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Studie zu Corona-Ausbreitung
Forscher: Die meisten Infektionen kommen von Erwachsenen

Kinder sind nicht die Treiber des aktuellen Corona-Infektionsgeschehens. Zu dieser Erkenntnis kommen baden-württembergische Forscher nach einer Studie mit 2.500 Kindern und 2.500 Elternteilen, sagte Klaus-Michael Debatin, einer der Autoren, im Dlf. Auftraggeber war das Land, Hintergrund auch das Thema Schulöffnungen.

Klaus-Michael Debatin im Gespräch mit Uli Blumenthal |
02.05.2020, Berlin: Ein Kind steht mit seinen Eltern auf einem Spielplatz im Volkspark Wilmersdorf. Nachdem Spielplätze zur Eindämmung des Coronavirus geschlossen waren, öffnen diese nun wieder. Foto: Christoph Soeder/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits | Verwendung weltweit
Wie ansteckend sind Kinder - diese Frage treibt in der COVID-19-Pandemie viele Forscher um (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Welche Rolle spielen Kinder bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2? Seit Wochen wird darüber unter Wissenschaftlern diskutiert, sind Ergebnisse von Studien und die Schlussfolgerungen der Autoren widersprüchlich. Gestern haben Forschende von vier Universitätskliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm die Ergebnisse einer weiteren, vom Land Baden-Württemberg initiierten und finanzierten COVID-19-Kinder-Studie vorgestellt. Kinder sind keine Treiber der Ausbreitung – so das Ergebnis der Untersuchung zusammengefasst.
Einer der Autoren ist Professor Doktor Klaus-Michael Debatin, ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm. Wir haben ihn gefragt, wie das Design der Studie genau aussah und in welchem Zeitraum die Studie durchgeführt wurde.
Klaus-Michael Debatin: Die Studie wurde von Mitte April bis Mitte Mai durchgeführt, und das Design war so, dass wir über einen öffentlichen Aufruf Eltern-Kind-Paare angeworben haben. Also das Ziel war, mit einem Elternteil, mit einem dazugehörigen Kind, also Vater, Mutter, egal, für Untersuchungen sowohl über aktuellen Virusstatus, also der übliche Rachenabstrich, und Antikörper als Hinweis oder als quasi Narbe einer stattgehabten Infektion. Es gab Ausschlusskriterien. Wichtigstes war eine bereits nachgewiesene Infektion, also klinische Symptomatik plus Virusnachweis, waren bestimmte Erkrankungen, schwerwiegende Erkrankungen, auch Erkrankungen, die mit Störungen des Immunsystems einhergehen oder mit Medikamenten, die die Körperabwehr schwächen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
2.500 Kinder, 2.500 Eltern getestet
Blumenthal: Wie sah genau die Studie dann aus, die Sie durchgeführt haben? Was für Voruntersuchungen haben Sie gemacht?
Debatin: Zum einen hat jeder einen Fragebogen bekommen über Sozialsituation, Kinder zu Hause oder Kinder in der Notbetreuung. Wir hatten auch etliche Kinder in der Notbetreuung, 25 Prozent der Kinder waren in der Notbetreuung. Wir haben insgesamt ja über 5.000 oder knapp 5.000 Probanden gehabt, also 2.500 Kinder, 2.500 Erwachsene. Wir haben, wie gesagt, einen Rachenabstrich zum direkten Virusnachweis und Blut entnommen für die ja jetzt auch heftig in der Diskussion sich befindlichen Antikörpertests. Dann haben wir im Unterschied zu fast allen anderen Studien drei verschiedene Antikörpertests angesetzt. Es ist bekannt, dass die Spezifität der Antikörpertests unterschiedlich gut ist, aber wenn man zwei bis drei übereinanderlegt, dann kommt man doch auf eine sehr hohe Spezifität, die auch falsch-positive Ergebnisse praktisch ausschließt.
Blumenthal: Ich habe die Ergebnisse der Studie in einem Satz zusammengefasst: Kinder sind nicht Treiber des Infektionsgeschehens. Welche Erklärung gibt es Ihrer Studie nach dafür?
Debatin: Ich glaube, dieses pointierte Statement hat etwas damit zu tun, Sie hatten es eingangs ja gesagt: Die Daten sind widersprüchlich, und sie bleiben auch widersprüchlich. Ich kann jetzt nur für unsere Baden-Württemberger Studie sprechen. Jede dieser Studien, die jetzt bekannt geworden sind – Herr Drosten hat es gestern auch noch mal kommentiert –, hat ihre Besonderheiten. Man muss ja so sagen, der Ausgangspunkt auch für uns war eigentlich eher ein bisschen ein anderer. Erstens ist im April die Islandstudie veröffentlicht worden, die gezeigt hat, dass Kinder unter zehn Jahren – die Isländer haben das sehr gründlich gemacht – gar keine Viruspositivität hatten im Unterschied zu den Erwachsenen.
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Mehr Infektionen "von der Erwachsenenseite"
Man hat immer vermutet, wie das ja korrekt ist für die meisten Infektionskrankheiten im Respirationstrakt, dass Kinder, ich sage jetzt mal platt, die Virusschleudern sind. Das weiß ja jeder, der ein Kind im Kindergarten hatte oder in der Grundschule, das ist sozusagen das Gängige im Leben. Das scheint bei Corona… bei Kindern ist vieles offensichtlich anders. Die Kinder erkranken ja auch nicht schwer. Insofern war für uns eher die Frage, sind die Kinder die Treiber, oder sind sie es nicht, und die Antwort darauf ist, wir können aus der Konstellation Eltern/Kind keine Evidenz dafür finden, dass die Kinder nun besonderes empfänglich für das Virus sind oder aber in der Familie und der Umgebung Ansteckungen verursachen. Natürlich, klar, die Diskussion ist jetzt, das ist alles im Lockdown gemacht worden. Das ist natürlich nicht ganz korrekt, weil die Antikörpernachweise natürlich auch zum Teil aus einer Zeit vor dem Lockdown stammen, wir in Baden-Württemberg zumindest in den Regionen Tübingen, Ulm, durchaus in einem Bereich mit relativ hohen Inzidenzen sind. Denken Sie an die ganzen Skifahrer, die aus Ischgl, Südtirol und sonstwie gekommen sind, da waren sehr viele auch aus unserer Region.
Überraschend war für uns auch, dass wir tatsächlich ja nur eine so geringe Antikörperinzidenz haben. Wir liegen ja nur bei knapp einem bis zwei Prozent. Das ist natürlich etwas, wo man zum Beispiel sagen muss, von einem Thema Herdenimmunität sind wir noch sehr weit weg, zumindest hier in dieser Region, und das Verhältnis zwei Drittel Erwachsene, ein Drittel Kinder spricht dafür, dass der Eintrag aus der Erwachsenenseite kommt und nicht aus der Kinderseite.
Blumenthal: Sie haben schon Christian Drosten angesprochen, der in seiner Studie festgestellt hat, Kinder sind genauso ansteckend oder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene. Sie sagen jetzt, die Zwischenergebnisse erklären, dass Kinder als Überträger nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wie soll man sich da ein Urteil bilden können, was wirklich wissenschaftlich belegt ist?
Debatin: Ich rate seit Längerem in den ganzen Diskussionen, die wir haben, zur Besonnenheit. Wir lernen jeden Tag ein Stück dazu. Das ist ein Puzzle, das wir zusammensetzen seit einem halben Jahr. Zu der Studie von Herrn Drosten, viel zitiert, auch viel kritisiert, muss man sagen, auch er hat natürlich vergleichsweise wenige Kinder in diesem Alter ein bis zehn Jahre drin gehabt. Es waren, glaube ich, 46, wenn ich das richtig erinnere. Die Virustiter sind vergleichbar denen der Erwachsenen.
"Verlauf bei Kindern ist ein anderer"
Ich würde auch nie behaupten, dass Kinder nicht ansteckend sind. Die entscheidende Frage ist hier eine andere. Das ist die: Haben wir Evidenz, dass wir – so ist ja auch die Fragestellung an uns gewesen – die Kindergärten und Grundschulen geschlossen halten müssen, weil die Kinder die Treiber der Infektion sind. Wenn Sie diese Frage stellen und so bekommen, dann wird die so beantwortet, dass wir keine Evidenz dafür haben, dass die Kinder die Treiber der Infektion sind. Das heißt nicht… Das ist wie bei den klinischen Verläufen, Kinder – und das ist unbestritten weltweit –, haben deutlich mildere Verläufe als Erwachsene. Wir haben in unserem pädiatrischen Survey über Deutschland, das wir haben, ganze 100 Kinder in stationärer Behandlung. Wir hatten in unserer Klinik ein bis zwei Kinder kurzzeitig in stationärer Behandlung, sehr viele Positive, die überhaupt nicht klinisch krank waren, so krank waren, dass sie aufgenommen werden mussten. Also der Verlauf ist ein anderer.
Trotzdem gibt es schwere Fälle. Das ist keine Frage. Das Kawasaki-Syndrom, Berichte aus den USA, aus England, auch aus der Genfer Region, ein, zwei, das sind allerdings immer besondere Situationen, muss man auch dazu sagen, aber dennoch, die grobe Regel, dass die Infektion bei Kindern anders läuft als bei Erwachsenen. Ich glaube, die steht querbeet durch fast alle Untersuchungen.
Blumenthal: Die Studie gestern wurde vorgestellt auf einer Regierungspressekonferenz mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Es ist eine Studie, die noch nicht begutachtet und noch nicht veröffentlicht wurde, aber da drängt sich ja trotzdem die Frage auf, ob sie da nicht irgendwie auch ein Feigenblatt oder auf jeden Fall Interpretationshilfe für die Politik liefern soll, ob man nun die Kindergärten, Krippen und Schulen wirklich weit öffnen soll oder nicht. Also, wie kommen Sie sich da als Wissenschaftler mit den Studienergebnissen vor?
Debatin: Ja, das ist eine sehr gute und sehr berechtigte Frage. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns in der Studiengruppe darüber auch etwas die Köpfe heißgeredet haben. Das ist richtig.
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Bezüge zu Lebensumständen noch nicht analysiert
Wir haben auch im Unterschied zu vielen anderen, die einen Preprint vorlegen, in irgendeinen Server legen und sagen, das ist unser Manuskript, gesagt, nein, wir haben keinen Preprint, wir haben eine Interimanalyse. Das ist noch mal was anderes. Also die Daten sind noch nicht vollständig analysiert, aber an den Kerndaten wird sich nichts mehr ändern. Das ist die Inzidenz der Viruspositiven, das sind ganze zwei Personen aus 5.000, bei denen wir Virus nachgewiesen haben. Das ist die Inzidenz der Antikörperpositiven, 64 waren es, davon zwei Drittel Erwachsene, ein Drittel Kinder. Da kann es noch eine Zahl rauf und runter geben, aber es wird keine wesentliche Änderung mehr geben.
Was noch nicht ausgewertet ist – und da sind wir im Moment dabei –, sind die ganzen Bezüge zu den Lebensumständen. Wie viele Symptomatische oder Asymptomatische waren dabei, wie sind die Lebensumstände, wie viel Menschen im Haushalt et cetera, denn wir machen auch eine Folgestudie, bei der wir jetzt genau die Situation in den Familien mit allen Beteiligten noch mal erfassen. Ja, wir haben das diskutiert, wir haben natürlich von der Politik die Frage – es gab den Druck, den wir alle haben, im Moment diese Fragen zu beantworten –, die war: Können Sie uns denn Hinweise geben? Entscheiden, haben wir immer gesagt, muss die Politik. Wir können nur sagen, das und das sind die Daten, so wie wir sie im Moment sehen. Daran wird sich an den Grundaussagen auch nichts ändern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.