Michael Böddeker: Die Jugend, die ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Das behaupten zumindest seit der Antike viele derjenigen, die ihre Jugend schon eine Weile hinter sich gelassen haben. Aber wie tickt die Jugend in Deutschland wirklich? Das herauszufinden, ist immer wieder Ziel der Shell-Jugendstudie. Schon seit den 1950er-Jahren wird die alle drei bis fünf Jahre durchgeführt, und auch in diesem Jahr war es wieder so weit. Rund 2.600 Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren wurden dafür befragt. Heute wurden in Berlin die aktuellen Ergebnisse vorgestellt. Einer der Autoren der Studie ist Ingo Leven von TNS Infratest Sozialforschung in München. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, was denn in diesem Jahr die Hauptergebnisse sind.
Ingo Leven: Die Shell-Jugendstudie 2015 zeigt eine Jugend, die weiterhin pragmatisch ist, die sehr zukunftsorientiert ist und sehr anspruchsvoll.
Böddeker: Das heißt, die schaut durchaus optimistisch in die Zukunft?
Leven: Die Jugend heute ist deutlich optimistischer als noch vor fünf Jahren. Der persönliche Optimismus, was die eigene Zukunft betrifft, ist leicht gestiegen. Wir haben 61 Prozent der Jugendlichen, die optimistisch in ihre eigene Zukunft blicken. 2010 waren es noch 59 Prozent. Aber was besonders bemerkenswert ist, ist, dass die Zuversicht, was die gesellschaftliche Zukunft betrifft, noch mal deutlich gestiegen ist, das heißt, das erste Mal seit 2002 haben wir wieder eine Jugendgeneration aufdecken können, die mehrheitlich optimistisch auch ist, wenn es um die gesellschaftliche Zukunft geht.
Böddeker: Ein sehr großer Teil der Befragten ist ja noch nicht berufstätig, sondern hat den Einstieg in den Beruf noch vor sich. Im Hinblick darauf, worüber machen sich die jungen Menschen Gedanken, zum Beispiel was Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht.
Leven: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für die jungen Menschen ein ganz, ganz großes Thema. Sie haben das ganz klar vor Augen, dass das etwas ist, was sie im Berufsleben auf jeden Fall suchen wollen. Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen halten es für wichtig, dass Familie und Kinder nicht zu kurz kommen dürfen wegen des Berufs.
Ganz hoch im Kurs bei den Jugendlichen: der sichere Arbeitsplatz
Böddeker: Das ist also wichtig. Aber der Kinderwunsch, wie sieht es da aus? Wollen die jungen Menschen Kinder haben und glauben sie, dass das vereinbar ist mit dem Beruf?
Leven: Da müssen wir feststellen, dass der Kinderwunsch in Deutschland leicht rückläufig ist seit 2010. Nur noch knapp zwei Drittel der Jugendlichen wünschen sich eigene Kinder in ihrem Leben. Das sind fünf Prozent weniger als noch 2010. Das heißt, hier müssen wir feststellen, dass die Jugendlichen sehr kritisch bewerten, dass den eigenen Kinderwunsch zu realisieren doch nicht so einfach möglich ist. Vor allem, weil sie auch erkennen, was die Eltern ihnen vorgelebt haben, das empfinden sie als sehr positiv, aber natürlich auch als eine hohe Anspruchshaltung an sich selber, den eigenen Kindern das auch bieten zu können, und hier sind sie eher zurückhaltend.
Böddeker: Wie sieht es generell aus, was das Thema Arbeit angeht? Wie wichtig ist den Befragten ein sicherer Arbeitsplatz?
Leven: Der sichere Arbeitsplatz steht bei den Jugendlichen ganz hoch im Kurs. Das ist noch wichtiger sogar als die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier sind 95 Prozent der Jugendlichen, die sagen, dass ihnen ein sicherer Arbeitsplatz wichtig oder gar sehr wichtig ist. Das ist etwas, was wir an keiner anderen Stelle, wenn wir um die Berufstätigkeit herum Fragen gestellt haben, so in der Form feststellen konnten. Das heißt, der sichere Arbeitsplatz ist der Ausgangspunkt, um sich nicht nur im Beruf, sondern auch im privaten Leben verwirklichen zu können.
Böddeker: Heißt das auch, dass beruflicher Erfolg und ein hohes Einkommen vielleicht besonders wichtig sind?
Leven: Hier müssen wir feststellen, dass die Karriereorientierung bei den Jugendlichen nicht ganz so hoch im Kurs steht. Hier ist eher so etwas wie Erfüllung wichtig, das heißt, auch eigene Ideen einbringen zu können oder auch im Beruf sich selbst zu verwirklichen, steht bei den Jugendlichen doch leicht höher im Kurs als solche Fragen, wenn es um Einkommen oder Aufstiegsmöglichkeiten geht.
Böddeker: Was das Thema Bildung angeht, wie sehen die jungen Menschen da die Lage in Deutschland? Sind die zufrieden damit, wie es in der Schule und in der Ausbildung und vielleicht auch in der Hochschule läuft?
Leven: Insgesamt sind die Jugendlichen schon zufrieden, wenn es um diese Fragen geht. Allerdings, und das ist der durchaus kritische Blick darauf, müssen wir feststellen, dass es 10 bis 15 Prozent der Jugendlichen gibt, je nach Fragestellung, die sich doch als deutlich abgehängt empfinden. Das heißt, hier haben wir einen Teil der jungen Leute, die das Gefühl haben, dass ihnen nicht die Zugänge so offen stehen, wie das dann bei anderen Jugendlichen der Fall ist. Sie haben eher das Gefühl, dass sie, was die Bildungsabschlüsse betrifft, nicht so sehr mithalten können und damit dann auch - und das haben alle Jugendlichen begriffen - Bildung als Schlüssel zum Erfolg, für den beruflichen Erfolg auch später, auch als Einstiegsmöglichkeit da eher außen vor sind.
Böddeker: Dann noch kurz zu einem anderen Thema. Flüchtlinge sind im Moment das beherrschende Thema in den Medien. Gab es dazu auch Aussagen in der Studie?
Leven: Zu den Flüchtlingen ist zu sagen, dass die Jugendlichen das sehr wohl als Thema sehr differenziert zur Kenntnis nehmen. Auf der einen Seite dürfen wir feststellen, dass die Jugendlichen eher Angst vor Ausländerfeindlichkeit haben als Angst vor Zuwanderung. Knapp die Hälfte der Jugendlichen hat hier eine Angst vor Ausländerfeindlichkeit geäußert, und weniger als ein Drittel Angst vor Zuwanderung. Genauso können wir feststellen, dass die Jugendlichen es als sehr, sehr wichtig erachten, Vielfalt und damit auch das Anderssein von Menschen zu respektieren. Das heißt, die Jugendlichen sind an der Stelle sehr tolerant. Und das ist die Grundlage, weswegen die Jugendlichen aber natürlich auch nicht die Probleme ignorieren wollen, die auch eine Zuwanderung mit sich bringt, und die Herausforderung, vor der wir als Gesellschaft stehen. Hier geben sie sich aber eher anpackend als zögerlich.
Böddeker: Sagt Ingo Leven von TNS Infratest Sozialforschung in München.
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