Um in der Corona-Pandemie mitunter weitrechende Entscheidungen treffen zu können, haben sich Akteure der Bundes- und Landespolitik regelmäßig Hilfe vonseiten externer Fachleute geholt. Forscherinnen am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in München haben diese Gremien in einer Studie in den Blick genommen.
Dabei hat das Team auch untersucht, aus welchen Disziplinen sich die beratenden Gruppen im Jahr 2020 zusammensetzten oder wie es um die Geschlechtergerechtigkeit bestimmt war. Bevor die LMU-Forscher aber beginnen konnten, die Daten auszuwerten, gab es ein Problem: an diese Daten heranzukommen.
"Es war es für uns wirklich herausfordernd, mehr Informationen über die Arbeitsweise und die Arbeitsinhalte dieser Gremien herauszufinden", sagte Kerstin Sell im Deutschlandfunk. Das Team um die Wissenschaftlerin der LMU München hat sich sogenannte Kleine Anfragen der Parteien an die Parlamente angeschaut, die im Kontext der Pandemie standen.
Zusätzlich haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigene Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an zuständige Behörden gestellt sowie zahlreiche Pressemitteilungen von Landesregierunen und Bundesministerien ausgewertet. Insgesamt wurden so mehr als 10.000 Dokumente gesichtet. Trotz gestellter Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetzt, das es erleichtern soll, amtliche Akten einzusehen, war die Erfolgsquote für das Forscherteam nur mäßig gut: Sell und ihre Kolleginnen hätten aus Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie vom Bundesministerium für Umwelt keine Antworten erhalten, berichtet die Forscherin rückblickend.
Kerstin Sell: "Aber wenn wir dann genauer nachgeschaut haben: Wie arbeiten die? Zu welchen Themen wird beraten? Wie werden diese Themen eigentlich genau in die Politik gespielt? Zu diesen Punkten haben wir sehr wenig Informationen gefunden."
Die Münchener Forscherinnen konnten insgesamt 21 externe Gremien identifizieren, die im Jahr 2020 zehn Bundesländer und vier Bundesministerien unterstützt haben.
Diese Anzahl ist insofern erstaunlich, weil es nur in zwei Pandemieplänen der Länder sowie im nationalen Pandemieplan vorgesehen ist, ein solches Expertengremium einzuberufen. Sell: "Das hat uns gezeigt, dass dieses externe Expertengremium ein sehr beliebtes Instrument der Politik war, um sich in der Pandemie beraten zu lassen."
Die Forschenden aus München konnten aufzeigen, dass die Gremien zu Beginn der Pandemie sehr wissenschaftlich geprägt waren. "Am häufigsten waren biomedizinische Fachbereiche wie Virologie, Krankenhaushygiene, Medizin und Biologie vertreten", wie es in der Studie heißt.
Vor dem Hintergrund öffentlicher Bilder wie Rettungswagen-Kolonnen vor italienischen Krankenhäusern sei der anfängliche Fokus auf die medizinische Versorgung erst einmal nicht überraschend gewesen, so Sell. Dennoch habe später eine leichte inhaltliche Verschiebung bei der Wahl der Gremien stattgefunden – hin zu Disziplinen, die sich "mit den sogenannten Nebenwirkungen der Maßnahmen" beschäftigten, wie etwa gesellschaftlichen Spaltungsprozessen. Auch die Art der Kommunikation der Pandemie sei zunehmend wichtiger geworden, erläuterte Sell im Dlf.
Aus den nicht-medizinischen Bereichen fanden sich in den beratenden Gremien zum Beispiel Fachleute aus den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften, aber auch einige nicht-wissenschaftliche Expertinnen waren vertreten. Dennoch fällt Kerstin Sells Fazit eindeutig aus: "In den Gremien, die wir Ende 2020 gesehen haben, war noch Luft nach oben, um mehr diverse Disziplinen einzubinden, mehr dafür zu sorgen, dass alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert sind, um eben auch Praxis und die Sicht von Bürgerinnen und Bürgern mit einzubinden."
Nur rund ein Viertel der in den Gremien Mitwirkenden waren Frauen (26 Prozent). In zwei Gremien in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg waren überhaupt keine Frauen in den Räten vertreten.
Quellen: Kerstin Sell, LMU München, Deutschlandfunk, jma