"Auch im Breitensport kommt es in Vereinen zu Erfahrungen von emotionaler, körperlicher und auch sexualisierter Gewalt", fasst Marc Allroggen zusammen. Der Kinder- und Jugendpsychiater von der Uniklinik Ulm ist einer der Studienleiter.
In einer Online-Befragung haben 4400 Personen beantwortet, wie häufig sie im Verein mit Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt konfrontiert waren. Gut zwei Drittel der Vereinsmitglieder haben geantwortet, mindestens eine Form dieser negativen Erfahrungen gemacht zu haben.
Eine alarmierende Zahl vor dem Hintergrund der positiven Werte, die gemeinhin mit dem Sport verbunden werden: Fairplay, Respekt, Toleranz, Loyalität. Für Sportsoziologin Bettina Rulofs von der Bergischen Universität Wuppertal, die die Studie ebenfalls leitet, eher die Realität. Die Befragten hätten auch außerhalb des Sports ähnliche Gewalterfahrungen gemacht.
"Das heißt, es gehört ein stückweit auch zu unserem normalen Alltag offensichtlich dazu, dass wir solche negativen Erfahrungen machen."
Nicht nur hohe Zahlen im Sport
Im Vereinssport habe knapp ein Fünftel der Befragten ungewollte sexuelle Berührungen oder Handlungen erlebt. Von anzüglichen Bemerkungen oder unerwünschten Text- oder Bildnachrichten berichten ein Viertel der Befragten. Sechs von zehn Personen sind im Vereinssport beschimpft oder bedroht worden, vier von zehn gar geschüttelt oder geschlagen.
"Diese Zahlen sind sehr hoch, aber wir werden ähnliche Zahlen in anderen institutionalisierten Kontexten finden", ist Mediziner Allroggen überzeugt - auch vor dem Hintergrund von Erkenntnissen aus anderen Studien. Dennoch bewertet die Mehrheit der Befragten den Vereinssport als eine gute bis sehr Erfahrung.
Unsicherheit im Umgang mit Missbrauchsfällen
In einer Teilstudie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch 300 Verbände zu ihren Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt befragt. Fast alle geben an, Prävention sexualisierter Gewalt für relevant zu halten.
"Wir können also davon ausgehen, dass auf Ebene dieser Haltung und Einstellung zum Thema ein relativ hohes Commitment in den Verbänden vorhanden ist."
Auch Schutzmaßnahmen hätten die Verbände teilweise umgesetzt. Große Unsicherheit herrscht vor allem im Umgang mit Fällen. Hier soll die Studie Erkenntnisse liefern, wie die Verbände mit gezielten Präventionsmaßnahmen unterstützt werden können. Die Gewalterfahrungen müssten ernst genommen werden, so Bettina Rulofs. Das sei aber bereits bei vielen Verbänden und Vereinen der Fall.
"Wir müssen eben alle daran mitarbeiten, dass der Verein auch ein sicherer Ort ist, um ein schöner Ort sein zu können". Im Frühsommer des kommenden Jahres soll die Auswertung abgeschlossen sein.