Archiv

Studie zu Führungskräften
Chefs trauen sich nicht, mutige Entscheidungen zu treffen

Oft agierten Chefs nicht zum Wohle der Firma, sondern so, dass sie trotz Fehlentscheidung dennoch gut dastünden, sagte Florian Artinger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung im Dlf. Seine Studie zeige, dass Führungskräfte, statt mutig Neues zu probieren eher defensiv entschieden.

Florian Artinger im Gespräch mit Ralf Krauter |
Ein Mann unterschreibt am in einem Büro in einen Vertrag (gestellte Szene)
Eine offene Kommunikationskultur könne dazubeitragen, defensive Entscheidungen in einem Unternehmen zu reduzieren, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Florian Artinger im Dlf (dpa / Christin Klose)
Ralf Krauter: In einer perfekten Welt würden Führungskräfte immer das tun, wofür sie bezahlt werden: Sie würden Entscheidungen treffen, die den Erfolg ihres Arbeitgebers begünstigen. Die Realität sieht aber anders aus: Führungskräfte stellen die Weichen oft so, dass ihr persönliches Risiko, einen Fehler zu machen, minimiert wird. Wie verbreitet dieses Phänomen ist, hat der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Florian Artinger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin jetzt untersucht und dazu 950 Führungskräfte einer öffentlichen Einrichtung befragt. Weil sogenannte "defensive Entscheidungen" im Mittelpunkt seines aktuellen Artikels im Fachmagazin "Business Research" stehen, wollte ich vorhin als Erstes wissen, was genau er darunter versteht.
Florian Artinger: Genau, also eine defensive Entscheidung ist, wenn zum Beispiel ein Manager oder anderer Entscheidungsträger ganz klar eine Option identifiziert hat, die die beste für die Organisation ist, er nutzt diese allerdings nicht, sondern entscheidet sich ganz bewusst für eine Option, die aus Sicht der Organisation schlechter ist, und er wählt diese, da sie ihn persönlich schützt, sollte etwas schiefgehen.
Also da gibt es auch im Englischen einen ganz netten Ausdruck, der selbst im Oxford English Dictionary aufgeführt ist, und das ist "to cover your ass". Auf Deutsch übersetzt ist dies das Prinzip einer Absicherungskultur.
Konflikte vermeiden, statt aus dem Scheitern zu lernen
Krauter: Können Sie da mal ein konkretes Beispiel dafür nennen, also was könnte das sein in einem Unternehmens- oder Behördenalltag?
Artinger: Na klar, zum Beispiel: Ein Management-Team hat die Wahl zwischen zwei Beratungsunternehmen, das eine ist weniger bekannt, aber hochspezialisiert und würde einen Senior Consultant schicken, wogegen die andere Beratung ist sehr bekannt und aber auch sehr teuer im Vergleich zur ersten, diese würde aber nur einen Junior Consultant schicken. Das heißt, man weiß ganz genau, dass die bessere und gleichzeitig günstigere Leistung von der kleineren Beratung erbracht werden würde.
Eine Defensiventscheidung ist nun gegeben, wenn sich das Management-Team für die größere und teurere Beratung entscheidet, die nur den Junior Consultant schickt. Im Fall, dass das Projekt schiefgeht, kann so das Management immer darauf verweisen, dass man ja viel Geld für die bekannte Beratung ausgegeben hat. Und so kann man sich eben vor Kritik im Nachgang absichern. Auch im Einstellungsprozess sieht man sehr häufig, dass sich zum Beispiel gegen einen externen Kandidaten entschieden wird, obwohl dieser deutlich besser qualifiziert und besser fürs Team wäre, um im Nachgang eben sich Konflikte zu sparen im Team als solches. Das ist auch was, was wir oft gesehen haben.
Oder eben ein anderes ist, wo sich Manager gegen innovative Projekte entscheiden, obwohl diese deutlich vielversprechender sind, einfach, um ein mögliches Scheitern im Nachhinein nicht rechtfertigen zu müssen. Also da gibt es eine ganze Bandbreite, die wir hier sehen.
Defensiventscheidungen sind "sehr weit verbreitet"
Krauter: Im Sinne der Organisation können solche Entscheidungen eigentlich nicht sein. Wie weit verbreitet ist denn das Phänomen, dass also Entscheidungsträger nicht die sachlich beste Wahl treffen, sondern offenbar die, die für sie selbst am sichersten ist?
Artinger: Sehr weit verbreitet, was wir bisher sehen können. Unsere Studie umfasst alle Hierarchiestufen einer wirklich großen öffentlichen Einrichtung, und selbst auf der obersten Stufe sieht man zum Beispiel, dass auch hier defensive Entscheidungen wirklich häufig vorkommen. Wir haben auch im privaten Sektor erste Ergebnisse einfahren können und auch hier zeigt sich das gleiche Bild, tendenziell sogar so, dass auch hier deutlich häufiger noch defensiv entschieden wird.
Eine von vier Entscheidungen wird nicht zum Besten des Unternehmens getroffen
Krauter: Ich habe gelesen, Sie kommen zu dem Schluss, dass im Durchschnitt eine von vier wichtigen Entscheidungen nicht im besten Interesse der Organisation getroffen wird. Ist diese Quote höher oder niedriger, als Sie erwartet hatten?
Artinger: Also wir waren eher überrascht und hatten erwartet, dass eine Absicherungskultur und defensives Entscheiden weiter verbreitet ist, und es ist auch gleichzeitig sicher eine sehr mutige Entscheidung der Person, die die Studie initiiert hatte in der Organisation. Gleichzeitig hat man nun eben die Möglichkeit, hier konkrete Anhaltspunkte zu haben, wo man in einer Situation ansetzen kann, um hier defensive Entscheidungen zu reduzieren, weil selbst eine aus vier ja wirklich gravierende negative Konsequenzen hat für die Organisation.
Entscheidend ist, wie mit Fehlern umgegangen wird
Krauter: Das bringt uns zur Frage nach den Ursachen für dieses Verhalten der Führungskräfte: Warum entscheiden die denn so gerne defensiv?
Artinger: Sicher zentral ist hierbei, wie mit Scheitern umgegangen wird. Also gerade bei wichtigen Entscheidungen geht es immer auch um Risiko, es geht um Faktoren, die man nicht beeinflussen kann oder vorhersehen kann, und Entscheidungen sind komplex, in einem solchen Kontext kann immer auch etwas schiefgehen. Es ist daher wichtig, wie in Organisationen damit umgegangen wird, wenn man einmal keinen Erfolg hat.
Werden dann die Entscheider an den Pranger gestellt, lernen Mitarbeiter schnell, sich eben abzusichern. Das heißt, es ist wichtig, im Team eine Kultur der sogenannten psychologischen Sicherheit zu erarbeiten, bei dem der Einzelne weiß, dass das Team voll und ganz hinter ihm oder ihr steht, falls es zu Misserfolg kommt. In einem solchen Fall wird eben nicht nach dem Schuldigen gesucht, sondern man analysiert zusammen, warum etwas nicht geklappt hat und im vollen Bewusstsein, dass dies jedem passieren kann.
"Ein Aspekt der Fehlerkultur ist psychologische Sicherheit"
Krauter: Also es geht um das Etablieren einer produktiven Fehlerkultur?
Artinger: Richtig, ganz genau, ein Aspekt der Fehlerkultur ist psychologische Sicherheit, dass man damit wirklich gut umgehen kann. Und ein anderer Aspekt hierbei, der auch Teil der Fehlerkultur letztendlich ist, ist, dass man wirklich die einzelnen Teammitglieder auch dazu ermuntert, Kritik offen auszusprechen oder Bedenken zu äußern, damit man sich damit aktiv auseinandersetzen kann.
Krauter: Das wäre das Stichwort Kommunikation sozusagen, die wichtig ist, um das Unternehmen intern aufs richtige Gleis zu setzen?
Artinger: Richtig, genau.
Krauter: Das zeigt schon die Richtung, die man gehen müsste, um das Problem zu lindern. Was schlagen Sie ganz konkret vor? Was könnten, was sollten Unternehmen tun oder große Organisationen wie Behörden, um dieses Problem zu lindern?
Artinger: Was wir mit Simply Rational machen, also eine Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut, mit unseren Kunden zusammen, dass wir erst mal rausgehen und testen und wirklich gucken, okay, wie weit verbreitet sind defensive Entscheidungen, wo sind diese vor allen Dingen besonders gravierend ausgeprägt, und wenn man einen ersten Überblick hat über die Organisation, dann gehen wir im zweiten Schritt rein und gucken uns geeignete Maßnahmen an.
Beispielsweise setzen viele Organisationen agiles Arbeiten ein und es ist dort ein wichtiges Thema, und hier gibt es eine ganze Reihe von Ansatzpunkten im agilen Arbeiten, die man dazu nutzen kann, um eine bessere Fehlerkultur zu etablieren, um auch defensive Entscheidungen zu reduzieren.
Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von anderen spannenden Formaten in dem Bereich, zum Beispiel setzt die Deutsche Telekom augenblicklich sogenannte Fuck-up Nights um, die kommen ursprünglich aus der Start-up-Szene, und was hier gemacht ist, man setzt sich am frühen Abend bei einem Bier und einer Pizza in einer entspannten Atmosphäre zusammen und ein Manager berichtet zum Beispiel nicht wie üblich über seine Erfolge und was alles gut gelaufen ist, sondern ganz konkret über Projekte, die gescheitert sind und die Misserfolge, die er auch hatte. Das heißt, dass man hier auch im Unternehmen einfach darüber offen redet, dass nicht immer alles funktionieren muss, sondern im Gegenteil, dass man eben auch mit Scheitern effektiv und produktiv umgehen kann.
Eine Illustration zeigt Frauen und Männer in Arbeits- und Businesskleidung als Figuren auf einem Schachbrett.
Viele Chefs scheuen Konflikte in der Firma und treffen daher eher defensive Entscheidungen (imago images / Ikon Images / Taylor Callery)
Und was wir augenblicklich auch machen, was ganz interessant ist: Wir entwickeln gerade für das Projektmanagement ein Werkzeug, die sogenannte Gefängnisfreikarte, die bekommen in Unternehmen Projektverantwortliche am Anfang des Jahres, und diese kann dann eingesetzt werden, sobald ein Projekt missglückt ist. So hat man quasi als Projektleiter immer den Anreiz, okay, wenn was schiefgeht, dann ist das nicht weiter schlimm, man kann hier konkret mit der Gefängnisfreikarte arbeiten.
Gleichzeitig hat man auch als Vorgesetzter immer die Möglichkeit, zu gucken, okay, gehen denn meine Mitarbeiter Risiken ein und entscheiden sich wirklich im besten Sinne der Organisation, oder versuchen sie, sich eher abzusichern? Also wenn jemand zum Beispiel längere Zeit keine Gefängnisfreikarte einreicht, kann man hier konkret als Vorgesetzter das Gespräch suchen und gucken, warum denn das der Fall ist. Gab es hier viel Glück oder sollte der Mitarbeiter vielleicht noch ein bisschen proaktiver gucken nach anderen Projekten, die spannender wären für die Organisation?
Also hier gibt es, wie gesagt, eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Ansatzpunkten, um defensive Entscheidungen in eine positive Fehlerkultur zu gestalten.
Potenziell kann man viel machen, um defensive Entscheidungen zu reduzieren
Krauter: Sprechen wir noch mal ganz kurz über die Details Ihrer Studie. Sie haben 950 Führungskräfte aller Hierarchieebenen befragt in dieser großen Organisation, die wir nicht genauer nennen dürfen. Wie repräsentativ kann denn so was sein, weil letztlich hat ja jede Organisation ihre eigene Binnenunternehmenskultur, das heißt, woanders wäre Ihre Befragung doch vielleicht ganz anders ausgegangen?
Artinger: Richtig, genau. Wir hatten schon die Möglichkeit in einigen Organisationen, uns das Thema anzugucken, und hier gibt es in der Tat sehr große Unterschiede. Also wir sehen Organisationen, wo eine aus zehn wichtigen Entscheidungen wirklich defensiv ist, wir sehen aber auch Organisationen, bei denen fünf, sechs, sieben der zehn wichtigsten Entscheidungen defensiv sind.
Also hier gibt es gravierende Unterschiede. Und das zeigt eben auch, wie wichtig die Organisationskultur wirklich ist für diese defensiven Entscheidungen, und gleichzeitig aber auch, dass man hier potenziell viel machen kann, um ein besseres Entscheidungsklima, eine bessere Fehlerkultur zu haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.