Lennart Pyritz: Was wussten Forscher vor dieser Studie bereits über die genetischen Grundlagen des Alkohol-Konsums?
Gunter Schumann: Es ist bekannt, dass Alkoholabhängigkeit eine relativ hohe genetische Belastung hat, also eine Heritabilität von 50 bis 70 Prozent, je nachdem, welche Studie man anguckt. Das sind Daten, die gewonnen wurden aus Zwillingsstudien oder aus Familienuntersuchungen. Je mehr sich die Leute beschäftigt haben mit molekularen Konsequenzen von dieser genetischen Belastung, desto mehr wurde klar, dass jedes einzelne Gen nur eine sehr, sehr geringe Rolle spielt am eigentlichen Verhalten. Das heißt, obwohl die Heritabilität sehr groß ist, wird sie sozusagen bestimmt durch eine ebenfalls sehr große Menge an Genen. Und das wiederum hat es relativ schwierig gemacht, einzelne Gene zu identifizieren, einfach weil sie, ich sage mal, im Rauschen untergegangen sind.
Pyritz: Das Ziel Ihrer aktuellen Studie war es nun, Gene zu identifizieren, die mit Alkoholkonsum – nicht mit Alkoholsucht – in Verbindung stehen. Wie genau sind Sie dabei vorgegangen?
Schumann: Wir haben eine sehr große Anzahl von Leuten untersucht, weil wir die ganze genetische Information absuchen wollten. Und der Grund, warum wir da jetzt sehr viele Leute, in unserem Fall über 100.000 Leute braucht, um belastbare Ergebnisse zu erzielen, ist der, dass die Auswirkung von jedem einzelnen Gen auf das Verhalten sehr gering ist.
Pyritz: Wie haben Sie die Daten zum Alkoholkonsum erhoben?
Schumann: Wir haben - Ich glaube, das sind ungefähr über 40 einzelne Studien, die aus unterschiedlichsten Gründen durchgeführt wurden. Aber alle von diesen Studien haben eben Alkohol erfasst auf eine Art, die es uns möglich gemacht hat, das gemeinsam zu untersuchen. Und was wir genau angeschaut haben, ist Gramm Alkohol pro Tag.
Genmodell an Mäusen getestet
Pyritz: Sie haben nun bei Menschen und bei Mäusen ein Gen identifiziert, das mit Alkoholkonsum in Verbindung steht. Was ist das für ein Gen und war darüber bereits vorher etwas bekannt?
Schumann: Wir haben das Gen identifiziert im Menschen und haben dann die Funktion dieses Gens überprüft im Mausmodell. Das Gen an sich ist natürlich bekannt, aber seine Beziehung zu Alkohol war bis dahin nicht beschrieben gewesen. Und das ist ein interessantes Gen, denn es formt einen Teil von einem Rezeptor im Gehirn. Und dieser Rezeptor empfängt aber Signale von einem Protein, das in der Leber gebildet wird. Das heißt, in der Leber wird ein Protein gebildet aufgrund zum Beispiel von Alkoholzufuhr oder auch aufgrund von "nutritional stress" (Ernährungsstress, Anm. d. Red.), sagt man im Englischen. Dieses Protein wandert dann sozusagen hoch ins Gehirn und dockt dann an dem Rezeptor an und reguliert dadurch die Menge von Alkohol, die man zu sich nimmt.
Pyritz: Sie haben jetzt eben schon erwähnt: Was dieses Gen beziehungsweise das Fehlen dieses Gens bewirkt, haben Sie dann im Mausexperiment untersucht. Was waren da die Ergebnisse?
Schumann: Wenn das Gen nicht da ist, dann trinken die Mäuse mehr. Das heißt, das Gen hat eine hemmend-regulatorische Eigenschaft auf Trinkverhalten.
Moleküle synthetisieren und dadurch Trinkverhalten beeinflussen
Pyritz: Lassen sich denn diese Befunde aus dem Tierversuch auf den Menschen übertragen?
Schumann: Vermutlich schon. Wobei, die Veränderungen, die wir beim Menschen sehen im Hinblick auf das Verhalten, sind natürlich viel gradueller, als man das jetzt bei der Maus, wo man das ganze Gen ausschalten kann, beobachten könnte.
Pyritz: Inwiefern könnten denn Ihre Ergebnisse in Zukunft helfen, Alkoholkonsum bei Menschen gezielt zu beeinflussen oder zu regulieren?
Schumann: Der Vorteil von dem Gen, das wir da identifiziert haben, ist ja, dass es ein Teil von einem Rezeptor ist und dadurch eben auch an der Zelloberfläche vorkommt, extremiert wird. Und der zweite Vorteil ist, dass das ein relativ spezifischer Rezeptor ist. Das heißt, man könnte sich im Prinzip vorstellen, dass man Moleküle synthetisiert, die den Rezeptor erkennen und den Rezeptor entweder aktivieren oder eben nicht aktivieren und dadurch das Trinkverhalten beeinflussen.
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