Immer wieder ist Journalistinnen und Journalisten in der Pandemie vorgeworfen worden, sie berichteten zu unkritisch über die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen. Eine Studie von Forschern aus Mainz und München, die die Rudolf-Augstein-Stiftung veröffentlicht hat, zeigt nun: Tatsächlich war die Berichterstattung der großen deutschen Nachrichtenmedien vor allem zu Beginn der Pandemie eher maßnahmenfreundlich.
Grundsätzlich hätten die meisten Journalistinnen und Journalisten die Maßnahmen zwar gut geheißen, sagte Studienautor Carsten Reinemann im Dlf. "Aber das heißt nicht, dass sie mit einzelnen Maßnahmen nicht sehr, sehr kritisch umgegangen wären und dass sie mit den Akteuren, die dort entschieden haben, nicht außerordentlich kritisch umgegangen sind."
Die Forscher haben rund 5.100 Nachrichtenbeiträge über Corona-Themen analysiert, die zwischen Januar 2020 und April 2021 in Online-Medien und Nachrichtensendungen erschienen sind. Untersucht wurden die Online-Auftritte von "FAZ", "SZ", "Bild", "Spiegel", "Welt", "Focus" und "t-online". Hinzu kamen die "Tagesschau" der ARD, die "heute"-Nachrichten des ZDF, "RTL aktuell" und die Schwerpunktsendungen "ARD Extra" zur Corona-Pandemie.
Im gesamten Untersuchungszeitraum standen die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der ergriffenen Maßnahmen im Fokus. In der ersten Welle waren immer wieder der Schutz der Gesundheit und die Gefahren für die Wirtschaft Thema. Später rückte das Thema Gesundheit deutlich in den Vordergrund. Über soziale und bildungsbezogene Folgen des Virus und der dagegen ergriffenen Maßnahmen wurde insgesamt sehr viel weniger berichtet.
Auch über das Virus selbst, seine Eigenschaften und die drohenden Gefahren wurde relativ wenig berichtet. Möglicherweise hätten viele Journalistinnen und Journalisten geglaubt, "dass Hospitalisierungen und Todesfälle eine so deutliche Sprache sprechen würden, dass man diesen Aspekt nicht weiter in den Mittelpunkt stellen müsste", schreiben die Wissenschaftler.
Die Berichte über die Corona-Maßnahmen machten einen großen Teil der Berichterstattung aus, allerdings ging es dabei vor allem darum, was die Bürgerinnen und Bürger zur Eindämmung der Pandemie beitragen konnten, etwa die Einhaltung der Aha-Regeln oder die Schließung von Veranstaltungsorten. Mögliche Aktionen der Politik, wie etwa die Installation von Luftfilteranlagen in Schulen, spielten eine sehr viel kleinere Rolle. "Staatliche Maßnahmen kamen in der Berichterstattung insgesamt nur selten vor, sodass bei den Rezipienten der Eindruck entstehen musste, sie seien für die Pandemiebekämpfung weitgehend selbst verantwortlich", schreiben die Forscher.
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Gerade zu Beginn stand die Berichterstattung den ergriffenen Maßnahmen laut Studie meist positiv gegenüber, im zweiten Pandemiejahr 2021 habe die Unterstützung deutlich nachgelassen. Insgesamt stellten 26 Prozent der Beiträge die ergriffenen Corona-Maßnahmen als zu weitgehend dar, 31 Prozent hingegen als nicht ausreichend. "Kritik an den Maßnahmen kam dabei in etwa gleichem Umfang von beiden Seiten: denen, die die Maßnahmen für zu weitreichend und denen, die sie für nicht weitreichend genug hielten", bilanzieren die Autoren.
Grundsätzlich habe aber im gesamten untersuchten Zeitraum in der Berichterstattung die Position überwogen, dass die Maßnahmen angemessen waren oder nicht weit genug gingen. Dabei zeigt die Studie Unterschiede zwischen den verschiedenen Medien. Beispielsweise sei die Bild-Zeitung am häufigsten zu dem Urteil gekommen, dass die Maßnahmen übertrieben seien, sagte Autor Reinemann im Dlf - anders als etwa die Fernsehnachrichten.
Politikerinnen und Politiker, vorrangig aus den Unionsparteien, dominierten die Berichterstattung laut Studie. Die Opposition sei sehr viel seltener in den Beiträgen vorgekommen. Regelmäßig abgebildet wurden den Daten nach auch die Meinungen und Einschätzungen von Ärztinnen, Wissenschaftlern und anderen Fachleuten aus dem Gesundheitswesen – wobei die Disziplinen Psychologie und Psychiatrie nur einen sehr kleinen Teil ausmachten.
Während zu Beginn der Pandemie vor allem der Virologe Christian Drosten als mit Abstand meistzitierter Experte gefragt war, wurde im Frühjahr 2021 der SPD-Politiker und Mediziner Karl Lauterbach zum vorrangigen Interviewpartner. Dass weibliche Expertinnen gerade zu Pandemiebeginn auffallend wenig zu Wort kamen, hatten bereits im vergangenen Jahr Erhebungen der MaLisa-Stiftung gezeigt.
Kaum eine Rolle hätten auch Infizierte gespielt, die von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Virus berichteten, so die Ergebnisse der aktuellen Studie. Auch Menschen, die den ergriffenen Corona-Maßnahmen skeptisch gegenüberstehen, zum Beispiel so genannte "Querdenker", hätten nur wenig Raum in der Berichterstattung bekommen.