufig mit Wasser verdünnt – und mit Zucker angereichert.
In diesem Fall, so die Hohenheimer Forscher, gebe es keinen Vorteil mehr zur Rohfrucht. Sie appellieren daher an die Verbraucher, auf die Aufschrift "100 Prozent Fruchtsaftgehalt" zu achten, wenn sie auf eine optimale Wirkung der Inhaltsstoffe Wert legen.