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Studie zu Zuwanderern aus der Türkei
Verbundenheit zu Deutschland nimmt ab

Der Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft hat eine Integrationsdebatte entfacht. Er begründete seinen Abgang damit, sich nicht erwünscht zu fühlen. So geht es offenbar auch vielen anderen Deutsch-Türken. Das zeigt eine Studie der Universität Duisburg-Essen.

Moritz Küpper im Gespräch mit Lena Sterz |
    Teilnehmer einer Demonstration in Berlin schwenken türkische Flaggen vor dem Brandenburger Tor.
    Eine Studie der Universität Duisburg Essen hat untersucht, wie stark sich türkeistämmige Zuwanderer mit der deutschen und mit der türkischen Politik identifizieren (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Lena Sterz: Nationalspieler Mesut Özil ist gestern Abend aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, nachdem er für sein Bild mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan von vielen Seiten kritisiert worden war. Mesut Özil hat das Bild mit Erdogan auch mit Blick auf seine türkischen Wurzeln verteidigt: Er habe nur dem höchsten Amt der Türkei Respekt zollen wollen. Jetzt ist Özil einer von Millionen Deutschen mit türkischen Wurzeln, für deren Ansichten sich auch Wissenschaftler interessieren – eine Studie der Universität Duisburg Essen hat untersucht, wie stark sich türkeistämmige Zuwanderer mit der deutschen und mit der türkischen Politik identifizieren. Ihre Ergebnisse haben die Forscher heute im nordrhein-westfälischen Landtag dem zuständigen Minister vorgestellt. Deutschlandfunk-Landeskorrespondent Moritz Küpper war dabei – zu welchem Ergebnis sind die Forscher gekommen?
    Dritte Generation setzt Gleichbehandlung voraus
    Moritz Küpper: "Identifikation und Partizipation türkeistämmiger Zugewanderter", so lautete der offizielle Titel dieser Studie, die an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wurde. Sozusagen ein Meinungsbild aus der Community hierzulande. Die heute vorgestellten Ergebnisse beziehen dabei vor allem auf Nordrhein-Westfalen, gut eine Millionen der insgesamt knapp drei Millionen Befragten, lebt ja in NRW, aber die Ansichten sind weitestgehend deckungsgleich, gelten auch für das ganze Bundesgebiet, das betonte der Leiter der Studie, Professor Haci-Halil Uslucan, auch zu Beginn – und sagt zu den Ergebnissen:
    "Die positive Botschaft ist erstmal, dass der Bezug zu beiden Ländern, der stärkste ist. Aber wir haben seit 2010 schon auch eine kritische Entwicklung dahingehend, dass der alleinige Bezug zur Türkei stärker wird, das Verbundensein mit Türkei, dass die alleinige Verbundenheit mit Deutschland abnimmt."
    Also, beispielsweise auch die jüngsten Ereignisse, sprich der Putsch, der Putschversuch oder der vermeintliche Putschversuch in der Türkei, folgend dann das Referendum, der Wahlkampf dazu aber auch die Berichterstattung darüber hierzulande haben dazu geführt, dass es eher eine Türkei-Stärkung und gleichzeitig eine Schwächung der Deutschlandorientierung gibt. Und hinzu kommt, dass es - das fand ich ganz bemerkenswert und interessant, vor allem im aktuellen Kontext – dass es in der 3. Generation, also derjenigen, dessen oder deren Eltern bereits in Deutschland geboren wurden, keine Abnahme des Türkeibezugs gab und gibt. Das hätte verschiedene Gründe, so Professor Uslucan:
    "Ein Teil ist der, dass natürlich die Diskussion, die Debatte um Zugehörigkeit, um Integration, von der dritten Generation stärker wahrgenommen wird als in der ersten Generation und die dritte Generation auch ein Stück weit Gleichheitsgrundsätze verinnerlicht hat. Das heißt, dass sie von dem berechtigten Anspruch ausgeht, ihnen stehen dieselben Rechte und dieselbe Behandlung zu wie Einheimischen."
    Also, salopp gesagt: Mehmet hat die gleiche Ansprüche wie Sebastian – wird aber häufig anders wahrgenommen, noch einmal Professor Uslucan:
    "Sie sehen das nicht vor dem Hintergrund der Entwicklung in der Türkei, sondern haben den lebensweltlichen Bezug. Und wenn sie dort Ungleichbehandlungen wahrnehmen, wenn es Infragestellungen ihrer Existenz gibt, ob sie dazugehören oder nicht, dann reagieren sie rebellischer, abweisender. Das ist eine der zentralen Erklärungen."
    Sterz: Das klingt ja so, als ob man hier durchaus einige Parallelen zu Mesut Özil ziehen könnte?
    Küpper: Ja, das hat mir Professor Uslucan gerade eben auch noch einmal bestätigt, als ich ihn fragte, ob der Fall Özil im Grunde genommen wissenschaftlich durch seine Studie erklärt wird:
    "Ein stückweit die wissenschaftliche Rekonstruktion dessen, dass hier ein Mensch sich bemüht hat, lange bemüht hat, Teil dieser Gesellschaft zu sein, massiv die Erfahrung gemacht hat: Du bist nicht Teil dieser Gesellschaft – und sich dann abwendet."
    So geschehen eben jetzt, mit der gestrigen Rücktrittsankündigung eben von Mesut Özil – und der nun einsetzenden Diskussion darüber.
    NRW-Integrationsminister lädt Özil ein
    Sterz: Wie hat sich denn der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp zur Diskussion um Özil geäußert?
    Küpper: Ja, er hat sich geäußert – und zwar explizit: Die DFB-Führung vor allem ihr Präsident hätten eine katastrophale Rolle gespielt, so Stamp, es sei hochgradig unfair gewesen, im Nachgang alles, sprich das Scheitern bei der WM, bei Mesut Özil abzuladen. Stamp bekräftigte erneut, dass er Özil, aber auch Ilkay Gündogan in sein Ministerium einladen wolle, auch wenn ihm nicht alles an Özils gestriger Erklärung gefallen habe:
    "Der Tonfall ist mir an manchen Stellen einfach viel zu selbstgefällig. Da hätte ich mir schon auch mehr Selbstkritik gewünscht. Aber das würde ich gerne am liebsten mit ihm persönlich diskutieren und nicht über die Medien, weil ich glaube, Gündogan und Özil sind wichtige Vorbilder und es wäre gut, wenn wir mit ihnen gemeinsam über bestimmte Werte diskutieren können und ihnen auch nochmal Kritik erläutern können, damit wir vielleicht auch irgendwann gemeinsam wieder ein positives Signal in die Gesellschaft und vor allem an die vielen Jugendlichen aus Einwanderungsfamilien senden können."
    Soweit Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp. Serap Güler, zuständige Staatssekretärin im Ministerium, von der CDU, die sagte heute auch noch: Dieser Streit, diese Diskussion oder Eskalation der Diskussion, die nütze nur den Rassisten auf beiden Seiten – nämlich in Deutschland, aber eben auch in der Türkei.
    Sterz: Auch Zuwanderer der dritten Generation identifizieren sich häufig noch stark mit der Türkei – zu diesem Ergebnis ist eine Studie der Universität Duisburg-Essen gekommen. Danke nach Düsseldorf, Moritz Küpper!