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Studie zu Demokratie-Einstellungen
Wenn Medien als Gegner wahrgenommen werden

Ein Fünftel der Deutschen hat einer aktuellen Studie zufolge ein rechtspopulistisches Weltbild. Klassische Nachrichtenmedien spielen hier fast keine Rolle mehr. Neu ist diese Entwicklung nicht. Aber die Gruppe wird lauter und sichtbarer.

Text: Michael Borgers | Frank Brettschneider im Gespräch mit Sebastian Wellendorf |
Ein Mann auf einer Demonstration 2016 ein Schild mit der Aufschrift "Lügenpresse"
"Lügenpresse" - ein gut 170 Jahre altes Schlagwort, das Joseph Goebbels geprägt hat und das inzwischen wieder populär geworden ist bei einigen (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
Ob Markus Söder denn morgens „den Tagesbefehl rausgibt“. Das wollten immer wieder Leser wissen, erklärt Roman Deininger, Chefreporter der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), im ZDF bei Markus Lanz, keine Woche nach Beginn der Flugblatt-Affäre um den bayerischen Vizeregierungschef Hubert Aiwanger. Andere hätten ihn sogar gefragt, so Deininger, ob CSU-Chef Söder höchstpersönlich bei der SZ die Recherche zu seinem politischen Gegner (bei der anstehenden Landtagswahl) und Partner (in der Regierung) in Auftrag gegeben habe.  
„Die Skepsis, dass Medien und der Staat unter einer Decke stecken, die ist ausgeprägt“, stellt der Journalist fest – und ergänzt: Genau diese Skepsis bediene aber Hubert Aiwanger, mit Raunen statt mit Fakten.
Der Chef der Freien Wähler ist seit Veröffentlichung der SZ-Recherchen täglich mehr unter Druck geraten. Im Mittelpunkt der Kritik neben Antisemitismus-Vorwürfen aus seiner Jugend: Aiwangers Krisenkommunikation, mit der er vor allem seine eigene „Kundschaft“ bediene, wie Kommunikationsberater und Journalist Hendrik Wieduwilt im Deutschlandfunk sagte.
Die Kundschaft von Hubert Aiwanger und die Leserschaft der SZ, Deutschlands größter überregionaler Qualitätszeitung – irgendwo zwischen diesen beiden Gruppen spielen auch Teile der Erkenntnisse, die ein Team um den Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim in dieser Woche vorgestellt hat.

Medien lügen systematisch: Jeder Fünfte glaubt das

Es geht um das sogenannte Demokratie-Monitoring, das die Hochschule seit einigen Jahren erhebt. Das ist die Analyse einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführt hat. Ein Ergebnis der Auswertung in diesem Jahr: Gut ein Viertel der Bevölkerung stimmt den Aussagen zu, „Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren“ und „Medien bringen nur, was die Herrschenden vorgeben“. Stichwort: Söder und Vorwürfe der SZ-Leserschaft.
Ein Fünftel glaube sogar, „Deutschland wird von den Medien systematisch belogen“, sagte Frank Brettschneider im Deutschlandfunk. „Und das ist dann nicht mehr eine Kritik, auch keine konstruktive Kritik an der Art der Berichterstattung, sondern das ist dann eine Betrachtung, die Medien sogar als Gegner wahrnimmt und den Eindruck hat: Das ist eine politische Macht, die uns unterdrücken will“, so der Kommunikationswissenschaftler. So sähen das besonders Männer mittleren Alters und von denen mehr in den neuen Bundesländern.

„Deutlich sichtbarer, als es früher war"

An den Zahlen habe sich gegenüber vorangegangenen Untersuchungen gar nicht viel getan, stellt Brettschneider fest. Aber dieses Fünftel sei „deutlich sichtbarer, als es früher war, artikuliert sich auch häufiger, etwa in Online-Foren“. Und die Sichtweise dort reihe sich ein in eine Reihe von anderen kritischen bis sehr falschen Vorstellungen davon, wie Politik in Deutschland funktioniere, wie etwa der Aussage „Die regierenden Parteien betrügen das Volk“. Die Corona-Pandemie habe hierzu auch beigetragen.
„Das heißt, hier wird die negative Sicht auf Massenmedien eingebaut in ein Weltbild, das sagt, es gibt auf der einen Seite die Bevölkerung, und auf der anderen Seite gibt es Eliten, die diese Bevölkerung unterdrücken wollen“, so fasst Brettschneider die Ergebnisse im Interview zusammen. Es gehe hier um die Gesamterzählung von „Wir, die Bevölkerung, gegen die, die Eliten, die uns unterdrücken wollen“, was gemeinhin "als populistisches Weltbild beschrieben" werde.

Weniger „Kampfbilder“: Wege raus aus der Skepsis

Und nun? Was tun? Bei denen, die gar nicht mehr klassische Medien nutzten, dringe man kaum noch ein, stellt Brettschneider fest. „Da würde ich mir jetzt auch keine allzu große Mühe geben“. Anders sei das bei einer zweiten Gruppe, die tatsächlich „eher skeptisch“ sei. Hier gehe es um Kritik an verschiedenen Erscheinungsformen von Medienberichterstattung, die „teilweise auch durchaus nachvollziehbar ist".
„Und da können zwei verschiedene Dinge eine Rolle spielen: Erstens die Arbeit von klassischen Nachrichtenmedien noch besser zu erklären und zweitens auch teilweise die Berichterstattung zu verändern“, schlägt der Kommunikationswissenschaftler vor. Im Vordergrund sollten nicht so sehr „Kampfbilder“ stehen. Statt „Wer in der Bundesregierung kämpft gegen wen“ sollten Medien Positionen und politische Prozesse besser erklären.