Kennen Sie schon diesen Tweet: "Beruf und Karriere trenne ich konsequent"?
Oder den hier: "Mein Chef sagte diese Woche: 'Wir müssen unbedingt was mit WEB 20 machen'"?
Gar nicht übel, oder? Aber holen wir ein bisschen aus.
Aphorismus – auferstanden bei Twitter
Falls Ihr Gehirn schon arbeitsfähig war, als die Telefone noch Schnüre hatten, werden Sie wissen: Der Aphorismus galt bereits damals als ältliche Gattung. Irgendwie: voll 19. Jahrhundert. Von wegen Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit und so. Bisweilen wirkte der Stoff noch inspirierend, klar – allein, er gehörte schon in der Telefonschnur-Epoche einer verlorenen Zeit an. Wer immer noch auf Aphorismen abfuhr, musste entweder sehr abgefahren sein oder eines dieser Bleichgesichter aus dem germanistischen Seminar.
Doch dann bediente sich der Aphorismus 2006 des Unternehmens Twitter, um quietschfidel von den Toten des Gattungsfriedhofs aufzuerstehen und sich der Welt unter dem Pseudonym Tweet bekannt zu machen. Mögen die Vögel aussterben - seither ertönt auf der Erde unentwegt Gezwitscher. Und wenn man den Schrott abzieht, kommen täglich viele feine Sinnsprüche zusammen, mehr als je zuvor.
Falls Sie als ehrpusseliger Philologe nun mosern: Aber Aphorismen sind viel vornehmer als hingerotzte Tweets! – hier ein Test.
"Kann atomare Abschreckung lustiger und lässiger klingen?"
Natürlich hat Twitter weitere Vorzüge. Spätestens seit den Tweets von Twitter-Junkie Donald Trump haben sich die Mikroblogs zu Verlautbarungsorganen für Weltpolitik gemausert. Das Klischee besagt zwar, der Typ habe keinen Humor. Aber allein Trumps liebenswürdige Reaktion, nachdem Kim Jong Un posaunt hatte, auf seinem Schreibtisch stehe immer der Atomwaffenknopf! Man möge diesen Kim wissen lassen, "dass auch ich einen Atomwaffenknopf habe, aber er ist viel größer und mächtiger als seiner, und mein Knopf funktioniert!" - twitterte der launige US-Präsident.
Kann atomare Abschreckung lustiger und lässiger klingen? Erfolgreich war sie übrigens auch. Die Welt steht noch. Dank Twitter.
"Tendenziell narzisstische Menschen"
Leider spielen solch gezwitscherte Perlen in der Studie von Sascha Hölig vom Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung keine Rolle. Hölig war es schnurzpiep, was getwittert wird, er wollte nur wissen, wer twittert – also so überwiegend. Und siehe da! Typische Twitterer sind männlich, um die vierzig, formal gebildet, politisch interessiert und charakterlich offenbar Bonsai-Trumps.
Nämlich tendenziell narzisstische Menschen, "die persönlichkeitsstärker, extrovertierter und weniger ängstlich" und zudem "meinungsstärker und von sich überzeugter" sind als die Lieschen Müllers unter den Internet-Usern.
Ist das alles überraschend? Nicht wirklich, gell? Dafür aber gemeingefährlich!
Das meint jedenfalls der moralisch besorgte Hölig. Für ihn geht die Twitterei der XL-Egos in "psychologischer Hinsicht mit weniger Sinn für Empathie, Konsens und Gemeinschaftsgefühl" einher.
Und wem schiebt Hölig schließlich den Schwarzen Peter zu? Den Journalisten. Die nähmen Twitter nämlich fälschlicherweise als " Stimmungsbarometer für die Belange der Gesellschaft". -
Tja, um endlich ehrlich zu sein: wir haben absolut keine Ahnung, ob der Kulturpessimist Hölig Recht hat. Tweets sind für uns nur interessant, soweit es gute Aphorismen sind. Und die lassen wir uns von Suchmaschinen heraussuchen.
Entschuldigen Sie bitte, dass wir Ihnen keine bessere Pointe bieten! Oder twittern Sie Ihren Zorn!