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Studie zu Geisterspielen
Fußball in Coronazeiten: Heimvorteil adé!

Gleich mehrere Studien haben Geisterspiele in den europäischen Ligen wie der Bundesliga wissenschaftlich untersucht. Es bestätigt sich dabei nicht nur, dass der Heimvorteil verloren geht. Sondern auch, dass sich die Vormachtstellung finanzstarker Klubs manifestiert.  

Von Thorsten Poppe |
Die Fußballer des 1. FC Köln jubeln auf dem Platz im Spiel gegen Arminia Bielefeld
Elf Monate musste der 1. FC Köln auf den ersten Heimsieg in einem Geisterspiel warten (picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd)
Elf Monate lang ohne Heimsieg, bis es Ende Januar gegen Arminia Bielefeld für den 1. FC Köln endlich wieder einmal klappt. FC-Trainer Markus Gisdol ist nach dem 3:1 gegen den direkten Konkurrenten im Abstiegskampf die Erleichterung anzumerken:
"Man führt sich ja so eine Statistik nicht ständig vor Augen. Man wird natürlich immer wieder danach gefragt. Das ist jetzt eine Frage weniger, die ich in Zukunft beantworten muss. Deshalb ist für mich schön, für unsere Mannschaft eine Erleichterung, dass wir dieses Heimspiel heute gewinnen konnten!"
Der letzte Heimsieg davor gelingt noch vor 50.000 Zuschauern gegen Schalke 04, bevor die Pandemie kurz danach zu Spielen ohne Zuschauer führt. Und damit ist der FC nicht gut zurecht gekommen: Erst 15 Heimspiele nach dem Schalke-Sieg punkten die Kölner zu Hause wieder dreifach.

Mehr Auswärts- als Heimsiege

Auch weil solche langen Zeiträume ohne Heimsieg eher ungewöhnlich sind, hat Prof. Martin James von der Technischen Universität München den Einfluss der Geisterspiele auf die Bundesliga untersucht, und bei den Ergebnissen eindeutig eine Schwächung für die Heimmannschaft festgestellt:
"Das Ergebnisprofil, also die Mischung aus Heimsieg, Unentschieden, und Auswärtssieg hat sich deutlich insofern verändert, als die Heimsiege um über 15 % zurückgegangen sind. Während die Auswärtssiege um denselben Anteil gestiegen sind. Dies gilt sowohl im langjährigen Vergleich, als auch im Vergleich des ersten Saisonabschnitts 19/20 mit Zuschauern, zum zweiten ohne Zuschauer!"
In nackten Zahlen gesprochen: Vor Corona hat die Heimmannschaft fast die Hälfte der Spiele gewonnen, in weniger als einem Drittel der Spiele hat das Auswärtsteam gesiegt. Das hat sich mit den Geisterspielen stark verändert.

Kaum noch Überraschungssiege

Plötzlich enden nur noch knapp mehr als ein Drittel der Heimspiele mit einem Sieg der Gastgeber, die Auswärtsmannschaften fahren zu fast 40 Prozent einen Sieg ein. Für den Sportspielforscher ist vor allem der Aspekt entscheidend, dass sich das Tabellenbild mit Wegfall des Heimvorteils weiter manifestiert:
"Wenn man sich das veränderte Ergebnisprofil genauer anschaut, stellt man fest, dass es vor allem auf Rückgänge der Heimsiege von tabellarisch Unterlegenden gegen tabellarisch überlegende Gäste zurückgeht. Schaut man noch genauer hin, dann sind besonders Spiele, in denen die Heimmannschaft gegen überlegende Mannschaften das Spiel noch dreht, in Geisterspielen seltener geworden."
Ein Fussballspieler steht alleine in einem Stadium ohne Publikum.
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Das Überraschungsmoment leide darunter stark. Ähnliches ist in anderen europäischen Ligen zu beobachten. So forscht aktuell die Universität Salzburg dazu, wie sich Geisterspiele auf den sportlichen Wettbewerb auswirken. Dr. Michael Leitner analysiert dafür die Top-15-Ligen Europas, bei denen sich überall derselbe Effekt bei Spielen ohne Zuschauer abzuzeichnen scheint:
"Der Heimvorteil ist in der wissenschaftlichen Literatur sehr gut belegt, und speziell im Fußball sehr gut untersucht. Mit diesem Effekt der fehlenden Zuseher scheint auch dieser Effekt des Heimvorteils zu schwinden bzw. vielleicht sogar sich umzudrehen, dass die Auswärtsmannschaften wirklich besser spielen."

Weniger Emotion bei Spielern und Betreuern

Gastmannschaften scheinen zum Beispiel in Geisterspielen mehr Tore zu schießen. Michael Leitner betont aber, dass dies noch statistisch abgesichert werden müsse. Dennoch würde sich ein solches Ergebnis mit seinen bisherigen Analysen aus Österreich decken, wo sogar um 20 Prozent mehr Tore bei den Geisterspielen gefallen sind.
Und noch etwas ist dem Forscher dabei aufgefallen. In den coronabedingten Geisterspielen ist es bei Spielern und Betreuern zu weniger emotionalen Ausbrüchen und Streit gekommen, als bei Spielen mit Publikum. Der Wissenschaftler erklärt das mit weniger Emotionalität:
"Weil eben das Publikum so von außen eben einen Effekt ins Spiel hineinträgt, dass es einfach auch die Emotionen der Spieler verstärkt. Diese Verstärkung, die vom Publikum passiert, fällt jetzt eben mit den Geisterspielen weg. Insofern können wir das psychologisch so erklären, dass einfach die Spieler dann nicht von außen noch zusätzlich gepusht werden, wenn sie sich zum Beispiel ärgern über einen nicht gegebenen Strafstoß, oder wenn sie zum Beispiel gefoult werden."

Geisterspiele nützen sportlich den Besten

All diese Ergebnisse zeigen: Die Geisterspiele haben einen großen Einfluss auf den sportlichen Wettbewerb – und helfen vor allem den Top-Klubs. Das zementiert die Kräfteverhältnisse in den einzelnen Ligen weiter. Nicht die einzige Gefahr, die Martin Lames von der TU München für den Profi-Fußball sieht.
"Darüber hinaus kann dies sogar das Interesse an der Liga oder an dem Fußball allgemein schmälern. Da sich dieser zum Teil aus Überraschungen und sensationellen Comebacks der Underdogs speist. Und eine erhöhe Vorhersehbarkeit von Siegen der großen, finanzstarken Vereine dem Interesse eher abträglich ist."