Kate Maleike: So langsam läuft sie wieder an, die Abi-Zeit in Deutschland – in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ab heute mit den traditionellen Mottowochen vor den Osterferien, in denen sich der Jahrgang sozusagen aus dem Schulleben verabschiedet, und auch politisch ist das Abitur gerade oben auf der Agenda: Die bayrische CSU will am Mittwoch über die Rückkehr zu G9 entscheiden, und in Nordrhein-Westfalen läuft ja noch das Volksbegehren gegen das Turboabitur. In diese Woche passt also wunderbar ein Forschungsprojekt, das das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen nun im Ergebnis vorgestellt hat, denn die Wissenschaftler haben sich den Doppelabi-Jahrgang von 2013 vorgenommen und geschaut, wo diese Abiturienten, die damals gleichzeitig in G8 und G9 fertig wurden, so geblieben sind. Professor Sybille Stöbe-Blossey hat dieses Lernforschungsprojekt mitbetreut, guten Tag!
Sybille Stöbe-Blossey: Ja, guten Tag!
"Viele haben inzwischen ihr Studium auch wieder abgebrochen"
Maleike: Wo sind denn diese Abiturienten des Doppelabi-Jahrgangs geblieben?
Stöbe-Blossey: Sie sind da geblieben, wo alle anderen Abiturientinnen und Abiturienten auch geblieben sind, sie sind vorrangig an die Hochschule gegangen, viele von ihnen haben vor ihrem Studienbeginn ein Freiwilliges soziales Jahr, einen Auslandsaufenthalt oder andere Möglichkeiten dazwischengeschaltet. Einige wenige haben eine Ausbildung begonnen. Viele haben inzwischen ihr Studium auch wieder abgebrochen und haben gewechselt, ein neues Studienfach gefunden oder eine Ausbildung nach einem abgebrochenen Studium angefangen und sind meistens aber mit dieser Lösung sehr zufrieden. Es ist zum Beispiel ein zentraler Punkt, den wir festgestellt haben, wenn man sich nach dem Abitur erst mal nicht so ganz richtig entschieden hat, dann kommt es vor allem darauf an, dass man die Möglichkeit hat und sich traut, diese Entscheidung zu revidieren und eben zu wechseln und nicht um jeden Preis das weiterzumachen, was man angefangen hat. Das finden nämlich einige Schülerinnen und Schüler im Nachhinein – drei Jahre nach ihrem Abitur haben wir sie befragt – als sehr unbefriedigend.
Maleike: Was ist denn das wichtigste Ergebnis Ihrer Befragung?
Stöbe-Blossey: Das wichtigste Ergebnis unserer Befragung ist, dass, was den Verlauf der weiteren Bildungs- und Berufswege nach dem Abitur betrifft, wir keinerlei Unterschiede zwischen G8- und G9-Abiturienten feststellen konnten.
Suche nach Studienplatz war schwieriger
Maleike: Das heißt, das ist also gar nicht so gekommen, wie so manch einer gedacht bei diesem Doppeljahrgang, dass es auch Befürchtungen gab, weil jetzt unglaubliche viele Abiturienten auf einmal sozusagen auf den Markt kommen, dass das vielleicht für den ein oder anderen ein Nachteil war?
Stöbe-Blossey: Es gibt einige, die darauf hinweisen, dass es schwieriger war, einen Studienplatz oder einen Ausbildungsplatz zu bekommen wegen der Menge des Doppeljahrgangs, aber eben nicht wegen G8 oder G9. Also den G8ern ist es nicht schlechter ergangen als den G9ern nach dem Abitur. Sie haben weder öfter ihr Studium abgebrochen, noch haben sie öfter noch eine Zwischenstation eingeschaltet, noch sind sie mit ihrem bisherigen Weg weniger zufrieden. Also wenn man sich den Verlauf nach dem Abitur anschaut, dann muss man sagen, es gibt kaum ein Problem, was mehr überschätzt wird als der Unterschied zwischen G8 und G9.
Maleike: Das heißt, es ist eigentlich gar nicht so ein besonderer Jahrgang von hinten her gesehen?
Stöbe-Blossey: Es ist schon ein besonderer Jahrgang, weil sie eben natürlich mit der großen Menge zu kämpfen haben. Wenn die Schüler gefragt werden oder wenn die ehemaligen Abiturienten gefragt werden im Rückblick, ob sie einen großen Leistungsdruck in der Oberstufe verspürt haben, dann haben sie ihn häufig deswegen verspürt, weil sie eben Sorge hatten, wir sind so viele und es wird enger, aber sie haben ihn nicht stärker verspürt, ob sie nun G8er oder G9er waren. Es gibt einzelne G8er, die angeben, dass sie sich überfordert gefühlt haben, es gibt vor allem viele G9er, die sagen, sie finden G9 auch im Nachhinein besser, weil es entspannter war und sie mehr Freizeit hatten, aber so diese große Katastrophe, die im Hinblick auf G8 immer wieder diskutiert wird, also auch der Begriff Turboabi, der ja schon suggeriert, dass das irgendwie was ganz Fürchterliches wäre, da finden wir in unserer Befragung keine Hinweise darauf, dass das wirklich eine Grundlage hätte.
Bessere Studien- und Berufsvorbereitung erforderlich
Maleike: Sie haben ja eine Befragung gemacht, muss man sagen, 68 Einzelinterviews geführt, das ist also keine repräsentative Studie oder so was.
Stöbe-Blossey: Nein, natürlich nicht.
Maleike: Was lässt sich denn darüber sagen, inwieweit das sozusagen im Ganzen so war?
Stöbe-Blossey: Man kann natürlich nicht von 68 wirklich jetzt auf Repräsentativität schließen oder über Repräsentativität spekulieren. Nur wenn wir, was die weiteren Verläufe des Bildungswegs betrifft, bei 68 Personen so gar keine Unterschiede feststellen können, dann ist es relativ unwahrscheinlich, dass es in der Realität so ganz anders aussieht.
Maleike: Unabhängig aber von G8, G9, die jungen Erwachsenen tun sich schwer – das haben Sie gefunden in Ihrer Befragung – mit der komplexen Entscheidung für den weiteren Bildungsweg. Heißt: Sie sagen, es muss unbedingt eine bessere Studien- und Berufsvorbereitung oder -beratung an die Gymnasien auch?
Stöbe-Blossey: Ja, in den Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen. Aus anderen Untersuchungen wissen wir übrigens, dass das an den Berufskollegs in den Oberstufen, also in den Wirtschaftsgymnasien beispielsweise, dass das da von den Schülern häufig besser beurteilt wird. Da merkt man eben schon, dass die schon näher am Berufsleben dran sind, die Schulen auch. Und während bei den gymnasialen Oberstufen und den Oberstufen der Gesamtschulen haben wir da doch noch deutlichen Entwicklungsbedarf.
Maleike: Der Doppeljahrgang Abitur 2013 in Nordrhein-Westfalen, wo ist er geblieben? Das haben Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen untersucht. Dazu war das Professor Sybille Stöbe-Blossey hier in "Campus & Karriere". Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Stöbe-Blossey: Ja, vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.