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Studie über rumänische Heimkinder
Psychologin: Gehirne durch Vernachlässigung kleiner

Ein Forscherteam hat Erwachsene untersucht, die als Kinder in rumänischen Kinderheimen untergebracht waren. Durch die starke Vernachlässigung seien die Gehirne kleiner als bei Vergleichspersonen, so die Psychologin und Studien-Mitautorin Nuria Mackes im Dlf. Auch der IQ sei im Durchschnitt geringer.

Nuria Mackes im Gespräch mit Arndt Reuning |
Waisenkinder und von ihren Eltern verlassene Kinder sind in einem Waisenhaus in Buchea (Rumänien) in erbärmlichen Verhältnissen untergebracht, aufgenommen am 08.10.1990. |
Ihre Erfahrungen im Kindesalter schlugen sich in der Gehirnentwicklung der Heimkinder nieder (picture-alliance / dpa / AFP)
Arndt Reuning: Viele von uns werden sich noch erinnern an die Bilder aus dem rumänischen Kinderheim in der Nähe der Stadt Oradea. Bilder, die vor rund dreißig Jahren nach dem Zusammenbruch des Ceaușescu-Regimes um die Welt gingen. Zu sehen waren geistig und körperlich behinderte Jungen, die auf dem nackten Betonfußboden saßen, zusammengepfercht, nur spärlich bekleidet, schmutzig und krank. Ein besonders drastischer Fall der Vernachlässigung von Kindern.
Aber auch in anderen Heimen in Rumänien mangelte es an einer angemessenen Pflege: Die Kinder waren unterernährt, hatten kaum Sozialkontakte, kein Spielzeug und damit keine geistige Anregung, die für ihre Entwicklung notwendig ist. Viele Kleinkinder von damals wurden bald schon adoptiert und sind heute erwachsen. Ein britisches Forscherteam hat nun einige dieser Menschen untersucht und berichtet heute im Fachmagazin PNAS über die Ergebnisse. Beteiligt war auch die Psychologin Nuria Mackes vom King’s College London. Von ihr wollte ich wissen, worum es in der Studie geht.
Nuria Mackes: Unsere Fragestellung war, zu untersuchen, können wir noch Unterschiede sehen in der Gehirnstruktur im Erwachsenenalter, die darauf zurückzuführen sind auf diese schlimmen – wie Sie das gerade beschrieben haben – Erfahrungen und diese starke Vernachlässigung im frühesten Kindesalter. Also praktisch: Haben diese frühen Vernachlässigungserfahrungen Auswirkungen auf die Gehirnstruktur, die bestehen bleibt über die Entwicklung hinweg.
"Im Erwachsenenalter sieht man noch starke Unterschiede im Gehirnvolumen"
Reuning: Und dazu haben Sie sich Gehirnscans angesehen, also Magnetresonanzaufnahmen von Erwachsenen, die ihre ersten Lebensjahre in einem rumänischen Kinderheim verbracht haben und dann eben durch Adoption in England aufgewachsen sind. Und diese Bilder haben Sie dann verglichen mit den Gehirnscans von Menschen, die ungefähr dieselbe Zeit in englischen Kinderheimen verbracht haben. Welche Unterschiede haben Sie dabei feststellen können?
Mackes: Was wir gefunden haben, einer der wichtigsten Unterschiede ist gewesen, dass die rumänischen Adoptierten um Durchschnitt 8,6 Prozent kleinere Gehirnvolumen haben im Vergleich zu dieser Kontrollgruppe. Das heißt, selbst im Erwachsenenalter sieht man da noch starke Unterschiede im Gehirnvolumen. Darüber hinaus, was wir auch noch gefunden haben, ist, dass da ein direkter Zusammenhang bestand zwischen der Zeit, die diese Adoptierten in diesen Institutionen waren und dem Gehirnvolumen. Das heißt, je länger sie in den Institutionen waren, desto kleiner das Gehirnvolumen.
Ein kleines Mädchen sitzt weinend auf dem Fußboden in seinem Zimmer.
Vernachlässigung von Kindern - Eine besondere Form der Gewalt
Wenn Eltern nicht gut für sich sorgen können, können sie sich oft auch nicht gut um ihre Kinder kümmern; sie mit Nahrung und Kleidung versorgen, sie waschen, pflegen. Das kann bleibende körperliche und seelische Schäden beim Nachwuchs hinterlassen.
Reuning: Und diese Unterschiede im Gehirnvolumen, in der Gehirnstruktur auch, machen die sich denn dann in den kognitiven Fähigkeiten oder in anderen Merkmalen bemerkbar?
Mackes: Ja allerdings. Was wir im Bezug auf das Gehirnvolumen gefunden haben, ist, dass es auch damit einherging, dass diese rumänischen Kinder dann einen geringeren IQ hatten und auch mehr Symptome von ADHS, also Aufmerksamkeitsdefizit für Passivitätsstörung, aufwiesen. Und das schien in direktem Zusammenhang mit dem Gehirnvolumen zu stehen.
Reuning: Wie sieht es denn aus mit den zwischenmenschlichen Beziehungen der ehemaligen Heimkinder? Zeigen die zum Beispiel so etwas wie Bindungsstörungen?
Mackes: Ja, das wurde auch beobachtet, gerade eben am Anfang in der Kindheit. Was da häufig beobachtet wurde, nennt sich Disinhibited Social Engagement. Das heißt, was diese Kinder also häufiger gezeigt haben, als das bei nicht institutionalisierten Kindern der Fall wäre, ist, dass sie zum Beispiel mit völlig Fremden mitgehen würden und einfach praktisch mit Fremden weggehen würden oder dass sie bestimmte soziale Grenzen nicht wirklich wahrnehmen würden, also gar keine Unterscheidung zwischen ihren engsten Angehörigen zeigen würden oder völlig Fremden, also in gewissem Sinne sehr zutraulich häufig waren.
Was wir heutzutage sehen, ist, dass die Adoptieren jetzt dann eben sehr viel Persönliches direkt von sich preisgeben würden, obwohl sie die Person noch gar nicht so gut kennen. Das zeigt sich eben bei manchen dieser Adoptierten, natürlich nicht bei allen. Viele haben auch diese Symptome nicht, aber bei vielen, die lange Zeit in diesen Institutionen waren, zeigt sich das auch heute noch.
"Bestimmte Erfahrungen im frühen Leben lassen sich nicht mehr aufholen"
Reuning: Diese rumänischen Kinder sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens adoptiert worden, aber keines war älter als ungefähr dreieinhalb Jahre. Heißt das, dass die Weichen für die Gehirnentwicklung schon in sehr jungen Jahren gestellt werden und dass danach keine Korrektur mehr möglich ist?
Mackes: Unsere Forschung scheint tatsächlich darauf hinzudeuten, dass sich bestimmte Erfahrungen und bestimmte Einflüsse im frühen Leben halt so nicht mehr aufholen lassen und dass gerade die ersten paar Lebensmonate und Jahre entscheidend sind für die Gehirnentwicklung. Das heißt, was wir jetzt zum Beispiel hier mit unseren rumänischen Adoptierten haben, ist, dass die, sobald sie adoptiert waren, waren sie in sehr positiven und fürsorglichen Familien untergebracht, die sich sehr um sie gekümmert haben. Und obwohl wir eine sehr starke Erholung eben auch gesehen haben in der physischen und in der kognitiven Entwicklung, bei manchen Adoptieren war diese Erholung nicht komplett. Und auch immer noch geht es mit Veränderungen in der Gehirnstruktur einher. Das heißt, das spricht wirklich für einen wichtigen Einfluss der ersten paar Lebensmonate und -jahre.
Reuning: Sie haben sich nun mit diesen Menschen, mit diesen ehemaligen Heimkindern aus Rumänien, eine sehr spezielle Personengruppe angeschaut. Für wen sonst sind denn Ihre Ergebnisse zur Vernachlässigung von Kindern denn nun relevant?
Mackes: Zum Beispiel UNICEF schätzt, dass mehr als fünf Millionen Kinder weltweit in Waisenheimen und in Institutionen immer noch leben. Das heißt, die Qualität wird unterschiedlich sein und variabel sein in diesen Institutionen, aber die sind eben auch potentiell starker Vernachlässigung ausgesetzt. Und dasselbe, in gewisser Weise, zu geringerem Ausmaß, wird eben auch zutreffen für andere widrige Umstände in den ersten paar Lebensmonaten und -jahren, von extremer Armut bis zu anderen widrigen Umständen. Wobei das natürlich auch stimmt, was Sie sagen: Wir haben uns eine sehr spezielle Gruppe angeschaut hier. Das heißt, die Schlüsse, die wir ziehen können auf andere Umstände, sind eben relativ begrenzt, weil das schon sehr extreme Umstände hier waren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.