Michael Böddeker: Ab und zu in den Computerraum der Schule oder auch mal auf dem Laptop oder dem Tablet Themen im Netz recherchieren, vorne im Klassenzimmer anstelle der grünen Tafel vielleicht noch ein interaktives Whiteboard – wenn die Schule sich das leisten kann. So ist die Lage in Deutschland, wo die meisten Schülerinnen und Schüler außerdem ein Smartphone mit ständigem Internetzugang in der Tasche haben. Aber wie sieht es weltweit aus? Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef hat das Thema untersucht. Heute wird in New York die Studie dazu vorgestellt. Mehr darüber weiß auch Rudi Tarneden von Unicef. Schönen guten Tag!
Rudi Tarneden: Guten Tag!
Böddeker: Digitalisierung weltweit und die Folgen für Kinder und Jugendliche, das ist ja ein weites Feld. Was sind denn für Sie die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Tarneden: Der Hauptpunkt ist, dass Digitalisierung nicht mehr nur ein Thema für die wohlhabenden Länder ist, sondern die Kindheit eigentlich auf der ganzen Welt verändert und prägt. Es ist so, dass Digitalisierung bedeutet, dass eben Kinder sich vernetzen können, dass sie zu einem unglaublichen Strom an Informationen Zugang haben und dass sie natürlich spielen können, also der ganze Reichtum des Netzes erschließt sich für Kinder, und Kinder kennen sich heute vielfach besser im Netz aus und mit den technischen Geräten als ihre Eltern. Gleichzeitig ist es so, dass eben sehr, sehr viele Kinder auf der Welt ausgeschlossen bleiben. Etwa jedes dritte Kind ist heute praktisch abgeschnitten vom Netz, und das sind vor allen Dingen die Kinder in den ärmsten Ländern der Erde.
Größter Wunsch ist Anschluss ans 21. Jahrhundert
Böddeker: Also viele Chancen, aber auch Probleme, wenn man eben keinen Zugriff auf diese Technologie hat, und Chancen und Risiken, das gilt natürlich auch für den Aspekt Bildung. Wie sieht da die Lage weltweit aus?
Tarneden: Der Punkt ist, dass sich Kinder gerade in den Entwicklungsländern nichts mehr wünschen als den Anschluss an das 21. Jahrhundert. Wenn Sie Jungen und Mädchen befragen, wie das zum Beispiel hier im Rahmen dieses Reports auch passiert, dann kommt die Botschaft, im Internet, da lernen wir Dinge, die wir in der Schule nicht lernen, oder ich gehe ins Internet, damit ich erfahre oder Stoff oder Informationen mir aneignen kann, die das vertiefen, was ich in der Schule gemacht habe, aber eben gerade in den ärmsten Ländern sind gerade die Familien auf dem Land, Familien in Slums, Kinder, die wirklich aus schwierigen Verhältnissen stammen, komplett abgeschnitten, oder, wenn sie ein Smartphone haben, beschränkt sich die Internetvernetzung ausschließlich darauf … Es ist auch so, dass die Netze teuer sind, instabil, also im Grunde genommen für die Kinder eine doppelte Abkopplung von der modernen Welt.
Einsatz von IT allein bringt nichts
Böddeker: Also der Zugang zu diesen Technologien ist das eine, aber dann kommt es natürlich auch noch drauf an, wie so ein digitales Bildungsprojekt umgesetzt wird. Da gibt es im Bericht auch ein paar Beispiele. Zum Beispiel Videokonferenzen mit Lehrern, die ganz woanders im Land sich aufhalten oder auch Lern-Apps für Tablets oder sogar ein Programm gegen Analphabetismus, das per SMS funktioniert. Allerdings wird in dem Bericht auch immer wieder gesagt, der Einsatz von IT allein, der bringt nichts, wenn sie eben nicht vernünftig genutzt wird, also wenn es kein sinnvolles pädagogisches Konzept dahinter gibt. Wie sieht es da aus? Wird denn diese Technologie sinnvoll genutzt weltweit?
Tarneden: Also zum einen, es gibt einen großen Optimismus, dass da die Potenziale wirklich zu heben sind, zum anderen ist die Realität weiter so, dass in den ärmsten Ländern der Welt es einfach an elementaren Bildungsmöglichkeiten fehlt. Man soll auch nicht glauben, dass, indem man ein paar Laptops irgendwo hinstellt, dann für die Kinder sozusagen das 21. Jahrhundert anbricht. Es ist ganz klar, dass eine gute Pädagogik, ein vernünftiges Curriculum, wo die Kinder wirklich Inhalte lernen, die mit ihrem Leben zu tun haben, entscheidend ist.
Dann wird man den Reichtum dieser Technik auch nutzen können. Also insofern muss das eingebettet sein in Bildungsreformen. Wir sehen es, dass zum Beispiel in entlegenen Amazonasregionen heute Kinder sehr, sehr gut über Fernlehrgänge lernen können. Es gibt Erfahrungen in Flüchtlingslagern, wo Kinder an Fernkursen teilnehmen. Also es gibt dort einen großen Schatz auch an Erfahrungen, auch an erprobtem Techniken, die aber eben in der Fläche überhaupt noch nicht ausgerollt sind.
Einbetten in vernünftige Ausbildungsprogramme
Böddeker: Was wäre denn aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was zunächst mal passieren müsste? Tatsächlich den Zugang zu schaffen zum Internet?
Tarneden: Also für die ärmsten Kinder bedeutet es sicherlich der Zugang, aber es bedeutet eben auch einen qualitativ hochwertigen Zugang, das heißt, eingebettet in vernünftige Schulungsausbildungsprogramme. Wir wissen, hier in Deutschland haben wir einen großen Diskurs um die ganzen Gefahren des Internets und auch die Übernutzung und wie viel Zeit Kinder da dran verdaddeln. Für diese Kinder, über die wir jetzt hier gerade sprechen, geht es da drum, überhaupt erst mal die Chance zu eröffnen, in die Informationswelt unserer Zeit einzutauchen.
Böddeker: Rudi Tarneden war das vom UN-Kinderhilfswerk Unicef. Wir haben über die neue Unicef-Studie gesprochen, die unter anderem besagt, dass die Digitalisierung weltweit die Ungleichheiten weiter verstärkt. Vielen Dank für das Gespräch!
Tarneden: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.