Guter Heinrich, der Große Klappertopf und das Schmalblättrige Greiskraut - das sind Pflanzen, die eigentlich in Deutschland weit verbreitet sind. Herauszufinden, wie es ihnen und 2.133 andere Arten seit den 1960er-Jahren ergangen ist, war das Ziel eines großen Forschungsprojektes, der bislang größten und umfassendsten Auswertung von Pflanzendaten in ganz Deutschland. Durchgeführt wurde sie vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz und den oberen Naturschutzbehörden aller 16 Bundesländer.
Koordinator des Projekts ist David Eichenberg vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung. Die Deutlichkeit dieses Studien-Ergebnisses habe ihn selbst überrascht, sagte der Forscher im Deutschlandfunk. Besonders, dass nicht nur seltene, sondern auch häufige Pflanzenarten bedroht seien. Es hätten sich Hinweise darauf gefunden, dass einerseits der Klimawandel auf einige Arten wirke, aber auch die Intensivierung in der Land- und Forstwirtschaft eine Rolle spiele sowie der Flächenverbrauch. Um einen weiteren Artenschwund zu verhindern, bräuchte es großflächig ansetzende Lösungsmöglichkeiten in der gemeinsamen Agrarpolitik, aber auch landwirtschaftliche Förderungen für Landwirte, die wenig düngen.
David Eichenberg: Wir haben festgestellt, dass sich von eben diesen über 2.100 Arten mehr als 70 Prozent der untersuchten Arten im Rückgang befinden, deutschlandweit, und dass dieser Artenrückgang zu einer Reduktion der Artenvielfalt auf diesen fünf mal fünf Kilometern von im Schnitt zwei Prozent pro Jahrzehnt geführt hat, also wir haben in den letzten 60 Jahren ungefähr sechs Prozent verloren an Artenreichtum pro fünf mal fünf Kilometer in Deutschland.
Seynsche: Hat Sie dieser Verlust überrascht?
Eichenberg: In dieser Deutlichkeit ja. Ich bin schon davon ausgegangen, dass wir Pflanzen haben, die sich im Rückgang befinden, aber dass es sich um 70 Prozent oder mehr als 70 Prozent von den Arten, die wir untersucht haben, handelt, hat mich überrascht. Besonders überrascht hat mich tatsächlich auch, dass es nicht nur die Arten, die man kennt als seltene Arten, die ohnehin bedroht sind, sondern es sind wirklich Arten, die mittelhäufig bis häufig sind, die man sonst gar nicht auf dem Schirm hat, wenn man nicht Naturschutz betreibt beispielsweise.
Intensivierung der Landwirtschaft und Flächenverbrauch
Seynsche: Warum gehen die Arten denn zurück?
Eichenberg: Das konnten wir in unserer Studie so leider nicht feststellen, weil uns einfach in der passenden Auflösung und über die große Fläche Daten gefehlt haben. Es ist aber schon so, dass wir davon ausgehen, da wir flächendeckend Rückgänge feststellen, dass es Treiber sind, die flächendeckend wirken müssen. Wir haben uns einfach verschiedene Hotspots mal angeguckt in Deutschland und haben geguckt, was gibt es dort für regionale, lokale Studien, die bereits veröffentlich sind, und haben dort schon Hinweise darauf gefunden, dass es zum einen der Klimawandel ist, der auf einige Arten wirkt, dass es aber auch höchstwahrscheinlich eine Intensivierung in der Land- und Forstwirtschaft sein wird, die dort eine Rolle spielen, aber eben auch Flächenverbrauch. Also alles, was sich großflächig auswirkt, scheint unsere Pflanzenvielfalt zu beeinflussen.
Seynsche: Sie hatten gerade die Hotspots angesprochen, welche Gebiete sind das denn, in denen die Arten besonders stark zurückgehen?
Eichenberg: Wir konnten insgesamt zehn Flächen oder zehn Gebiete ausmachen, die konzentrieren sich stark auf die Küstenlinien Deutschlands, aber eben auch zum Beispiel das Alpenvorland, auch der Oberrheingraben zeigen tatsächlich starke Muster in der Veränderung.
Rückgang kann sich "negativ auf Insekten auswirken"
Seynsche: Und wissen Sie, warum gerade diese Gebiete betroffen sind?
Eichenberg: Für die Küstenregionen in Deutschland gibt es eine Studie, dass unter Simulationen des Klimawandels verschiedene Arten, Küstenarten, zurückgehen, und genau diese Arten zeigen bei uns auch die Verluste.
Seynsche: Was bedeutet das denn für den Rest des Ökosystems, wenn so viele Pflanzen zurückgehen?
Eichenberg: Das ist immer schwer zu sagen. Wir haben in unserem Projekt Esmon noch eine andere Studie gemacht, die sich mit Schleswig-Holstein schwerpunktmäßig beschäftigt, und dort haben wir festgestellt, dass der Rückgang von Pflanzen, verschiedener Pflanzenarten in der Landschaft tatsächlich auch zu einer Reduktion des potenziell möglichen Nektarangebots führt. Das ist eine Sache, die wir belegen konnten, und das kann sich natürlich negativ auf Insekten beispielsweise auswirken, was wir ja tatsächlich auch durch viele Studien in letzter Zeit sehen, dass Insekten sich im Rückgang befinden.
"Förderung erhöhen für Landwirte, die wenig düngen"
Seynsche: Was müsste denn geschehen, um diesen Artenschwund zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen?
Eichenberg: Wir bewegen uns hier ja immer noch auf großen Gebieten. Wir haben ganz Deutschland untersucht und auf einer Fläche von fünf mal fünf Kilometern. Um so großflächige Verluste auszugleichen, aufzuhalten, brauchen wir auf jeden Fall auch großflächig ansetzende Lösungsmöglichkeiten. Eine gangbare Lösung wäre meiner Meinung nach tatsächlich, dass man über die gemeinsame Agrarpolitik, aber auch über andere Maßnahmen, zum Beispiel landwirtschaftlich Förderungen erhöht für Landwirte, die wenig düngen. Da würden sich dann schon durch geringere Düngemittelangebote mehrere Pflanzen etablieren. Das wäre eine gangbare Möglichkeit, würde ich sagen, um großflächig was zu ändern.
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