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Studie zu Chemsex
Warum Drogen beim Sex so beliebt sind

In London konsumieren immer mehr Menschen vor dem Sex synthetische Drogen. Britische Wissenschaftler wollten wissen, was hinter der sogenannten Chemsex-Szene steckt. Dabei kam unter anderem heraus: Das Vorurteil, dass vor allem homosexuelle Männer in dieser Szene aktiv sind, trifft so nicht zu.

Von Maximilian Schönherr |
Die Füße zweier Menschen unter einer Bettdecke
Eine britische Studie hat das Phänomen Chemsex untersucht (imago)
Alex Dymock ist Dozentin für Kriminologie und Recht an der Universität London. Sie hat englische Literatur studiert, ihren Abschluss in Gender Studies, also Geschlechterforschung gemacht und zuletzt in Jura promoviert. Ihre aktuelle Studie heißt übersetzt: „Pharmacosexualität – Erforschung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Drogen beim Sex“. Auslöser war die öffentliche Diskussion des von englischen Gesundheitsbehörden, Polizei und Presse gebrandmarkten „Chemsex“.
Menschen feiern in einem Klub
Vor allem in London hat sich die sogenannte Chemsex-Szene, bei der Menschen beim Sex Drogen nehmen, etabliert (imago stock&people)
Kein neues Phänomen
„In London wird das seit fünf Jahren skandalisiert. In der Debatte versteht man unter Chemsex den Geschlechtsverkehr homosexueller Männer, die begleitend einen Cocktail synthetischer Drogen einnehmen. Kritiker halten das für einen Angriff auf die öffentliche Gesundheit.
Wir hinterfragen das. In den Medien wird Chemsex als ein neues Phänomen gesehen. Dem ist aber nicht so. Sexueller Kontakt in Kombination mit Drogenkonsum taucht in der psychologischen Fachliteratur seit langem immer wieder auf. Auch dass nur Männer das tun, ist falsch. Wir zeigen, dass auch viele Frauen beim Sex Drogen einnehmen.“

Die vom Wellcome Trust finanzierte, abgeschlossene, aber noch nicht veröffentlichte Studie besteht aus zwei Teilen. Der erste behandelt Sex und Drogen in der wissenschaftlichen Literatur. Unter anderem arbeitet die Forscherin darin die Diskriminierung chinesischer Einwanderer im letzten und vorletzten Jahrhundert heraus. Man warf ihnen zu Unrecht vor, durch Sexorgien in ihren Opiumhöhlen die Gesellschaft zu korrumpieren.
Im zweiten Teil der Arbeit zeichnet Alex Dymock ein aktuelles Bild der Szene. Dazu hat ihr kleines Team über 30 lange Interviews geführt, die Hälfte mit Frauen. Außerdem betrieb sie Virtuelle Ethnografie, auch Netnografie genannt. Das ist der Fachausdruck für die systematische Durchsuchung von einschlägigen Online-Foren, im konkreten Fall vor allem von Reddit, Bluelight und Erowid.
Heroin spielt keine Rolle in der Chemsex-Szene
Dabei kam unter anderem heraus, dass nicht nur die Drogen das sexuelle Erleben verändern, sondern auch umgekehrt: „Viele Teilnehmer sprachen davon, wie Sex die Wirkung eines Drogen-Mixes verändert und verstärkt“, sagt Alex Dymock.
Neben Kokain sind synthetische Drogen im Spiel, allen voran Mephedron und LSD, sowie Crystal Methamphetamin, die Partydrogen GHB/GBL und MDMA alias Ecstasy. Alex Dymock weist in ihrer Studie darauf hin, dass MDMA in den 1980er-Jahren in den USA eine wichtige Rolle in der Psychotherapie, insbesondere in der Paar- und Gruppentherapie spielte – bevor es verboten wurde.
Die Chemsex-Szene nimmt heutzutage MDMA fast immer in Kombination mit anderen Wirkstoffen ein, unter anderem deshalb, weil MDMA in der Regel bei Männern den Orgasmus verhindert. Heroin, so Dymock, ist völlig unüblich, weil die Droge den Konsumenten entspannt und von seinem Partner isoliert.
„Eine Reihe von Befragten berichteten von dem Gefühl, sich insbesondere durch die Einnahme von MDMA beim Sex ins andere Geschlecht zu verwandeln. Ob das mit der generellen Enthemmung zu tun oder andere Gründe hat, müssen wir noch untersuchen.“
Nach mehreren Todesfällen homosexueller Männer bei Chemsex-Partys vor einigen Jahren begann die englische Polizei, explizit solche Veranstaltungen unter die Lupe zu nehmen. Die dabei erhobenen Daten sind für Alex Dymock aber leider wertlos, weil der Konsum von Drogen beim Sex keinen Straftatbestand darstellt und in der Polizeistatistik nicht auftaucht.
Befunde nicht eins zu eins auf andere Länder übertragbar
Die Befunde aus England sind nicht eins zu eins auf andere Länder übertragbar. Auch Anfang April im „Journal of Sexual Medicine“ veröffentlichte Daten deuten darauf hin, dass die Briten mehr und andere Trips beim Sex schmeißen als zum Beispiel Amerikaner und Deutsche.
„Ich war kürzlich in drei Clubs in Berlin. Dort traf ich homo-, hetero- und transsexuelle Leute an, während diese Szenen in London ihre Partys meist getrennt veranstalten. Auch der Drogenmix ist anders. In London finden wir kaum Ketamin, in Berlin war das Narkotikum überall vertreten. Und schließlich der Sex: In London muss man sich explizit eine Party suchen, wo das angesagt ist, und dafür gibt es strenge gesetzliche Vorgaben. In Berlin war das egal. Sex fand dort statt, wo es den Leuten gefiel, und niemand wäre auf die Idee gekommen, sie deswegen aus dem Klub zu werfen.“